§ 39. Rückwirkung des Bedarfs politischer Verbände auf die Privatwirtschaft


§ 39. Die Art der Deckung des Verbandsbedarfs der politischen (und hierokratischen) Verbände wirkt sehr stark auf die Gestaltung der Privatwirtschaften zurück. Der reine Geldabgabenstaat mit Eigenregie bei der Abgabeneinhebung (und nur bei ihr) und mit Heranziehung naturaler persönlicher Dienste nur: zu politischen und Rechtspflegezwecken, gibt dem rationalen, marktorientierten Kapitalismus optimale Chancen. Der Geldabgabenstaat mit Verpachtung begünstigt den politisch orientierten Kapitalismus, dagegen nicht die marktorientierte Erwerbswirtschaft. Die Verleihung und Verpfründung von Abgaben hemmt normalerweise die Entstehung des Kapitalismus durch Schaffung von Interessen an der Erhaltung bestehender Sportel- und Abgabequellen und dadurch: Stereotypierung und Traditionalisierung der Wirtschaft.

Der reine Naturallieferungsverband befördert den Kapitalismus nicht und hindert ihn im Umfang der dadurch erfolgenden tatsächlichen – erwerbswirtschaftlich irrationalen – Bindungen der Beschaffungsrichtung der Wirtschaften.

Der reine Naturaldienst verband hindert den marktorientierten Kapitalismus durch Beschlagnahme der Arbeitskräfte und Hemmung der Entstehung eines freien Arbeitsmarktes, den politisch orientierten Kapitalismus durch Abschneidung der typischen Chancen seiner Entstehung.

Die monopolistisch erwerbswirtschaftliche Finanzierung, die Naturalabgabenleistung mit Verwandlung der Abgabegüter in Geld und die leiturgisch den Besitz vorbelastende Bedarfsdeckung haben gemeinsam, daß sie den autonom marktorientierten Kapitalismus nicht fördern, sondern durch fiskalische, also marktirrationale Maßregeln: Privilegierungen und Schaffung marktirrationaler Gelderwerbschancen, die Markterwerbschancen zurückschieben. Sie begünstigen dagegen – unter Umständen – den politisch orientierten Kapitalismus.

Der Erwerbsbetrieb mit stehendem Kapital und exakter Kapitalrechnung setzt formal vor allem Berechenbarkeit der Abgaben, material aber eine solche Gestaltung derselben voraus, daß keine stark negative Privilegierung der Kapitalverwertung, und das heißt vor allem: der Marktumsätze eintritt. Spekulativer Handelskapitalismus ist dagegen mit jeder nicht direkt, durch leiturgische Bindung, die händlerische Verwertung von Gütern als Waren hindernden Verfassung der öffentlichen Bedarfsdeckung vereinbar.

Eine eindeutige Entwicklungsrichtung aber begründet auch die Art der öffentlichen Lastenverfassung, so ungeheuer wichtig sie ist, für die Art der Orientierung des Wirtschaftens nicht. Trotz (scheinbaren) Fehlens aller typischen Hemmungen von dieser Seite hat sich in großen Gebieten und Epochen der rationale (marktorientierte) Kapitalismus nicht entwikkelt; trotz (scheinbar) oft sehr starker Hemmungen von seiten der öffentlichen Lastenverfassung hat er sich anderwärts durchgesetzt. Neben dem materialen Inhalt der Wirtschaftspolitik, die sehr stark auch an Zielen außerwirtschaftlicher Art orientiert sein kann, und neben Entwicklungen geistiger (wissenschaftlicher und technologischer) Art haben auch Obstruktionen gesinnungsmäßiger (ethischer, religiöser) Natur für die lokale Begrenzung der autochthonen kapitalistischen Entwicklung moderner Art eine erhebliche Rolle gespielt. Auch darf nie vergessen werden: daß Betriebs- und Unternehmungsformen ebenso wie technische Erzeugnisse »erfunden« werden müssen, und daß dafür sich historisch nur »negative«, die betreffende Gedankenrichtung erschwerende oder geradezu obstruierende, oder »positive«, sie begünstigende, Umstände, nicht aber ein schlechthin zwingendes Kausalverhältnis angeben läßt, sowenig wie für streng individuelle Geschehnisse irgendwelcher Natur überhaupt.

 

1. Zum Schlußsatz: Auch individuelle reine Naturgeschehnisse lassen sich nur unter sehr besonderen Bedingungen exakt auf individuelle Kausalkomponenten zurückführen: darin besteht ein prinzipieller Unterschied gegen das Handeln nicht.

2. Zum ganzen Absatz: Die grundlegend wichtigen Zusammenhänge zwischen der Art der Ordnung und Verwaltung der politischen Verbände und der Wirtschaft können hier nur provisorisch angedeutet werden.

1. Der historisch wichtigste Fall der Obstruktion marktorientierter kapitalistischer Entwicklung durch Abgaben-Verpfründung ist China, durch Abgaben-Verleihung (damit vielfach identisch): Vorderasien seit dem Khalifenreich (darüber an seinem Ort). Abgaben-Verpachtung findet sich in Indien, Vorderasien, dem Okzident in Antike und Mittelalter, ist aber für die okzidentale Antike besonders weitgehend für die Art der Orientierung des kapitalistischen Erwerbs (römischer Ritterstand) maßgebend gewesen, während sie in Indien und Vorderasien mehr die Entstehung von Vermögen (Grundherrschaften) bewirkt hat.

2. Der historisch wichtigste Fall der Obstruktion der kapitalistischen Entwicklung überhaupt durch leiturgische Bedarfsdeckung ist die Spätantike, vielleicht auch Indien in nachbuddhistischer Zeit und, zeitweise, China. Auch davon an seinem Ort.

3. Der historisch wichtigste Fall der monopolistischen Ablenkung des Kapitalismus ist, nach hellenistischen (ptolemäischen) Vorläufern, die Epoche des fürstlichen Monopol- und Monopolkonzessionserwerbs im Beginn der Neuzeit (Vorspiel: gewisse Maßregeln Friedrichs II. in Sizilien, vielleicht nach byzantinischem Muster, prinzipieller Schlußkampf: unter den Stuarts), wovon an seinem Ort zu reden sein wird.

Die ganze Erörterung ist hier, in dieser abstrakten Form, nur zur einigermaßen korrekten Problemstellung vorgenommen. Ehe auf die Entwicklungsstufen und Entwicklungsbedingungen der Wirtschaft zurückgekommen wird, muß erst die rein soziologische Erörterung der außer wirtschaftlichen Komponenten vorgenommen werden.


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