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Das erfüllte Christentum

96.

Das erfüllte Christentum. — Es gibt auch innerhalb des Christentums eine epikureische Gesinnung, ausgehend von dem Gedanken, dass Gott von dem Menschen, seinem Geschöpf und Ebenbilde, nur verlangen könne, was diesem zu erfüllen möglich sein müsse, dass also christliche Tugend und Vollkommenheit erreichbar und oft erreicht sei. Nun macht zum Beispiel der Glaube, seine Feinde zu lieben — selbst wenn es eben nur Glaube, Einbilldung und durchaus keine psychologische Wirklichkeit (also keine Liebe) ist — , unbedingt glücklich, solange er wirklich geglaubt wird (warum? darüber werden freilich Psycholog und Christ verschieden denken). Und so möchte das irdische Leben durch den Glauben, ich meine die Einbildung, nicht nur jenem Anspruche, seine Feinde zu lieben, sondern allen übrigen christlichen Ansprüchen zu genügen und die göttliche Vollkommenheit nach der Aufforderung „seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ wirklich sich angeeignet und einverleibt zu haben, in der Tat zu einem seligen Leben werden. Der Irrtum kann also die Verheißung Christi zur Wahrheit machen.