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Ursprünge des Geschmacks an Kunstwerken

119.

Ursprünge des Geschmacks an Kunstwerken. — Denkt man an die anfänglichen Keime des künstlerischen Sinnes und fragt sich, welche verschiedentlichen Arten der Freude durch die Erstlinge der Kunst, zum Beispiel bei wilden Völkerschaften, hervorgebracht werden, so findet man zuerst die Freude, zu verstehen, was ein andrer meint; die Kunst ist hier eine Art Rätselaufgeben, das dem Erratenden Genuss am eigenen Schnell- und Scharfsinn verschafft. — Sodann erinnert man sich beim rohesten Kunstwerk an das, was einem in der Erfahrung angenehm war und hat insofern Freude, zum Beispiel wenn der Künstler auf Jagd, Sieg, Hochzeit hingedeutet hat. — Wiederum kann man sich durch das Dargestellte erregt, gerührt, entflammt fühlen, beispielsweise bei Verherrlichung von Rache und Gefahr. Hier liegt der Genuss in der Erregung selber, im Siege über die Langeweile. — Auch die Erinnerung an das Unangenehme, insofern es überwunden ist, oder insofern es uns selber als Gegenstand der Kunst vor dem Zuhörer interessant erscheinen lässt (wie wenn der Sänger die Unfälle eines verwegenen Seefahrers beschreibt), kann große Freude machen, welche man dann der Kunst zugute rechnet. — Feinerer Art ist schon jene Freude, weelche beim Anblick alles Regelmäßigen und Symmetrischen, in Linien, Punkten Rhythmen, entsteht; denn durch eine gewisse Ähnlichkeit wird die Empfindung für alles Geordnete und Regelmäßige im Leben, dem man ja ganz allein alles Wohlbefinden zu danken hat, wachgerufen: im Kultus des Symmetrischen verehrt man also unbewusst die Regel und das Gleichmaß als Quelle seines bisherigen Glücks; die Freude ist eine Art Dankgebet. Erst bei einer gewissen Übersättigung an dieser letzterwähnten Freude entsteht das noch feinere Gefühl, dass auch im Durchbrechen des Symmetrischen und Geregelten Genuss liegen könne; wenn es zum Beispiel anreizt, Vernunft in der scheinbaren Unvernunft zu suchen: wodurch es dann, als eine Art ästhetischen Rätselratens, wie eine höhere Gattung der zuerst erwähnten Kunstfreude dasteht. — Wer dieser Betrachtung weiter nachhängt, wird wissen, auch welche Art von Hypothesen hier zur Erklärung der ästhetischen Erscheinungen grundsätzlich verzichtet wird.