2. Diderot


2. Weit entschiedener als der vorsichtige d'Alembert war der zweite Herausgeber, die eigentliche Seele des ganzen Unternehmens, zu dem er allein gegen tausend Artikel beisteuerte: Denis Diderot (1713-84). Ein vielseitiger Kopf, der auch auf dem Gebiete des Dramas und des Romans von Bedeutung ist, stellt er in seiner persönlichen philosophischen Entwicklung zugleich die der französischen Aufklärungsphilosophie im ganzen dar. Ausgehend von Locke und namentlich Shaftesbury, tritt er zuerst (1745) als Theist, sehr bald aber, von Bayle beeinflußt, als skeptischer Deist auf, um einige Zeit darauf in seinen Pensées sur l'interprétation de la nature (1754) zu einem pantheistischen oder, wenn man will, atheistischen Materialismus in der Art Buffons überzugehen, bei dem er dann verharrte. Deutlicher als in den zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Abhandlungen lernt man Diderots Innerstes in seinem Briefwechsel und anderen erst 1830/31 veröffentlichten Inédits kennen, unter denen besonders die Unterhaltungen zwischen d'Alembert und Diderot (Diderot liebt die Dialogform) und der Traum d'Alemberts (1769) zu nennen sind. Seine sämtlichen Werke sind zuletzt 1875 ff. in 20 Bänden (Paris) herausgegeben worden.

Während Diderot in seiner skeptischen Periode noch ausgerufen hatte: »O Gott, ich weiß nicht, ob du bist, aber ich will in meinen Gesinnungen und Taten so verfahren, als ob du mich denken und handeln sähest,« erklärt er später: Es gibt nur ein einziges großes Individuum, das Weltall. Das Gehirn, ja die ganze Welt ist ein sich selbst spielendes Klavier. Die Natur bedarf keines persönlichen Gottes, ebensowenig wie der Mensch einer anderen Unsterblichkeit als des Fortlebens im Nachruhm. Er verwahrt sich indessen gegen eine bloß mechanische oder atomistische Auffassung der Natur. Er setzt der passiven, unorganischen eine aktive, organische Natur entgegen, wie z.B. der Organismus die Nahrung in Blut und Nerven umsetzt, und auch »der Stein fühlt« Das Bewußtsein freilich, gesteht er einmal zu, läßt sich als bloßes Aggregat empfindungsfähiger Stoffteile nicht erklären.

Auch in seinen ethischen Ansichten ist ein Schwanken bemerkbar. Anfangs verteidigt er lebhaft die Existenz eines besonderen moralischen Sinnes; später setzt er ihn aus einer unendlichen Menge kleiner Erfahrungen zusammen, deren wir uns nur nicht immer bewußt sind. Aber seine ursprüngliche Tugendbegeisterung tritt doch immer wieder hervor; er kämpft gegen Helvetius und La Mettrie. Die geschichtlichen Zusammenhänge versteht auch dieser Aufklärer nicht; er hält die verderblichen politisch- sozialen Zustände seiner Zeit für das Machwerk herrschsüchtiger Schurken; man brauche dem Menschen nur seine ursprüngliche Freiheit wiederzugeben. »Wollt ihr, dass der Mensch frei und glücklich sei, so mischt euch nicht in seine Geschäfte!« Der religiöse Glaube ist ihm eine Quelle verderblicher Wirkungen; die Übel in der Welt zeugen gegen das Dasein eines gütigen Gottes. Es gibt nirgends absolute Normen. - Auch die Kunst (Essai de peinture 1765, übersetzt mit Anmerkungen von Goethe) soll nur das Wirkliche darstellen. Der Bucklige ist für die Natur in seiner Art ebenso vollkommen wie die mediceische Venus. Das Schöne wird von ihm den Naturformen untergeordnet und büßt damit seine Selbständigkeit ein.

Trotzdem Diderot, durch seine kühn-geniale Persönlichkeit fast noch mehr als durch seine Schriften, in seinem engeren Kreise sehr einflußreich war, hat er doch weder eigenartige philosophische Gedanken geäußert noch auf seine Zeit im großen nachhaltig eingewirkt. Die Revolution führte die Asche Voltaires und Rousseaus, nicht die seinige in das Pantheon über. Während Diderot im Grunde doch ein begeisterter Idealist blieb, den nur die Zeitströmung in das Lager des Materialismus getrieben hatte, sind die eigentlichen folgerechten Vertreter des letzteren zwei eingewanderte Deutsche: Grimm und Holbach.


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