Ton
Zunächst bitte ich jeden Leser, mir einen einfachen Versuch nachzumachen. Er lasse sich einmal eine beliebige Seite mit all ihren unds, abers und oders völlig tonlos vorlesen, hierauf eine andere beliebige Seite mit guter Betonung, nur mit Hinweglassung dieser Konjunktionen. Er wird ohne Zweifel meine Erfahrung bestätigt finden, dass der Ton für das Verständnis wichtiger ist als der Gebrauch der Konjunktionen. Man achte ferner darauf (Beispiele finden sich in K. F. Beckers "Organism der Sprache" 2. Aufl. S. 471 f., einem tiefdringenden und feinhörigen, mit Unrecht von Steinthal vielgeschmähten Buche), Welcher Luxus mit Konjunktionen in wissenschaftlichen und in epischen Darstellungen getrieben wird, während sie in der dramatischen Rede oft und mit besonderer Wirkung fortgelassen werden. Denn das Wegfallen der Konjunktion (Wegfallen ist ein alberner Schulausdruck) zwingt zu starker dramatischer Betonung. Man achte endlich wo möglich auf den Unterschied zwischen dem innern Denken, dem häuslichen Geplauder und der Anwendung einer offiziellen korrekten Sprache. Überdenken wir eine Sache, so gehen dabei sämtliche Glieder des Gedankengangs durch unser Bewußtsein, aber kein einziges "und", kein einziges "aber", kein einziges "oder". Bescheiden ist der Gebrauch dieser Worte auch im intimen Gespräche der Familien. Erst die Fremdheit zwischen Sprecher und Hörer, erst die Sorge, dass die Seelensituation des einen nicht die des anderen sei, nötigt zu der Eselsbrücke der Konjunktionen, von denen dann natürlich besonders der gespreizte Stil des Schulaufsatzes und der Kandidatenprosa (das Wort ist von Lichtenberg) wimmelt. Kümmern wir uns nicht um Schwätzerei, halten wir uns an den ernsten Gebrauch der Konjunktionen. Da sind sie in die tonlose Schriftsprache gekommen, um den Mißverständnissen abzuhelfen, die aus der Tonlosigkeit entstehen. Was sie aber bewirken, ist zuletzt nur eine unbestimmte Erregung der Aufmerksamkeit. Nicht in den und, aber, oder liegt der Sinn, den die Grammatik ihnen beilegt. In den Gedankenverhältnissen liegt der Sinn, und fast jedes Gedankenverhältnis läßt sich in jede dieser Konjunktionen hineinlegen.