§ 10. Rationalität der Geldrechnung, Haushalt


§ 10. Rein technisch angesehen ist Geld das »vollkommenste« wirtschaftliche Rechnungsmittel, das heißt: das formal rationalste Mittel der Orientierung wirtschaftlichen Handelns.

Geldrechnung, nicht: aktueller Geldgebrauch, ist daher das spezifische Mittel zweckrationaler Beschaffungswirtschaft. Geldrechnung bedeutet aber im vollen Rationalitätsfall primär:

1. Schätzung aller für einen Beschaffungszweck jetzt oder künftig als benötigt erachteten wirklich oder möglicherweise verfügbaren oder aus fremder Verfügungsgewalt beschaffbaren, in Verlust geratenen oder gefährdeten, Nutzleistungen oder Beschaffungsmittel, und ebenso aller irgendwie relevanten ökonomischen Chancen überhaupt, nach der (aktuellen oder erwarteten) Marktlage;

2. zahlenmäßige Ermittelung a) der Chancen jeder beabsichtigten und b) Nachrechnung des Erfolges jeder vollzogenen Wirtschaftshandlung in Form einer die verschiedenen Möglichkeiten vergleichenden »Kosten-« und »Ertrags«-Rechnung in Geld und vergleichende Prüfung des geschätzten »Reinertrags« verschiedener möglicher Verhaltungsweisen an der Hand dieser Rechnungen;

3. periodischer Vergleich der einer Wirtschaft insgesamt verfügbaren Güter und Chancen mit den bei Beginn der Periode verfügbar gewesenen, beide Male in Geld geschätzt;

4. vorherige Abschätzung und nachträgliche Feststellung derjenigen aus Geld bestehenden oder in Geld schätzbaren Zugänge und Abgänge, welche die Wirtschaft, bei Erhaltung der Geldschätzungssumme ihrer insgesamt verfügbaren Mittel (Nr. 3), die Chance hat, während einer Periode zur Verwendung verfügbar zu haben;

5. die Orientierung der Bedarfsversorgung an diesen Daten (Nr. 1-4) durch Verwendung des (nach Nr. 4) in der Rechnungsperiode verfügbaren Geldes für die begehrten Nutzleistungen nach dem Prinzip des Grenznutzens.

Die kontinuierliche Verwendung und Beschaffung (sei es durch Produktion oder Tausch) von Gütern zum Zweck 1. der eignen Versorgung oder 2. zur Erzielung von selbst verwendeten anderen Gütern heißt Haushalt. Seine Grundlage bildet für einen Einzelnen oder eine haushaltsmäßig wirtschaftende Gruppe im Rationalitätsfall der Haushaltsplan, welcher aussagt: in welcher Art die vorausgesehenen Bedürfnisse einer Haushaltsperiode (nach Nutzleistungen oder selbst zu verwendenden Beschaffungsmitteln) durch erwartetes Einkommen gedeckt werden sollen.

Einkommen eines Haushalts soll derjenige in Geld geschätzte Betrag von Gütern heißen, welcher ihr bei Rechnung nach dem in Nr. 4 angegebenen Prinzip in einer vergangenen Periode bei rationaler Schätzung zur Verfügung gestanden hat, oder mit dessen Verfügbarkeit sie für eine laufende oder künftige Periode bei rationaler Schätzung rechnen zu können die Chance hat.

Die Gesamtschätzungssumme der in der Verfügungsgewalt eines Haushalts befindlichen, von ihr zur – normalerweise – dauernden unmittelbaren Benutzung oder zur Erzielung von Einkommen verwendeten Güter (abgeschätzt nach Marktchancen, Nr. 3) heißt: ihr Vermögen.

Die Voraussetzung der reinen Geld-Haushalts-Rechnung ist: daß das Einkommen und Vermögen entweder in Geld oder in (prinzipiell) jederzeit durch Abtausch in Geld verwandelbaren, also im absoluten Höchstmaß marktgängigen, Gütern besteht.

Haushalt und (im Rationalitätsfall) Haushaltsplan kennt auch die weiterhin noch zu erörternde Naturalrechnung. Ein einheitliches »Vermögen« im Sinn der Geldabschätzung kennt sie so wenig wie ein einheitliches (d.h. geldgeschätztes) »Einkommen«. Sie rechnet mit »Besitz « von Naturalgütern und (bei Beschränkung auf friedlichen Erwerb) konkreten »Einkünften« aus dem Aufwand von verfügbaren Gütern und Arbeitskräften in Naturalform, die sie unter Abschätzung des Optimums der möglichen Bedarfsdeckung als Mittel dieser verwaltet. Bei fest gegebenen Bedürfnissen ist die Art dieser Verwendung so lange ein relativ einfaches rein technisches Problem, als die Versorgungslage nicht eine genaue rechnerische Feststellung des Optimums des Nutzens der Verwendung von Bedarfsdeckungsmitteln unter Vergleichung sehr heterogener möglicher Verwendungsarten erfordert. Andernfalls treten schon an den einfachen tauschlosen Einzelhaushalt Anforderungen heran, deren (formal exakte) rechnungsmäßige Lösung enge Schranken hat und deren tatsächliche Lösung teils traditional, teils an der Hand sehr grober Schätzungen zu geschehen pflegt, welche freilich bei relativ typischen, übersehbaren, Bedürfnissen und Beschaffungsbedingungen auch völlig ausreichen. Besteht der Besitz aus heterogenen Gütern (wie es im Fall tauschlosen Wirtschaftens der Fall sein muß), so ist eine rechnerische, formal exakte Vergleichung des Besitzes am Beginn und Ende einer Haushaltsperiode ebenso wie eine Vergleichung der Einkünftechancen nur innerhalb der qualitativ gleichen Arten von Gütern möglich. Zusammenstellung zu einem naturalen Gesamtbesitzstand und Auswerfung naturaler Verbrauchs- Deputate, die ohne Minderung dieses Besitzstandes voraussichtlich dauernd verfügbar sind, ist dann typisch. Jede Änderung des Versorgungsstandes (z.B. durch Ernteausfälle) oder der Bedürfnisse bedingt aber neue Dispositionen, da sie die Grenznutzen verschiebt. Unter einfachen und übersehbaren Verhältnissen vollzieht sich die Anpassung leicht. Sonst technisch schwerer als bei reiner Geldrechnung, bei welcher jede Verschiebung der Preischancen (im Prinzip) nur die mit den letzten Geldeinkommenseinheiten zu befriedigenden Grenzbedürfnisse der Dringlichkeitsskala beeinflußt.

Bei ganz rationaler (also nicht traditionsgebundener) Naturalrechnung gerät überdies die Grenznutzrechnung, welche bei Verfügung über Geldvermögen und Geldeinkommen relativ einfach – an der Hand der Dringlichkeitsskala der Bedürfnisse – verläuft, in eine starke Komplikation. Während dort als »Grenz«- Frage lediglich Mehrarbeit oder: die Befriedigung bzw. Opferung eines Bedürfnisses zugunsten eines (oder mehrerer) anderen auftaucht (denn darin drükken sich im reinen Geldhaushalt letztlich die »Kosten« aus), findet sie sich hier in die Nötigung versetzt: neben der Dringlichkeitsskala der Bedürfnisse noch zu erwägen: 1. mehrdeutige Verwendbarkeit der Beschaffungsmittel einschließlich des bisherigen Maßes von Gesamtarbeit, also eine je nach der Verwendbarkeit verschiedene (und: wandelbare) Relation zwischen Bedarfsdeckung und Aufwand, also: 2. Maß und Art neuer Arbeit, zu welcher der Haushalter behufs Gewinnung neuer Einkünfte genötigt wäre, und:

3. Art der Verwendung des Sachaufwands im Fall verschiedener in Betracht kommender Güterbeschaffungen. Es ist eine der wichtigsten Angelegenheiten der ökonomischen Theorie, die rational mögliche Art dieser Erwägungen zu analysieren, der Wirtschaftsgeschichte: durch den Verlauf der Geschichtsepochen hindurch zu verfolgen, in welcher Art tatsächlich sich das naturale Haushalten damit abgefunden hat. Im wesentlichen läßt sich sagen: 1. daß der formale Rationalitätsgrad tatsächlich (im allgemeinen) das faktisch mögliche (vollends aber: das theoretisch zu postulierende) Niveau nicht erreichte, daß vielmehr die Naturalhaushaltsrechnungen in ihrer gewaltigen Mehrzahl notgedrungen stets weitgehend traditionsgebunden blieben, 2. also: den Großhaushaltungen, gerade weil die Steigerung und Raffinierung von Alltagsbedürfnissen unterblieb, eine außeralltägliche (vor allem: künstlerische) Verwertung ihrer Überschußversorgtheit nahelag (Grundlage der künstlerischen, stilgebundenen Kultur naturalwirtschaftlicher Zeitalter).

 

1. Zum »Vermögen« gehören natürlich nicht nur Sachgüter. Sondern: alle Chancen, über welche eine sei es durch Sitte, Interessenlage, Konvention oder Recht oder sonst wie verläßlich gesicherte Verfügungsgewalt besteht (auch »Kundschaft« eines Erwerbsbetriebs gehört – sei dies ein ärztlicher, anwältlicher oder Detaillisten-Betrieb – zum »Vermögen« des Inhabers, wenn sie aus gleichviel welchen Gründen stabil ist: im Fall rechtlicher Appropriation kann sie ja nach der Definition im Kap. I § 10 »Eigentum« sein).

2. Die Geldrechnung ohne aktuellen Geldgebrauch oder doch mit Einschränkung desselben auf in natura unausgleichbare Überschüsse der beiderseitigen Tauschgütermengen findet man typisch in ägyptischen und babylonischen Urkunden, die Geldrechnung als Bemessung einer Natural leistung in der z.B. sowohl im Kodex Hammurabi wie im vulgärrömischen und frühmittelalterlichen Recht typischen Erlaubnis an den Schuldner, den Geldrechnungsbetrag zu leisten: »in quo potuerit«. (Die Umrechnung kann dabei nur auf der Basis traditionaler oder oktroyierter Binnenpreise vollzogen worden sein.)

3. Im übrigen enthalten die Darlegungen nur Altbekanntes im Interesse einer eindeutigen Feststellung des Begriffs des rationalen »Haushalts« gegenüber dem gleich zu erörternden gegensätzlichen Begriff der rationalen Erwerbswirtschaft. Zweck ist die ausdrückliche Feststellung: daß beide in rationaler Form möglich sind, »Bedarfsdeckung« nicht etwas, im Rationalitätsfall, »Primitiveres« ist als: »Erwerb«, »Vermögen« nicht eine notwendig »primitivere« Kategorie als: »Kapital«, oder »Einkommen« als: »Gewinn«. Geschichtlich und hingesehen auf die in der Vergangenheit vorwaltende Form der Betrachtung wirtschaftlicher Dinge geht allerdings, und selbstverständlich, »Haushalten« voran.

4. Wer Träger des »Haushalts« ist, ist gleichgültig. Ein staatlicher »Haushaltsplan« und das »Budget« eines Arbeiters fallen beide unter die gleiche Kategorie.

5. Haushalten und Erwerben sind nicht exklusive Alternativen. Der Betrieb eines »Konsumvereins« z.B. steht im Dienst (normalerweise) des Haushaltens, ist aber kein Haushalts-, sondern nach der Form seines Gebarens ein Erwerbsbetrieb ohne materialen Erwerbszweck. Haushalten und Erwerben können im Handeln des Einzelnen derart ineinandergreifen (und dies ist der in der Vergangenheit typische Fall), daß nur der Schlußakt (Absatz hier, Verzehr dort) den Ausschlag für den Sinn des Vorgangs gibt (bei Kleinbauern insbesondere typisch). Der haushaltsmäßige Tausch (Konsumeintausch, Überschuß- Abtausch) ist Bestandteil des Haushalts. Ein Haushalt (eines Fürsten oder Grundherrn) kann Erwerbsbetriebe im Sinn des folgenden § einschließen und hat dies in typischer Art früher getan: ganze Industrien sind aus solchen heterokephalen und heteronomen »Nebenbetrieben« zur Verwertung von eigenen Forst- und Feldprodukten von Grundherren, Klöstern, Fürsten entstanden. Allerhand »Betriebe« bilden schon jetzt den Bestandteil namentlich kommunaler, aber auch staatlicher, Haushaltungen. Zum »Einkommen« gehören natürlich bei rationaler Rechnung nur die für den Haushalt verfügbaren »Rein- Erträge« dieser Betriebe. Ebenso können umgekehrt Erwerbsbetriebe sich, z.B. für die Ernährung ihrer Sklaven oder Lohnarbeiter, fragmentarische heteronome »Haushaltungen« (»Wohlfahrtseinrichtungen«, Wohnungen, Küchen) angliedern. »Rein-Erträge« sind (Nr. 2) Geldüberschüsse abzüglich aller Geldkosten.

6. Auf die Bedeutung der Naturalrechnung für die allgemeine Kulturentwicklung konnte hier nur mit den ersten Andeutungen eingegangen werden.


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