2. Erkenntnistheorie


Hume zieht die Konsequenzen aus Lockes und Berkeleys Sensualismus. Wie Locke bezeichnet auch er es als erste Aufgabe der Philosophie, die Natur unseres Verstandes dadurch festzustellen, dass wir den Ursprung unserer Vorstellungen untersuchen. Wie Locke und Berkeley, unterscheidet auch er in seiner Weise Sensation und reflection, nämlich: 1. die starken und lebhaften Empfindungen oder Eindrücke (impressions), welche die Sinneswahrnehmungen in uns hervorrufen, wozu aber außer dem Hören, Sehen und Fühlen auch das Hassen, Wünschen und Wollen gehören; 2. die matteren und dunkleren Vorstellungen (ideas) oder Gedanken (thoughts), die in der Erinnerung an jene »Eindrücke« bestehen, deren »Nachbilder« (Kopien) sie sind. Ohne vorhergegangenen Eindruck keine Vorstellung. Selbst zu den scheinbar abstraktesten Vorstellungen muß das Original in den impressions aufgesucht werden. Auch für die geometrischen Gebilde z.B. sind letzter Maßstab die Sinne und die Einbildungskraft. Die ganze schöpferische Kraft der Seele besteht nur in der Fähigkeit, den durch die Sinne und die Erfahrung gewonnenen Stoff zu verbinden, umzustellen, zu erweitern oder zu vermindern. Selbst die Vorstellung von Gott ist nur eine Steigerung der menschlichen Eigenschaften der Güte und Weisheit ins Unbegrenzte. Ein Blinder kann sich keine Farben, ein Tauber keine Töne vorstellen. Die Eindrücke sind die wahren »angeborenen Ideen«.

Aber stärker als Locke ist Hume für die Kritik des Erkennens interessiert, namentlich in der Enquiry, während der Treatise noch vorzugsweise Erkenntnispsychologie getrieben hatte. Er fragt daher weiter: Auf welche Weise erfolgt jene Verbindung (association), jene notwendige Verknüpfung der Vorstellungen oder Gedanken, die sich, wenn auch in losester Weise, selbst in unseren Träumen findet, und durch die allein Erkenntnis möglich wird? Auf dreierlei Art, durch: a) Ähnlichkeit, b) räumlich-zeitliche Berührung, c) kausalen Zusammenhang. Im Mittelpunkt des Humeschen Philosophierens steht das Problem des letzteren, der Kausalität. Eine Klasse von Vorstellungen wird dabei, wenigstens in der Enquiry, ausgeschieden: die Sätze der Mathematik. Denn sie enthalten lediglich an und für sich, d.h. durch Anschauung oder durch Demonstration, gewisse Beziehungen der Vorstellungen aufeinander; wenn auch völlige Exaktheit nur den Schlußfolgerungen der Arithmetik zugesprochen werden kann. Alle anderen Erkenntnisse dagegen sind solche von Tatsachen, wie z.B. der Gedanke, dass morgen die Sonne aufgehen wird. Wie steht es mit deren Gewißheit? Sie beruht, wenn wir näher nachforschen, auf der Erkenntnis von Ursache und Wirkung. Diese aber stammt lediglich aus der - Erfahrung. Ohne Hilfe von Beobachtung und Erfahrung ist es unmöglich, irgendeine Wirkung oder Ursache bestimmen zu können. Die Vernunft vermag weiter nichts, als die einzelnen Erfahrungsregeln auf größere Einfachheit, auf wenige »allgemeine« Ursachen wie z.B. Elastizität, Schwere, Kohäsion, Stoßbewegung u. ä. zurückzuführen, welche die letzten Gründe der Dinge nicht enthüllen. Auch die vollkommenste Philosophie der Natur schiebt unsere Unwissenheit nur ein kleines Stück zurück; ebenso die Metaphysik und Moralphilosophie. So ist »menschliche Schwäche und Blindheit das Ergebnis aller Philosophie« Auch das reine Denken in der Geometrie vermag der Naturwissenschaft nicht zur Kenntnis der letzten Ursachen zu verhelfen, sondern setzt die durch die Erfahrung entdeckten Naturgesetze voraus und hilft ihr nur bei der »Auffindung« [besser: genaueren Formulierung] und Anwendung der letzteren. Dass in jenem »kleinen Stück« aller Wert menschlicher Wissenschaft liegt, dass er selbst mit seinen Erfahrungs-»regeln«, seinen »allgemeinen« Ursachen, seiner »Hilfe« bei der Auffindung und Anwendung der Naturgesetze die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit wissenschaftlicher Gesetzmäßigkeit zugibt, merkt Hume in seinem sensualistisch-empirischen Eifer gegen das Denken a priori gar nicht.

Alle Erfahrungsbeweise scheinen ihm vielmehr darauf hinauszulaufen, dass man von ähnlichen Ursachen ähnliche Wirkungen erwartet, kurz: auf die Macht der Gewohnheit und das daraus entspringende Glauben. Gewohnheit »ist die große Führerin im Leben« Sie allein »macht uns unsere Erfahrung nützlich und läßt uns in der Zukunft einen gleichen Lauf der Ereignisse erwarten; wie in der Vergangenheit geschehen« Sie ist ein »Prinzip« und eine wirkende Kraft unserer geistigen Natur. Man merkt überall, dass Hume nicht von der mathematisch-physikalischen Wissenschaft ausgeht. Die »mathematischen« Wissenschaften scheinen ihm nur deshalb vor den »moralischen« (heute: Geisteswissenschaften) im Vorteil zu sein, weil ihre Vorstellungen wahrnehmbar und deswegen (!) immer »klar und deutlich« (Descartes) sind; anderseits erfordern sie freilich längere und verwickeltere Schlußketten. In dem Treatise hatte er auch ihre Gewißheit bezweifelt; in der Enquiry tut er das zwar nicht mehr, schließt sie aber dafür ganz von seinem Hauptprobleme aus, verwendet sie nicht zu der Begründung der Physik, die nach ihm vielmehr auf den gewohnheitsmäßigen Wahrnehmungen von Sukzessionen und deren bloßer Verbindung (Assoziation) durch den Verstand beruht. Auch der Begriff des Raumes oder der Ausdehnung ist nur aus oft wiederholten sinnlichen Eindrücken entstanden; worin sein Wissenschaftswert besteht, fragt Hume nicht. Immerhin aber fühlt er sich doch im Laufe seiner Untersuchung, namentlich im Kapitel Über die Wunder, gedrungen, die verschiedensten Grade der Gewißheit, von der höchsten Sicherheit bis zur niedrigsten Wahrscheinlichkeit, zuzugeben. Freilich beruht dies Gewißheitsgefühl für ihn nicht auf logischen Gesetzen, sondern auf der Lebhaftigkeit und Energie der betreffenden Vorstellung. Und entscheidend für sein Vertrauen auf die Gesetzmäßigkeit der Natur ist schließlich sein Interesse an moralischer und religiöser Aufklärung (s. S. 118).

Der Jahrhunderte alte Streit um Freiheit und Notwendigkeit scheint unserem reinen Empiriker nur ein Streit um Worte. Die Vorstellung einer Notwendigkeit entstammt nur der Erfahrung; aus der immer wieder wahrgenommenen Gleichförmigkeit der natürlichen Folgen ist die Gewohnheit ihrer Verknüpfung in unserem Vorstellen entstanden. Auf dem Willensoder moralischen Gebiete besteht die »Notwendigkeit« in der regelmäßigen Verbindung der Handlungen mit den Beweggründen, Umständen und Charakteren, die »Freiheit« in der Macht, je nach seinem Entschluß, zu handeln oder nicht zu handeln; was mit dem soeben definierten Begriff der Notwendigkeit durchaus vereinbar ist. Denn Freiheit bedeutet den Gegensatz zum Zwang, nicht zur Notwendigkeit, sonst wäre sie = Zufall, d.h. ein rein negativer Begriff, ohne Bedeutung, wenn man ihn in strengem Sinne faßt. Die Versöhnung aber von menschlicher Freiheit und göttlicher Allwissenheit oder die Verteidigung unbedingter Ratschlüsse, wobei die Gottheit doch nicht als der Urheber des Bösen gelten soll, hält Hume für ein Gebiet, das über die Kraft der Philosophie gehe. Deren bescheidene Aufgabe bestehe in der Erforschung des »gewöhnlichen Lebens«.


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