§ 31. Typische Richtungen »kapitalistischer« Orientierung des Erwerbs
§ 31. Es gibt untereinander artverschiedene typische Richtungen »kapitalistischer« (d.h. im Rationalitätsfall: kapitalrechnungsmäßiger) Orientierung des Erwerbs:
1. Orientierung a) an Rentabilitätschancen des kontinuierlichen Markterwerbs und -absatzes (»Handel«) bei freiem (formal: nicht erzwungenem, material: wenigstens relativ freiwilligem) Ein- und Abtausch, – b) an Chancen der Rentabilität in kontinuierlichen Güter-Beschaffungsbetrieben mit Kapitalrechnung.
2. Orientierung an Erwerbschancen a) durch Handel und Spekulation in Geldsorten, Übernahme von Zahlungsleistungen aller Art und Schaffung von Zahlungsmitteln; b) durch berufsmäßige Kreditgewährung α. für Konsumzwecke, β. für Erwerbszwecke.
3. Orientierung an Chancen des aktuellen Beuteerwerbs von politischen oder politisch orientierten Verbänden oder Personen: Kriegsfinanzierung oder Revolutionsfinanzierung oder Finanzierung von Parteiführern durch Darlehen und Lieferungen.
4. Orientierung an Chancen des kontinuierlichen Erwerbs kraft gewaltsamer, durch die politische Gewalt garantierter Herrschaft: a) kolonial (Erwerb durch Plantagen mit Zwangslieferung oder Zwangsarbeit, monopolistischer und Zwangshandel); b) fiskalisch (Erwerb durch Steuerpacht und Amtspacht, einerlei ob in der Heimat oder kolonial).
5. Orientierung an Chancen des Erwerbs durch außeralltägliche Lieferungen [an] politische Verbände.
6. Orientierung an Chancen des Erwerbs a) durch rein spekulative Transaktionen in typisierten Waren oder wertpapiermäßig verbrieften Anteilen an Unternehmungen; b) durch Besorgung kontinuierlicher Zahlungsgeschäfte der öffentlichen Verbände; c) durch Finanzierung von Unternehmungsgründungen in Form von Wertpapierabsatz an angeworbene Anleger; d) durch spekulative Finanzierung von kapitalistischen Unternehmungen und Wirtschaftsverbandsbildungen aller Art mit dem Ziel der rentablen Erwerbsregulierung oder: der Macht.
Die Fälle unter Nr. 1 und 6 sind dem Okzident weitgehend eigentümlich. Die übrigen Fälle (Nr. 2-5) haben sich in aller Welt seit Jahrtausenden überall gefunden, wo (für 2) Austauschmöglichkeit und Geldwirtschaft und (für 3-5) Geldfinanzierung stattfand. Sie haben im Okzident nur lokal und zeitweilig (besonders: in Kriegszeiten) eine so hervorragende Bedeutung als Erwerbsmittel gehabt wie in der Antike. Sie sind überall da, wo Befriedung großer Erdteile (Einheitsreiche: China, Spätrom) bestand, auch ihrerseits geschrumpft, so daß dann nur Handel und Geldgeschäft (Nr. 2) als Formen kapitalistischen Erwerbs übrig blieben. Denn die kapitalistische Finanzierung der Politik war überall Produkt:
a) der Konkurrenz der Staaten untereinander um die Macht,
b) ihrer dadurch bedingten Konkurrenz um das – zwischen ihnen freizügige – Kapital.
Das endete erst mit den Einheitsreichen.
Dieser Gesichtspunkt ist, soviel ich mich entsinne, bisher am deutlichsten von J. Plenge (Von der Diskontpolitik zur Herrschaft über den Geldmarkt, Berlin 1913) beachtet. Vgl. vorher nur meine Ausführungen im Artikel »Agrargeschichte, Altertum« i. HW. d. StW. 3. Aufl. Bd. I [1909].
Nur der Okzident kennt rationale kapitalistische Betriebe mit stehendem Kapital, freier Arbeit und rationaler Arbeitsspezialisierung und -verbindung und rein verkehrswirtschaftliche Leistungsverteilung auf der Grundlage kapitalistischer Erwerbswirtschaften. Also: die kapitalistische Form der formal rein voluntaristischen Organisation der Arbeit als typische und herrschende Form der Bedarfsdeckung breiter Massen, mit Expropriation der Arbeiter von den Beschaffungsmitteln, Appropriation der Unternehmungen an Wertpapierbesitzer. Nur er kennt öffentlichen Kredit in Form von Rentenpapieremissionen, Kommerzialisierung, Emissions- und Finanzierungsgeschäfte als Gegenstand rationaler Betriebe, den Börsenhandel in Waren und Wertpapieren, den »Geld«- und »Kapitalmarkt«, die monopolistischen Verbände als Form erwerbswirtschaftlich rationaler Organisation der unternehmungsweisen Güterherstellung (nicht nur: des Güterumsatzes).
Der Unterschied bedarf der Erklärung, die nicht aus ökonomischen Gründen allein gegeben werden kann. Die Fälle 3-5 sollen hier als politisch orientierter Kapitalismus zusammengefaßt werden. Die ganzen späteren Erörterungen gelten vor allem auch diesem Problem. Allgemein ist nur zu sagen:
1. Es ist von vornherein klar: daß jene politisch orientierten Ereignisse, welche diese Erwerbsmöglichkeiten bieten, ökonomisch: – von der Orientierung an Marktchancen (d.h. Konsumbedarf von Wirtschaftshaushaltungen) her gesehen, irrational sind.
2. Ebenso ist offenbar, daß die rein spekulativen Erwerbschancen (2, a und 6, a) und der reine Konsumtivkredit (2, b, a) für die Bedarfsdeckung und für die Güterbeschaffungswirtschaften irrational, weil durch zufällige Besitz- oder Marktchancen- Konstellationen bedingt sind und daß auch Gründungs- und Finanzierungschancen (6b, c und d) es unter Umständen sein können, aber allerdings nicht: sein müssen.
Der modernen Wirtschaft eigentümlich ist neben der rationalen kapitalistischen Unternehmung an sich
1. die Art der Ordnung der Geldverfassung, 2. die Art der Kommerzialisierung von Unternehmungsanteilen durch Wertpapierformen. Beides ist hier noch in seiner Eigenart zu erörtern. Zunächst: Die Geldverfassung.