22. Geschlechtsmoral und Ehegesetze


Die Frau heiratet nicht vor dem achtzehnten Jahre; der Mann nicht, bevor er noch vier Jahre älter geworden. Wird eine Frau vor ihrer Verheiratung verbotenen Umgangs überführt, So wird das sowohl an ihr, als am Manne schwer geahndet. Beiden Teilen wird die Ehe verboten, wofern nicht die Verzeihung des Fürsten das Vergehen sühnt: aber auch der Familienvater oder die Mutter, in deren Hause dieses begangen worden, unterliegen der Entehrung, weil sie die ihrem Schutze Befohlenen schlecht behütet haben.

Die Utopier bestrafen dieses Vergehen deswegen so streng, weil sie voraussehen, dass es sonst kommen werde, dass nur wenige in ehelicher Liebe sich vereinigen würden, worin ein jeder ein ganzes Leben mit einer Person verbleiben und obendrein alle Unannehmlichkeiten geduldig ertragen muß, die der Ehestand mit sich bringt, wenn die Leute sich dem zügellosen Konkubinate hingeben dürften.

Bei der Wahl des Ehegatten beobachten sie einen nach unserem Dafürhalten höchst albernen und besonders lächerlichen Gebrauch in vollem Ernste und mit aller Strenge.

Eine gesetzte und ehrbare Matrone zeigt die zu Verheiratende, sei diese nun Jungfrau oder Wittwe, völlig nackt dem sich um sie Bewerbenden und ein ehrenwerter Mann zeigt umgekehrt den völlig nackten Werber dem Mädchen.

Während wir aber diese Sitte als eine unschickliche verlachten und mißbilligten, wundern sich die Utopier hingegen über die hervorragende Torheit aller übrigen Völker, die, wenn sie ein erbärmlicher Pferd erstehen wollen, wo es sich nur um wenige Geldstücke handelt, so ungemein vorsichtig sind, dass sie sich weigern, es zu kaufen, obwohl das Tier von Natur fast nackt ist, wenn nicht auch noch der Sattel abgehoben wird und die Pferdedecken und Schabracken entfernt werden, weil unter diesen Bedeckungen ja ein Geschwür verborgen sein könne — in der Auswahl der Gattin aber, woraus Lust oder Ekel für das ganze Leben folgt, so fahrlässig verfahren, dass sie die Frau kaum nach einer Spanne Raum (da ja außer dem Gesicht nichts zu sehen ist), bei sonst völlig in Kleider eingehülltem Körper beurteilen und abschätzen und eine Verbindung mit ihr schließen, nicht ohne große Gefahr eines elenden Zusammenlebens, wenn hinterdrein anstößige Gebrechen an ihr entdeckt werden.

Denn alle Männer sind durchaus nicht Weise in dem Maße, dass sie bloß auf den sittlichen Wert sehen, und auch in den Ehen der Weisen bilden körperliche Vorzüge eine nicht unwillkommene Zugabe zu den Tugenden des Geistes und Gemütes.

Unter allen jenen Hüllen kann ja eine so abschreckende Häßlichkeit verborgen sein, dass sie das Gemüt des Mannes seiner Frau ganz und gar zu entfremden vermag, wenn schon eine Scheidung von Tisch und Bett nicht möglich ist. Wenn nun diese Häßlichkeit zufällig erst nach geschlossener Ehe entdeckt wird, muß Jeder eben sein Los tragen; es ist daher Sache der Gesetze, Vorsorge zu treffen, dass einer nicht in eine solche Falle gerate, und es war das um so ernstlicher zu berücksichtigen, weil von allen in jenen Weltteilen gelegenen Völkern sie allein sich mit einer Gattin begnügen und die Ehe selten anders als durch den Tod gelöst wird, wofern nicht ein Ehebruch vorliegt, oder der eine Ehepart einen unausstehlichen Charakter hat.

Wenn nämlich einer von beiden Teilen in dieser Weise verletzt wird, erhält er vom Senate die Erlaubnis, den Gatten zu wechseln, der andere Teil muß ehrlos in lebenslänglicher Ehelosigkeit leben.

Sonst aber ist es durchaus unerlaubt, dass ein Gatte seine Frau deswegen verstoße weil sie durch einen Unfall körperlichen Schaden nimmt, wenn sie sonst keinerlei Schuld trifft das hält man für eine Grausamkeit, jemand preiszugeben und zu verlassen, wenn er gerade am meisten des Trostes bedarf und dass dem Alter, wo sich Krankheiten einstellen, ja das eine Krankheit selber ist, die gelobte Treue von dem anderen Teile gebrochen wird.

Übrigens kommt es zuweilen vor, dass, wenn die Gatten ihren Charaktereigenschaften nach schlecht zusammenpassen, sobald sie jeder eine andere Partie gefunden haben, in welcher sie glücklicher leben zu kommen hoffen, sich freiwillig trennen und beiderseits neue Ehen eingehen, allerdings nicht ohne die Ermächtigung des Senates dazu, der eine Ehescheidung nicht zugibt, bevor er nicht selbst und unter Zuziehung der Ehefrauen seiner Mitglieder den Fall gründlich ventiliert hat. Doch auch dann wird die Sache nicht leichtlich zugelassen, denn sie wissen sehr wohl, dass es nicht zur Befestigung der Gattenliebe beiträgt, wenn die begründete Aussicht besteht, eine neue Ehe schließen zu können.

Ehebrecher werden mit der härtesten Sklaverei bestraft, und wenn keiner von beiden Teilen unverheiratet war, können sich die jungen Ehegatten, denen durch den Ehebruch Unrecht geschehen, gegenseitig heiraten, indem sie den schuldigen Teil verstoßen, oder sonst wen sie wollen zum Gatten nehmen.

Wenn aber Mann oder Frau, die in dieser Weise verletzt worden sind, zu dem betreffenden Gatten, der es so wenig verdient, noch immer Liebe hegt, so tritt das Gesetz dem Fortbestände der Ehe nicht entgegen, wenn er dem zur Arbeit verurteilten anderen Teile folgen will; es kommt übrigens zuweilen vor, dass die Reue des einen Teils und das ernstliche Bestreben des andern das Mitleid des Fürsten erregt und die Freiheit des Schuldigen erwirkt.

Einen Rückfälligen trifft der Tod.


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