§ 30. Höchstmaß formaler Rationalität der Kapitalrechnung


§ 30. Das Höchstmaß von formaler Rationalität der Kapitalrechnung von Beschaffungsbetrieben ist erreichbar unter den Voraussetzungen:

1. vollständiger Appropriation aller sachlichen Beschaffungsmittel an Besitzer und vollkommenen Fehlens formaler Appropriation von Erwerbschancen auf dem Markt (Gütermarktfreiheit);

2. vollkommener Autonomie der Auslese der Leiter durch die Besitzer, also vollkommenen Fehlens formaler Appropriation der Leitung (Unternehmungsfreiheit);

3. völligen Fehlens der Appropriation sowohl von Arbeitsstellen und Erwerbschancen an Arbeiter wie umgekehrt der Arbeiter an Besitzer (freie Arbeit, Arbeitsmarktfreiheit und Freiheit der Arbeiterauslese);

4. völligen Fehlens von materialen Verbrauchs-, Beschaffungs- oder Preisregulierungen oder anderen die freie Vereinbarung der Tauschbedingungen einschränkenden Ordnungen (materiale wirtschaftliche Vertragsfreiheit);

5. völliger Berechenbarkeit der technischen Beschaffungsbedingungen (mechanisch rationale Technik);

6. völliger Berechenbarkeit des Funktionierens der Verwaltungs- und Rechtsordnung und verläßlicher rein formaler Garantie aller Vereinbarungen durch die politische Gewalt (formal rationale Verwaltung und formal rationales Recht);

7. möglichst vollkommener Trennung des Betriebs und seines Schicksals vom Haushalt und dem Schicksal des Vermögens, insbesondere der Kapitalausstattung und des Kapitalzusammenhalts der Betriebe von der Vermögensausstattung und den Erbschicksalen des Vermögens der Besitzer. Dies wäre generell für Großunternehmungen formal optimal der Fall: 1. in den Rohstoffe verarbeitenden und Transportunternehmungen und im Bergbau in der Form der Gesellschaften mit frei veräußerlichen Anteilen und garantiertem Kapital ohne Personalhaftung, 2. in der Landwirtschaft in der Form (relativ) langfristiger Großpacht;

8. möglichst formaler rationaler Ordnung des Geldwesens.

Der Erläuterung bedürfen nur wenige (übrigens schon früher berührte) Punkte.

1. Zu Nr. 3. Unfreie Arbeit (insbesondere Vollsklaverei) gewährte eine formal schrankenlosere Verfügung über die Arbeiter als die Miete gegen Lohn. Allein a) war der erforderliche, in Menschenbesitz anzulegende Kapitalbedarf für Anschaffung und Fütterung der Sklaven größer als bei Arbeitsmiete, –

b) war das Menschenkapitalrisiko spezifisch irrational (durch außerwirtschaftliche Umstände aller Art, insbesondere aber im höchsten Grad durch politische Momente stärker bedingt als bei Arbeitsmiete), – c) war die Bilanzierung des Sklavenkapitals infolge des schwankenden Sklavenmarkts und der darnach schwankenden Preise irrational, – d) aus dem gleichen Grund auch und vor allem: die Ergänzung und Rekrutierung (politisch bedingt), – e) war die Sklavenverwendung im Falle der Zulassung von Sklaven-Familien belastet mit Unterbringungskosten, vor allem aber mit den Kosten der Fütterung der Frauen und der Aufzucht der Kinder, für welche nicht schon an sich eine ökonomisch rationale Verwertung als Arbeitskräfte gegeben war, – f) war volle Ausnutzung der Sklavenleistung nur bei Familienlosigkeit und rücksichtsloser Disziplin möglich, welche die Tragweite des unter d angegebenen Moments noch wesentlich in ihrer Irrationalität steigerte, – g) war die Verwendung von Sklavenarbeit an Werkzeugen und Apparaten mit hohen Anforderungen an die Eigenverantwortlichkeit und das Eigeninteresse nach allen Erfahrungen nicht möglich, – h) vor allem aber fehlte die Möglichkeit der Auslese: Engagement nach Probe an der Maschine und Entlassung bei Konjunkturschwankungen oder Verbrauchtheit.

Nur bei a) der Möglichkeit sehr billiger Ernährung der Sklaven, – b) regelmäßiger Versorgung des Sklavenmarkts, – c) plantagenartigen landwirtschaftlichen Massenkulturen oder sehr einfachen gewerblichen Manipulationen hat sich der Sklavenbetrieb rentiert. Die karthagischen, römischen, einige koloniale und die nordamerikanischen Plantagen und die russischen »Fabriken« sind die wichtigsten Beispiele dieser Verwertung. Das Versiegen des Sklavenmarkts (durch Befriedung des Imperium) ließ die antiken Plantagen schrumpfen; in Nordamerika führte der gleiche Umstand zur stetigen Jagd nach billigem Neuland, da neben der Sklaven-nicht noch eine Grundrente möglich war; in Rußland konnten die Sklavenfabriken die Konkurrenz des Kustar (Hausindustrie) nur sehr schwer und die Konkurrenz der freien Fabrikarbeit gar nicht aushalten, petitionierten schon vor der Emanzipation ständig um Erlaubnis zur Freilassung der Arbeiter und verfielen mit Einführung der freien Werkstattarbeit.

Bei der Lohnarbeitermiete ist a) das Kapitalrisiko und der Kapitalaufwand geringer, – b) die Reproduktion und Kinderaufzucht ganz dem Arbeiter überlassen, dessen Frau und Kinder ihrerseits Arbeit »suchen« müssen, – c) ermöglicht deshalb die Kündigungsgefahr die Herausholung des Leistungsoptimums, – d) besteht Auslese nach der Leistungsfähigkeit und -willigkeit.

2. Zu Punkt 7. Die Trennung der Pachtbetriebe mit Kapitalrechnung von dem fideikommissarisch gebundenen Grundbesitz in England ist nichts Zufälliges, sondern Ausdruck der dort (wegen des Fehlens des Bauernschutzes: Folge der insularen Lage) seit Jahrhunderten sich selbst überlassenen Entwicklung. Jede Verbindung des Bodenbesitzes mit der Bodenbewirtschaftung verwandelt den Boden in ein Kapitalgut der Wirtschaft, steigert dadurch den Kapitalbedarf und das Kapitalrisiko, hemmt die Trennung von Haushalt und Betrieb (Erbabfindungen fallen dem Betrieb als Schulden zur Last), hemmt die Freiheit der Bewegung des Kapitals des Wirtschafters, belastet endlich die Kapitalrechnung mit irrationalen Posten. Formal also entspricht die Trennung von Bodenbesitz und Landwirtschaftsbetrieb der Rationalität der Kapitalrechnungsbetriebe (die materiale Bewertung des Phänomens ist eine Sache für sich und kann je nach dem maßgebenden Bewertungsstandpunkt sehr verschieden ausfallen).


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