1. Wolffs Schule


Wolff war der erste deutsche Philosoph, der eine Schule gründete, wozu seine lehrhafte Art auch ganz wie geschaffen war. Ludovici, der eine Geschichte der Wolffschen Philosophie schrieb, zählt schon im Jahre 1737 nicht weniger als 107 schriftstellernde Wolffianer auf! Sie hatten fast sämtliche deutschen Katheder inne. Freilich blieb ihnen wenig mehr zu tun, als die Philosophie ihres Meisters in mehr oder weniger geschickten Kompendien weiter auszuarbeiten. Zu seinen treuesten Schülern gehörte der früh verstorbene Thümmig (1697-1728), dessen Institutiones philosophiae Wolfianae zahlreiche Auflagen erlebten, und Bilfinger (1693-1750), dessen Dilucidationes philosophicae lange als das beste Lehrbuch der Wolffschen Metaphysik galten. Ein anderer, mehr eklektischer Typus ist der ständige Sekretär der Berliner Akademie Samuel Formey (1711-1797), der in seiner ebenso bändereichen wie oberflächlichen La belle Wolffienne (1741 bis 53) das Wolffsche System dem gemeinen Menschenverstand anzupassen suchte. Zu Wolffs Anhängern zählten Männer und Frauen aller Stände, Orthodoxe und Freidenker, Protestanten und Jesuiten. Viele verbanden mit ihrem Wolffianismus lutherische Rechtgläubigkeit; er wurde zu einer Art protestantischer Scholastik, wie einst Melanchthons Lehre. Nur einem gelang eine wirkliche Erweiterung des Systems: Alexander Baumgarten (1714-1762).

Gerade das eine Gebiet, welches von Wolff unbearbeitet gelassen war, hatte sich inzwischen in Deutschland zu entwickeln begonnen. Da der geistige Tätigkeitstrieb im öffentlichen Leben keine Nahrung fand, warf er sich auf die Literatur und die ästhetische Kritik. Es war die Zeit, wo Gottsched, der übrigens auch 1734 eine Weltweisheit im Sinne der Wolffschen Metaphysik verfaßte, der Diktator des literarischen Geschmackes in Deutschland war. Der von Gottscheds Gegnern, den Schweizern, angeregte Alexander Baumgarten, ein geborener Berliner, 1735 Dozent in Halle, seit 1740 Professor der Philosophie in Frankfurt a. O., nahm sich vor, die von Wolff in der Enzyklopädie des Wissens gelassene Lücke auszufüllen. Wie Wolffs Logik das »obere«, so soll Baumgartens Aesthetica oder »Empfindungslehre« (1750-58) das »untere« Erkenntnisvermögen, d.h. die sinnliche Wahrnehmung behandeln. Der Wahrheit als der logischen entspricht die Schönheit als die sinnliche Vollkommenheit. Freilich gilt ihm die Schönheit nur als »verworrene« Wahrheit, die Kunst besteht in der Nachahmung der Natur, und seine Wissenschaft vom Schönen ist tatsächlich nur eine weitschweifige, langweilig pedantische Poetik. Immerhin aber war das künstlerische Schaffen als ein selbständiges von der verstandesmäßigen Regelung abgesondert.

Baumgarten hat übrigens unsere philosophische Begriffssprache nicht bloß mit der seit ihm herrschend gebliebenen, selbst durch Kant nicht umgestürzten Benennung »Ästhetik«, sondern auch mit einer Reihe anderer Kunstausdrücke bereichert, die dann durch seine viel gebrauchten Lehrbücher auch in die Sprache anderer Philosophen, insbesondere Kants, übergegangen sind. So ist besonders der heute geltende Gebrauch von »subjektiv« und »objektiv«, wenn er auch schon bei Leibniz vorkommt, hauptsächlich doch auf ihn zurückzuführen. Seine tausend Paragraphen zählende Metaphysica (1739, 7. Aufl. 1779) hat u. a. Kant als Handbuch für seine Vorlesungen gedient.

Als Apostel der neuen Lehre, die allmählich den Begriff der »Dichtkraft« auch über die Poesie hinaus zu erweitern suchte, wirkte Baumgartens ältester Schüler G. F. Meier (1718-1777) in Halle, der gegen Gottsched für die Schweizer (Bodmer, Breitinger) und Klopstock eintrat, in der Psychologie zu Lockes Empirismus hinneigte und eine Menge von Lehrbüchern verfaßt hat.


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