Zum Hauptinhalt springen

Subjekt überflüssig

Nun hat uns schon unsere Betrachtung der Syntax an dieselbe Stelle geführt. Und zwar schon die Syntax des einfachen Satzes. Auch die Grammatik mit allen ihren syntaktischen Regeln weiß mit den beiden Worten "Baum" und "Eiche" nichts anzufangen. Einzig und allein unsere vom Interesse geleitete Aufmerksamkeit kann die Grundfrage entscheiden: welcher der beiden Begriffe für den anderen bestimmend sein soll, welcher von ihnen zum Subjekt und welcher zum Prädikat gemacht werden soll. Genau wie in der Logik wird es von unserer Aufmerksamkeit (grammatikalisch gesprochen; von der vorausgegangenen Frage) abhängen, ob der Satz lauten wird "dieser Baum ist eine Eiche" oder "die Eiche ist ein Baum". Und jetzt darf ich wohl endlich dasjenige aussprechen, was am weitesten aus unseren gebildeten Sprachgewohnheiten herausfällt und was doch unserem wirklichen Denken entspricht. Ich glaube nämlich, dass derjenige Satzteil, der seit der Begründung einer Grammatik immer für den wichtigsten gehalten und an erster Stelle genannt worden ist, wie er denn auch überall in der Wortfolge die erste Stelle einnimmt, dass das Subjekt der überflüssigste Satzteil ist, ja recht eigentlich eine langweilige und pedantische Gewohnheit unserer Sprache, dasjenige formelhaft besonders zusammenzufassen, was dem Sprechenden und dem Hörenden gemeinsam ist, was überhaupt erst Veranlassung zu ihrer Unterhaltung bietet. Stehen zwei Menschen vor einem Eichbaum und ist ihnen oder einem von ihnen dies Ereignis interessant genug, um es zu beschwatzen, so ist ein grammatikalisch gebildeter Satz mit einem ordentlichen Subjekt gar nicht notwendig. Die Anschauung, die sie zum Sprechen verleitet, die Gegenwart, die sie umgibt, die Augenblickswelt, in der sie leben, ist das Subjekt des Gedankens, der sich sofort äußern wird. Ja, ich könnte das noch subtiler ausdrücken und sagen: es ist jedesmal das Ich des Sprechenden das einzige Subjekt jedes Satzes, weil in jedem einzelnen Augenblicke das Ich nur aus der Anschauung des Augenblicks besteht. Hat der Eichbaum eben jetzt mein Interesse, meine Aufmerksamkeit erregt, so besteht ja mein Ich zur selben Zeit fast aus gar nichts Anderem als aus dem Sinneseindruck dieses Eichbaums. Und nun wird in den meisten Fällen der Gedanke so zu Worte kommen, dass entweder gesagt wird "eine Eiche" oder "ein Baum". Das Subjekt war das zu bestimmende, das vor uns steht; es braucht gar nicht ausgedrückt zu werden. Nur das Prädikat muß ausgesprochen werden, der bestimmende Begriff, das Prädikable. Und je nachdem der Sinneseindruck zuerst die Vorstellung von Baum oder Eiche in mir weckte, wird das Prädikat entweder erzählend lauten "eine Eiche" oder erklärend "ein Baum".