§ 15. Typen wirtschaftlicher Leistungsverteilung


§ 15. Jede innerhalb einer Menschengruppe typische Art von wirtschaftlich orientiertem sozialem Handeln und wirtschaftlicher Vergesellschaftung bedeutet in irgendeinem Umfang eine besondere Art von Verteilung und Verbindung menschlicher Leistungen zum Zweck der Güterbeschaffung. Jeder Blick auf die Realitäten wirtschaftlichen Handelns zeigt eine Verteilung verschiedenartiger Leistungen auf verschiedene Menschen und eine Verbindung dieser zu gemeinsamen Leistungen in höchst verschiedenen Kombinationen mit den sachlichen Beschaffungsmitteln. In der unendlichen Mannigfaltigkeit dieser Erscheinungen lassen sich immerhin einige Typen unterscheiden.

Menschliche Leistungen wirtschaftlicher Art können unterschieden werden als

a) disponierende, oder

b) an Dispositionen orientierte: Arbeit (in diesem, hier weiterhin gebrauchten, Sinne des Wortes).

 

Disponierende Leistung ist selbstverständlich auch und zwar im stärksten denkbaren Maße Arbeit, wenn »Arbeit« gleich Inanspruchnahme von Zeit und Anstrengung gesetzt wird. Der nachfolgend gewählte Gebrauch des Ausdrucks im Gegensatz zur disponierenden Leistung ist aber heute aus sozialen Gründen sprachgebräuchlich und wird nachstehend in diesem besonderen Sinne gebraucht. Im allgemeinen soll aber von »Leistungen« gesprochen werden.

 

Die Arten, wie innerhalb einer Menschengruppe Leistung und Arbeit sich vollziehen können, unterscheiden sich in typischer Art:

1. technisch, – je nach der Art, wie für den technischen Hergang von Beschaffungsmaßnahmen die Leistungen mehrerer Mitwirkender untereinander verteilt und unter sich und mit sachlichen Beschaffungsmitteln verbunden sind;

2. sozial, – und zwar:

A) je nach der Art, wie die einzelnen Leistungen

Gegenstand autokephaler und autonomer Wirtschaften sind oder nicht, und je nach dem ökonomischen Charakter dieser Wirtschaften; – damit unmittelbar zusammenhängend:

B) je nach Maß und Art, in welchen a) die einzelnen Leistungen, – b) die sachlichen Beschaffungsmittel, – c) die ökonomischen Erwerbschancen (als Erwerbsquellen oder -Mittel) appropriiert sind oder nicht, und der dadurch bedingten Art a) der Berufsgliederung (sozial) und ß) der Marktbildung (ökonomisch).

Endlich

3. muß bei jeder Art der Verbindung von Leistungen unter sich und mit sachlichen Beschaffungsmitteln und bei der Art ihrer Verteilung auf Wirtschaften und Appropriation ökonomisch gefragt werden: handelt es sich um haushaltsmäßige oder um erwerbsmäßige Verwendung?

 

Zu diesem und den weiter folgenden §§ ist vor allem zu vergleichen die dauernd maßgebende Darstellung von K. Bücher in dem Art. »Gewerbe« im HWB. d. Staatswiss. und von demselben »Die Entstehung der Volkswirtschaft«: grundlegende Arbeiten, von deren Terminologie und Schema nur aus Zweckmäßigkeitsgründen in manchem abgewichen wird.

Sonstige Zitate hätten wenig Zweck, da im nachstehenden ja keine neuen Ergebnisse, sondern ein für uns zweckmäßiges Schema vorgetragen wird.

1. Es sei nachdrücklich betont, daß hier nur – wie dies in den Zusammenhang gehört – die soziologische Seite der Erscheinungen in tunlichster Kürze rekapituliert wird, die ökonomische aber nur so weit, als sie eben in formalen soziologischen Kategorien Ausdruck findet. Material ökonomisch würde die Darstellung erst durch Einbeziehung der bisher lediglich theoretisch berührten Preis- und Marktbedingungen. Es ließen sich diese materialen Seiten der Problematik aber nur unter sehr bedenklichen Einseitigkeiten in Thesenform in eine derartige allgemeine Vorbemerkung hineinarbeiten. Und die rein ökonomischen Erklärungsmethoden sind ebenso verführerisch wie anfechtbar. Beispielsweise so: Die für die Entstehung der mittelalterlichen, verbandsregulierten, aber »freien Arbeit« entscheidende Zeit sei die »dunkle« Epoche vom 10.-12. Jahrhundert und insbesondere die an Rentenchancen der Grund-, Leibund Gerichtsherren – lauter partikulärer, um diese Chancen konkurrierender Gewalten – orientierte Lage der qualifizierten: bäuerlichen, bergbaulichen, gewerblichen Arbeit. Die für die Entfaltung des Kapitalismus entscheidende Epoche sei die große chronische Preisrevolution des 16. Jahrhunderts. Sie bedeute absolute und relative Preissteigerung für (fast) alle (okzidentalen) Bodenprodukte, damit – nach bekannten Grundsätzen der landwirtschaftlichen Ökonomik – sowohl Anreiz wie Möglichkeit der Absatzunternehmung und damit des teils (in England) kapitalistischen, teils (in den Zwischengebieten zwischen der Elbe und Rußland) fronhofsmäßigen großen Betriebs. Andererseits bedeute sie zwar teilweise (und zwar meist) absolute, nicht aber (im allgemeinen) relative Preissteigerung, sondern umgekehrt in typischer Art relative Preissenkung von wichtigen gewerblichen Produkten und damit, soweit die betriebsmäßigen und sonstigen äußeren und inneren Vorbedingungen dazu gegeben waren, – was in Deutschland, dessen »Niedergang« ökonomisch eben deshalb damit einsetze, nicht der Fall gewesen sei: – Anreiz zur Schaffung konkurrenzfähiger Marktbetriebsformen. Weiterhin später in deren Gefolge: der kapitalistischen gewerblichen Unternehmungen. Vorbedingung dafür sei die Entstehung von Massenmärkten. Dafür, daß diese im Entstehen gewesen seien, seien vor allem bestimmte Wandlungen der englischen Handelspolitik ein Symptom (von andern Erscheinungen abgesehen). – Derartige und ähnliche Behauptungen müßten zum Beleg theoretischer Erwägungen über die materialen ökonomischen Bedingtheiten der Entwicklung der Wirtschaftsstruktur verwertet werden. Das aber geht nicht an. Diese und zahlreiche ähnliche, durchweg bestreitbare, Thesen können nicht in diese absichtlich nur soziologischen Begriffe hineingenommen werden, auch soweit sie nicht ganz falsch sein sollten. Mit dem Verzicht auf diesen Versuch in dieser Form verzichten aber die folgenden Betrachtungen dieses Kapitels auch (ganz ebenso wie die vorangegangenen durch den Verzicht auf Entwicklung der Preis- und Geldtheorie) vorerst bewußt auf wirkliche »Erklärung« und beschränken sich (vorläufig) auf soziologische Typisierung.

Dies ist sehr stark zu betonen. Denn nur ökonomische Tatbestände liefern das Fleisch und Blut für eine wirkliche Erklärung des Ganges auch der soziologisch relevanten Entwicklung. Es soll eben vorerst hier nur ein Gerippe gegeben werden, hinlänglich, um mit leidlich eindeutig bestimmten Begriffen operieren zu können.

Daß an dieser Stelle, also bei einer schematischen Systematik, nicht nur die empirisch-historische, sondern auch die typisch- genetische Aufeinanderfolge der einzelnen möglichen Formen nicht zu ihrem Recht kommt, ist selbstverständlich.

2. Es ist häufig und mit Recht beanstandet worden, daß in der nationalökonomischen Terminologie »Betrieb« und »Unternehmung« oft nicht getrennt werden. »Betrieb« ist auf dem Gebiet des wirtschaftlich orientierten Handelns an sich eine technische, die Art der kontinuierlichen Verbindung bestimmter Arbeitsleistungen untereinander und mit sachlichen Beschaffungsmitteln bezeichnende Kategorie. Sein Gegensatz ist: entweder a) unstetes oder b) technisch diskontinuierliches Handeln, wie es in jedem rein empirischen Haushalt fortwährend vorkommt. Der Gegensatz zu »Unternehmen«: einer Art der wirtschaftlichen Orientierung (am Gewinn) ist dagegen: »Haushalt« (Orientierung an Bedarfsdeckung). Aber der Gegensatz von »Unternehmen« und »Haushalt« ist nicht erschöpfend. Denn es gibt Erwerbshandlungen, welche nicht unter die Kategorie des »Unternehmens« fallen: aller nackte Arbeitserwerb, der Schriftsteller-, Künstler-, Beamten-Erwerb sind weder das eine, noch das andre. Während der Bezug und Verbrauch von Renten offenkundig »Haushalt« ist.

Vorstehend ist, trotz jener Gegensätzlichkeit, von »Erwerbsbetrieb« überall da gesprochen worden, wo ein kontinuierlich zusammenhängendes, dauerndes Unternehmer handeln stattfindet: ein solches ist in der Tat ohne Konstituierung eines »Betriebes« (eventuell: Alleinbetriebes ohne allen Gehilfenstab) nicht denkbar. Und es kam hier hauptsächlich auf die Betonung der Trennung von Haushalt und Betrieb an. Passend (weil eindeutig) ist aber – wie jetzt festzustellen ist – der Ausdruck »Erwerbsbetrieb« statt: kontinuierliches Erwerbsunternehmen nur für den einfachsten Fall des Zusammenfallens der technischen Betriebseinheit mit der Unternehmungseinheit. Es können aber in der Verkehrswirtschaft mehrere, technisch gesonderte, »Betriebe« zu einer »Unternehmungseinheit« verbunden sein. Diese letztere ist dann aber natürlich nicht durch die bloße Personalunion des Unternehmers, sondern wird durch die Einheit der Ausrichtung auf einen irgendwie einheitlich gestalteten Plan der Ausnutzung zu Erwerbszwecken konstituiert (Übergänge sind daher möglich). Wo nur von »Betrieb« die Rede ist, soll jedenfalls darunter immer jene technisch – in Anlagen, Arbeitsmitteln, Arbeitskräften und (eventuell: heterokephaler und heteronomer) technischer Leitung – gesonderte Einheit verstanden werden, die es ja auch in der kommunistischen Wirtschaft (nach dem schon jetzt geläufigen Sprachgebrauch) gibt. Der Ausdruck »Erwerbsbetrieb« soll fortan nur da verwendet werden, wo technische und ökonomische (Unternehmungs-)Einheit identisch sind.

Die Beziehung von »Betrieb« und »Unternehmung« wird terminologisch besonders akut bei solchen Kategorien wie »Fabrik« und »Hausindustrie«. Die letztere ist ganz klar eine Kategorie der Unternehmung. »Betriebsmäßig« angesehen stehen ein kaufmännischer Betrieb und Betriebe als Teil der Arbeiterhaushaltungen (ohne – außer bei Zwischenmeisterorganisation – Werkstattarbeit) mit spezifizierten Leistungen an den kaufmännischen Betrieb und umgekehrt dieses an jene nebeneinander; der Vorgang ist also rein betriebsmäßig gar nicht verständlich, sondern es müssen die Kategorien: Markt, Unternehmung, Haushalt (der Einzelarbeiter), erwerbsmäßige Verwertung der entgoltenen Leistungen dazutreten. »Fabrik« könnte man an sich – wie dies oft vorgeschlagen ist – ökonomisch indifferent insofern definieren, als die Art der Arbeiter (frei oder unfrei), die Art der Arbeitsspezialisierung (innere technische Spezialisierung oder nicht) und der verwendeten Arbeitsmittel (Maschinen oder nicht) beiseite gelassen werden kann. Also einfach: als Werkstattarbeit. Immerhin muß aber außerdem die Art der Appropriation der Werkstätte und der Arbeitsmittel (an einen Besitzer) in die Definition aufgenommen werden, sonst zerfließt der Begriff wie der des »Ergasterion«. Und geschieht einmal dies, dann scheint es prinzipiell zweckmäßiger, »Fabrik« wie »Hausindustrie« zu zwei streng ökonomischen Kategorien der Kapitalrechnungsunternehmung zu stempeln. Bei streng sozialistischer Ordnung würde die »Fabrik« dann so wenig wie die »Hausindustrie« vorkommen, sondern nur: naturale Werkstätten, Anlagen, Maschinen, Werkzeuge, Werkstatt- und Heimarbeitsleistungen aller Art.

3. Es ist nachstehend über das Problem der ökonomischen »Entwicklungsstufen« noch nichts bzw. nur, soweit nach der Natur der Sache absolut unvermeidlich, und beiläufig etwas zu sagen. Nur soviel sei hier vorweg bemerkt:

Mit Recht zwar unterscheidet man neuerdings genauer: Arten der Wirtschaft und Arten der Wirtschaftspolitik. Die von Schönberg präludierten Schmollerschen und seitdem abgewandelten Stufen: Hauswirtschaft, Dorfwirtschaft – dazu als weitere »Stufe«: grundherrliche und patrimonialfürstliche Haushalts-Wirtschaft –, Stadtwirtschaft, Territorialwirtschaft, Volkswirtschaft waren in seiner Terminologie bestimmt durch die Art des wirtschaftsregulierenden Verbandes. Aber es ist nicht gesagt, daß auch nur die Art dieser Wirtschaftsregulierung bei Verbänden verschiedenen Umfangs verschieden wäre. So ist die deutsche »Territorialwirtschaftspolitik« in ziemlich weitgehendem Umfang nur eine Übernahme der stadtwirtschaftlichen Regulierungen gewesen und waren ihre neuen Maßnahmen nicht spezifisch verschieden von der »merkantilistischen« Politik spezifisch patrimonialer, dabei aber schon relativ rationaler Staatenverbände (also insoweit »Volkswirtschaftspolitik« nach dem üblichen, wenig glücklichen Ausdruck). Vollends aber ist nicht gesagt, daß die innere Struktur der Wirtschaft: die Art der Leistungsspezifikation oder -Spezialisierung und -Verbindung, die Art der Verteilung dieser Leistungen auf selbständige Wirtschaften und die Art der Appropriation von Arbeitsverwertung, Beschaffungsmitteln und Erwerbschancen mit demjenigen Umfang des Verbandes parallel ging, der (möglicher!) Träger einer Wirtschaftspolitik war und vollends: daß sie mit dem Umfang dieses immer gleichsinnig wechsle. Die Vergleichung des Okzidents mit Asien und des modernen mit dem antiken Okzident würde das Irrige dieser Annahme zeigen. Dennoch kann bei der ökonomischen Betrachtung niemals die Existenz oder Nicht-Existenz material wirtschaftsregulierender Verbände – aber freilich nicht nur gerade: politischer Verbände – und der prinzipielle Sinn ihrer Regulierung beiseite gelassen werden. Die Art des Erwerbs wird dadurch sehr stark bestimmt.

4. Zweck der Erörterung ist auch hier vor allem: Feststellung der optimalen Vorbedingungen formaler Rationalität der Wirtschaft und ihrer Beziehung zu materialen »Forderungen« gleichviel welcher Art.


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