§ 24a. Hauptformen der Appropriations- und Marktbeziehungen


§ 24a. Die Kasuistik der technischen, betriebsmäßigen Appropriations- und Marktbeziehungen ist also nach den von § 15 angefangen bis hier entwickelten theoretischen Schemata eine höchst vielseitige.

Tatsächlich spielen von den zahlreichen Möglichkeiten nur einige eine beherrschende Rolle.

1. Auf dem Gebiet des landwirtschaftlichen Bodens:

a) ambulanter, d.h. nach Ausnutzung des Bodens den Standort wechselnder Ackerbau: Hauswirtschaft mit Appropriation des Bodens an den Stamm und – zeitweilig oder dauernd – der Nutzung an Nachbarschaftsverbände mit nur zeitweiser Appropriation der Bodennutzung an Haushaltungen.

Die Größe der Haushaltsverbände ist regelmäßig entweder

α. große Hauskommunion, oder

β. organisierte Sippenwirtschaft, oder

γ. Großfamilienhaushalt, oder

δ. Kleinfamilienhaushalt.

 

»Ambulant« ist der Ackerbau regelmäßig nur in bezug auf den bebauten Boden, weit seltener und in größeren Perioden: für Hofstätten.

b) Seßhafter Ackerbau; mark- und dorf- genossenschaftliche Regulierung der Nutzungsrechte an Äkkern, Wiesen, Weiden, Holzungen, Wasser mit (normalerweise) Kleinfamilienhaushaltungen.

Appropriation von Hofgütern und Gärten an Kleinfamilien; Akker, (meist) Wiesen, Weiden an den Dorfverband; Holzungen an größere Markgemeinschaften. Bodenumteilungen sind dem Recht nach ursprünglich möglich, aber nicht systematisch organisiert und daher meist obsolet. Die Wirtschaft ist meist durch Dorfordnung reguliert (primäre Dorfwirtschaft).

Die Sippengemeinschaft als Wirtschaftsgemeinschaft besteht nur ausnahmsweise (China), und dann in rationalisierter Verbandsform (Sippenvergesellschaftung).

c) Grundherrschaft und Leibherrschaft mit grundherrlichem, Fronhof und gebundenen Naturalgüterund Arbeits-Leistungen der abhängigen Bauernbetriebe. Gebundene Appropriation: des Bodenbesitzes und der Arbeiter an den Herrn, der Bodennutzung und der Rechte auf die Arbeitsstellen an die Bauern (einfacher grundherrlicher Naturalleistungsverband).

d) α. Grundherrschaftliches oder β. fiskalisches Bodenmonopol mit Solidarhaft der Bauerngemeindeverbände für fiskalische Lasten. Daher: Feldgemeinschaft und systematisierte regelmäßige Neuverteilung des Bodens: oktroyierte dauernde Appropriation des Bodens als Korrelat der Lasten an den Bauerngemeindeverband, nicht an die Haushaltungen, an diese nur zeitweise und vorbehaltlich der Neuumteilung zur Nutzung. Regulierung der Wirtschaft durch Ordnungen des Grundherrn oder politischen Herrn (grundherrliche oder fiskalische Feldgemeinschaft).

e) Freie Grundherrschaft mit haushaltsmäßiger Nutzung der abhängigen Bauernstellen als Rentenquelle. Also: Appropriation des Bodens an den Grundherrn, aber:

α. Kolonen, oder

β. Teilpacht- oder

γ. Geldzinsbauern als Träger der Wirtschaftsbetriebe.

f) Plantagenwirtschaft: freie Appropriation des Bodens und der Arbeiter (als Kaufsklaven) an den Herrn als Erwerbsmittel in einem kapitalistischen Betrieb mit unfreier Arbeit.

g) Gutswirtschaft: Appropriation des Bodens

α. an Bodenrentenbesitzer, Verleihung an Großpächterwirtschaften. Oder

β. an die Bewirtschafter als Erwerbsmittel. Beidemal mit freien Arbeitern, in aa) eigenen oder bb) vom Herrn gestellten Haushaltungen, in beiden Fällen

α.) mit landwirtschaftlicher Erzeugung oder – Grenzfall –

β.) ohne alle eigene Gütererzeugung.

h) Fehlen der Grundherrschaft: bäuerliche Wirtschaft mit Appropriation des Bodens an die Bewirtschafter (Bauern). Die Appropriation kann praktisch bedeuten:

α. daß tatsächlich vorwiegend nur erblich erworbener Boden oder

β. umgekehrt, daß Parzellenumsatz besteht, ersteres bei Einzelhofsiedelung und Großbauernstellen, letzteres bei Dorfsiedelung und Kleinbauernstellen typisch.

Normale Bedingung ist für den Fall e γ ebenso wie für den Fall h, β die Existenz ausreichender lokaler Marktchancen für bäuerliche Bodenprodukte.

2. Auf dem Gebiet des Gewerbes und Transports (einschließlich des Bergbaues und Handels):

a). Hausgewerbe, primär als Mittel des Gelegenheitstausches, sekundär als Erwerbsmittel mit

α. interethnischer Leistungsspezialisierung (Stammesgewerbe). Daraus [gegebenenfalls] erwachsen:

β. Kastengewerbe. In beiden Fällen primär: Appropriation der Rohstoffquellen und also der Rohstofferzeugung; Kauf der Rohstoffe oder Lohngewerbe erst sekundär. Im ersten Fall oft: Fehlen formaler Appropriation.

Daneben, und im zweiten Fall stets: erbliche Appropriation der leistungsspezifizierten Erwerbschancen an Sippen- oder Hausverbände.

b). Gebundenes Kundengewerbe: Leistungsspezifikation für einen Konsumenten-Verband:

α. einen herrschaftlichen (oikenmäßig, grundherrlich), –

β. einen genossenschaftlichen (demiurgisch). Kein Markterwerb. Im Fall a haushaltsmäßige Leistungsverbindung, zuweilen Werkstattarbeit im Ergasterion des Herrn. Im Fall ß erbliche (zuweilen: veräußerliche) Appropriation der Arbeitsstellen, Leistung für appropriierte (Konsumenten-)Kundschaft – kärgliche Fortentwicklungen:

I. Erster Sonderfall: Appropriierte (formal unfreie) leistungsspezifizierte Träger des Gewerbes

α. als Rentenquelle des Herrn, dabei aber als, trotz der formalen Unfreiheit, material freie (meist) Kundenproduzenten (Rentensklaven),

β. als unfreie Hausgewerbetreibende für Erwerbszwecke,

γ. als Werkstatt-Arbeiter in einem Ergasterion des Herrn für Erwerbszwecke (unfreie Hausindustrie).

II. Zweiter Sonderfall: leiturgische Leistungsspezifikation für fiskalische Zwecke: Typus dem Kastengewerbe (α, β) gleichartig.

Entsprechend auf dem Gebiet des Bergbaues: fürstlicher oder grundherrlicher Betrieb mit Unfreien: Sklaven oder Hörigen.

Entsprechend auf dem Gebiet des Binnentransports:

a) grundherrliche Appropriation der Transportanlagen als Rentenquelle:

Umlegung demiurgischer Leistungen auf die dafür bestimmten Kleinbauernstellen;

[b)] genossenschaftlich regulierte Kleinhändlerkarawanen. Die Ware war ihnen appropriiert.

Auf dem Gebiet des Seetransports:

a) oikenmäßiger oder grundherrlicher oder patrizischer Schiffsbesitz mit Eigenhandel des Herrn;

b) genossenschaftlicher Schiffsbau und Schiffsbesitz, Schiffsführer und Mannschaft als Eigenhändler beteiligt, interlokal reisende Kleinhändler neben ihnen als Befrachter, Risikovergesellschaftung aller Interessenten, streng regulierte Schiffskarawanen. In allen Fällen war dabei »Handel« mit interlokalem Handel, also Transport, noch identisch.

c). Freies Gewerbe: Freie Kundenproduktion als

a) Stör, oder

b) Lohnwerk bei Appropriation der Rohstoffe an den Kunden (Konsumenten), der Arbeitswerkzeuge an den Arbeiter, der etwaigen Anlagen an Herren (als Rentenquelle) oder Verbände (zur Reihum-Benutzung), oder

c) »Preiswerk«, mit Appropriation der Rohstoffe und Arbeitswerkzeuge, damit auch: der Leitung, an Arbeiter, etwaiger Anlagen (meist) an einen Arbeiterverband (Zunft).

In allen diesen Fällen typisch: Erwerbsregulierung durch die Zunft.

Im Bergbau: Appropriation des Vorkommens an politische oder Grundherren als Rentenquelle; Appropriation des Abbaurechts an einen Arbeiterverband; zünftige Regelung des Abbaus als Pflicht gegen den Bergherrn als Renteninteressenten und gegen die Berggemeinde als jenem solidarisch haftend und am Ertrag interessiert. –

Auf dem Gebiet des Binnen-Transports: Schifferund Frachtfahrer-Zünfte mit festen Reihefahrten und Regulierung ihrer Erwerbschancen.

Auf dem Gebiet der Seeschiffahrt: Schiffspartenbesitz, Schiffskarawanen, reisende Kommendahändler.

Entwicklung zum Kapitalismus:

α. Tatsächliche Monopolisierung der Geldbetriebsmittel durch Unternehmer als Mittel der Bevorschussung der Arbeiter. Damit Leitung der Güterbeschaffung kraft Beschaffungskredits und Verfügung über das Produkt trotz formal fortbestehender Appropriation der Erwerbsmittel an die Arbeiter (so im Gewerbe und Bergbau).

β. Appropriation des Absatzrechtes von Produkten auf Grund vorangegangener tatsächlicher Monopolisierung der Marktkenntnis und damit der Marktchancen und Geldbetriebsmittel kraft oktroyierter monopolistischer (Gilden)-Verbandsordnung oder Privilegs der politischen Gewalt (als Rentenquelle oder gegen Darlehen).

γ. Innere Disziplinierung der hausindustriell abhängigen Arbeiter: Lieferung der Rohstoffe und Apparate durch den Unternehmer.

Sonderfall: Rationale monopolistische Organisation von Hausindustrien auf Grund von Privilegien im Finanz- und populationistischen (Erwerbsversorgungs)Interesse. Oktroyierte Regulierung der Arbeitsbedingungen mit Erwerbskonzessionierung.

δ. Schaffung von Werkstattbetrieben ohne rationale Arbeitsspezialisierung im Betriebe bei Appropriation sämtlicher sachlicher Beschaffungsmittel durch den Unternehmer. Im Bergbau: Appropriation der Vorkommen, Stollen und Apparate durch Besitzer. Im Transportwesen: Reedereibetrieb durch Großbesitzer. Folge überall: Expropriation der Arbeiter von den Beschaffungsmitteln.

ε. Als letzter Schritt zur kapitalistischen Umwandlung der Beschaffungsbetriebe: Mechanisierung der Produktion und des Transports. Kapitalrechnung. Alle sachlichen Beschaffungsmittel werden (»stehendes« oder Betriebs)-Kapital. Alle Arbeitskräfte: »Hände«. Durch Verwandlung der Unternehmungen in Vergesellschaftungen von Wertpapierbesitzern wird auch der Leiter expropriiert und formal zum »Beamten«, der Besitzer material zum Vertrauensmann der Kreditgeber (Banken).

Von diesen verschiedenen Typen ist

1. auf dem Gebiet der Landwirtschaft der Typus 1, a überall, aber in der Form a, β (Hauskommunion und Sippenwirtschaft) in Europa nur stellenweise, dagegen in Ostasien (China) typisch vertreten gewesen, – der Typus b (Dorf- und Markgemeinschaft) in Europa und Indien heimisch gewesen, – der Typus c (gebundene Grundherrschaft) überall heimisch gewesen und im Orient teilweise noch jetzt heimisch, – der Typus d in den Formen α und β (Grundherrschaft und Fiskalherrschaft mit systematischer Feldumteilung der Bauern) in mehr grundherrlicher Form russisch und (in abweichendem Sinn: Bodenrentenumteilung) indisch, in mehr fiskalischer Form ostasiatisch und vorderasiatisch- ägyptisch gewesen. Der Typus e (freie Renten- Grundherrschaft mit Kleinpächtern) ist typisch in Irland, kommt in Italien und Südfrankreich, ebenso in China und im antik hellenistischen Orient vor. Der Typus f (Plantage mit unfreier Arbeit) gehörte der karthagisch- römischen Antike, den Kolonialgebieten und den Südstaaten der amerikanischen Union an, der Typus g (Gutswirtschaft) in der Form α (Trennung von Bodenbesitz und Betrieb) England, in der Form β (Betrieb des Bodenbesitzers) dem östlichen Deutschland, Teilen von Österreich, Polen, Westrußland, der Typus h (bäuerliche Besitzer-Wirtschaft) ist in Frankreich, Süd- und Westdeutschland, Teilen Italiens, Skandinavien, ferner (mit Einschränkungen) in Südwestrußland und besonders im modernen China und Indien (mit Modifikationen) heimisch.

Diese starken Verschiedenheiten der (endgültigen) Agrarverfassung sind nur zum Teil auf ökonomische Gründe (Gegensatz der Waldrodungs- und der Bewässerungskultur), zum andern auf historische Schicksale, insbesondere die Form der öffentlichen Lasten und der Wehrverfassung, zurückzuführen.

2. Auf dem Gebiet des Gewerbes – die Transportund Bergverfassung ist noch nicht universell genug geklärt – ist

a) der Typus 2, a, α. (Stammesgewerbe) überall verbreitet gewesen.

b) Der Typus a, β (Kastengewerbe) hat nur in Indien universelle Verbreitung erlangt, sonst nur für deklassierte (»unreine«) Gewerbe.

c) Der Typus b, α (oikenmäßige Gewerbe) hat in allen Fürstenhaushalten der Vergangenheit, am stärksten in Ägypten, geherrscht, daneben in den Grundherrschaften der ganzen Welt, in der Form b, β (demiurgische Gewerbe) ist er vereinzelt überall (auch im Okzident), als Typus aber nur in Indien, verbreitet gewesen. Der Sonderfall 1 (Leibherrschaft als Rentenquelle) herrschte in der Antike, der Sonderfall II (leiturgische Leistungsspezifikation) in Ägypten, dem Hellenismus, der römischen Spätantike und zeitweise in China und Indien.

d) Der Typus c [freies Gewerbe] findet seine klassische Stätte als herrschender Typus im okzidentalen Mittelalter und nur dort, obwohl er überall vorkam und insbesondere die Zunft universell (namentlich: in China und Vorderasien) verbreitet war, – freilich gerade in der »klassischen« Wirtschaft der Antike völlig fehlte. In Indien bestand statt der Zunft die Kaste.

e) Die Stadien der kapitalistischen Entwicklung fanden beim Gewerbe außerhalb des Okzidents nur bis zum Typus β universelle Verbreitung. Dieser Unterschied ist nicht ausschließlich durch rein ökonomische Gründe zu erklären.


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