Religiöse Toleranz


Auch diejenigen, die nicht der christlichen Religion anhängen, schrecken wenigstens keinen davon zurück und bereiten keinem eine Anfechtung, der sie angenommen hat. Nur ein Einziger aus unserer Gesellschaft wurde während meiner Anwesenheit auf Utopia verhaftet. Dieser nämlich, ein Neugetaufter, disputierte, obwohl wir es ihm widerriethen, öffentlich mit mehr Eifer als Klugheit über das christliche Glaubensbekenntnis, bis er so in Hitze geraten war, dass er es nicht nur über alle andern erhob, sondern die übrigen auch alle als profan verdammte und ihre Bekenner als Gottlose und Verruchte verlästerte, denen das höllische Feuer ins Gebein fahren solle.

Da er zum Volke dergestalt redete, ergriffen sie ihn und klagten ihn, nicht der Verächtlichmachung anderer Glaubensbekenntnisse, sondern der Erregung von Aufruhr im Volke schuldig, an, verurteilten und bestraften ihn sodann mit Verbannung. Denn es ist eine ihrer ältesten gesetzlichen Einrichtungen, dass seine Religion keinem zum Nachteile gereichen dürfe.

Denn Utopus hatte von Anfang an vernommen, dass die Ureinwohner schon vor seiner Ankunft beständig Religionsstreitigkeiten unter einander geführt hatten, und da er bemerkt hatte, dass dies zu einer allgemeinen Spaltung Veranlassung gab, indem sie sich nur als einzelne Sekten an der Verteidigung ihres Vaterlandes beteiligen, und dass ihm dadurch die Gelegenheit sehr erleichtert worden war, sie alle der Reihe nach zu besiegen, so setzte er, nachdem dies erreicht war, vor allen Dingen fest, dass Jeder einer beliebigen Religion solle anhängen dürfen, dass es ihm aber auch freigestellt sei, andere für seinen Glauben zu werden, doch nur mit dem Beding, dass er andere Religionen nicht rauh und bitter angreife, wenn es ihm nicht gelingt, durch Zureden etwas auszurichten, und dass er keine Gewaltmittel anwende und alle Schmähungen unterdrücke. Einer, der in diesem Punkte allzu unleidlich vorgeht wird mit Verbannung oder Sklaverei bestraft.

Dieses Gesetz hat Utopus nicht nur der Erhaltung des Friedens wegen gegeben, den er unter persönlichem Streit und unversöhnlichem Haß von Grund aus zerstört werden sah, sondern, weil er auch der Meinung war, dass eine solche Entscheidung im Interesse der Religion selbst gelegen sei, über welche er sich keine vermessenen Aufstellungen erlauben wollte, als ob er nicht wisse, ob nicht Gott selbst verschiedenartige und vielfache Cultusformen wünsche, und dem einen diese, dem andern jene Religion eingebe.

Aber mit Gewalt und Drohungen erzwingen, dass das, was du für wahr hältst, auch alle Andern wahr bedünken solle, das hielt er für unverschämt und abgeschmackt. Wenn nun höchstens eine Religion die wahre ist, und die andern nichtig und eitel sind, so hat er doch unschwer vorausgesehen (wenn die Sache nur mit Vernunft und Mäßigung behandelt wird), dass die innere Kraft der Wahrheit sich glänzend Bahn brechen werde.

Wenn aber mit den Waffen in der Hand und im Aufruhr gestritten wird, so würde, da die schlechtesten Menschen die hartnäckigsten sind, die beste und heiligste Religion, wie die Saat unter Dörnern und Sträuchern, unter einem Wust abergläubischer Wahnvorstellungen erstickt werden.

So hat er diese ganze Frage offen gelassen und einem jeden es völlig freigestellt, was er glauben wolle und was nicht. Nur das eine hat er hoch und teuer verboten, dass jemand so tief unter die Würde der menschlichen Natur sinke, dass er des Glaubens sei, die Seele sterbe zugleich mit dem Leibe, oder die Welt werde nur so von ungefähr, ohne höhere Vorsehung, im Getriebe erhalten.

Und so glauben sie denn, dass die Laster nach diesem Leben bestraft werden, für die Tugend aber Belohnungen ausgesetzt sind; den, der das Gegenteil glaubt, erachten sie gar nicht für ein menschliches Wesen, als einen, der die erhabene Natur seiner Seele bis zur Stufe eines bloß tierischen Körpers erniedrigt hat, und sie versagen ihm noch mehr Rang und Stellung eines Bürgers unter ihnen, deren Einrichtungen und Gebräuche er (wenn ihm die Furcht darin nicht Schranken setzte) nur »wie Luft« behandeln würde. Denn wem kann ein Zweifel darüber bleiben, dass ein solcher die öffentlichen vaterländischen Gesetze entweder hinterlistig heimlich umgehen, oder sie gewaltsam übertreten wird, da er nur seinen persönlichen Lüsten dient, wenn er über die Gesetze hinaus nichts fürchtet und keine Hoffnung weiter hegt, als für seinen Körper.

Einem so Gesinnten wird daher keinerlei Ehre erwiesen, kein obrigkeitlicher Posten übertragen, er kann keinem öffentlichen Amte vorstehen. Er wird überall, wegen seiner trägen, unnützen Natur verachtet. Gleichwohl belegen sie ihn nicht mit Strafe, weil sie der Überzeugung sind, dass keiner es in seiner Macht und Willkür habe, einen beliebigen glauben zu bekennen; aber ebensowenig zwingen sie ihn, seine Gesinnung zu verstellen und zu heucheln, denn von Lüge und Verstellung wollen sie nichts wissen, diese sind vielmehr, als dem Betruge schon sehr nahe kommend, bei ihnen streng verpönt. Doch ist ihm verboten, sich in Erörterungen über seine abweichenden Ansichten einzulassen, wenigstens vor dem gemeinen Volke. Aber vor den Priestern und ernsten gesetzten Männern das zu tun, dazu werden sie im Gegenteil sogar ermahnt, indem man sich dem Vertrauen hingibt, ihr Wahnwitz werde doch endlich der Vernunft weichen.

Es gibt auch solche, und deren gar nicht wenige, die man ungehindert gewähren läßt, die nicht gänzlich der Vernunft entbehren und die nicht schlecht sind, die vielmehr in den entgegengesetzten Fehler verfallen und auch die Seele der Tiere für ewig halten. Aber sie seien doch mit den unsrigen an Würde nicht zu vergleichen und nicht zu dem gleichen Grade von Glück geboren, denn sie glauben fast insgesamt mit vollendeter Sicherheit, das Glück der Menschen in jenem Leben werde ein so überschwängliches sein, dass sie zwar Jedermanns Krankheit, aber niemands Tod beweinen, außer den Derjenigen, die sie ungern und angsterfüllt aus dem Leben scheiden sehen. Denn das halten sie für ein höchst übles Anzeichen, als ob dessen Seele aller Hoffnung bar sei und ein schlechtes Gewissen habe und als ob sie in dunkler Ahnung vor der bevorstehenden Strafe sich fürchte, das Leben zu verlassen. Überdies werde der, meinen sie, Gott keineswegs willkommen sein, der, wenn er gerufen wird, sich nicht freudig zu ihm drängt, sondern nur unwillig und widerstrebend in seine Nähe gezogen wird. Ein derartiger Tod hat für die Zuschauer etwas Grauenhaftes; trauernd und schweigend tragen sie einen so Gestorbenen hinaus und, nachdem sie gebetet, dass Gott seiner abgeschiedenen Seele gnädig sein und ihr ihre Sünden verzeihen möge, verscharren sie den Leichnam unter die Erde.


 © textlog.de 2004 • 13.05.2024 07:35:03 •
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