Ellipse
Schon die Bedeutungen der beiden Worte Subjekt und Ellipse Prädikat sprechen für diese Auffassung. Das Subjekt ist das dem Urteil zugrunde liegende, also die Wirklichkeit, die Anschauung, die gar nicht in Worte gefaßt zu werden braucht; das Prädikat ist das, was ausgesagt wird, was allein gesagt zu werden braucht. Die Grammatiker in ihrer unergründlichen Pedanterie nennen es eine Ellipse, wenn das Subjekt fortgelassen und allein das ausgesagt wird, was gesagt zu werden braucht. Danach wäre es einzig und allein die langweiligste, erschöpfendste Schwätzerei, die frei wäre von Ellipsen. Ich kann hier nur obenhin darauf hinweisen, dass diese Anschauung von der Überflüssigkeit des Subjekts ein plötzliches Licht wirft auf die sogenannten unpersönlichen Sätze, über deren Wesen in den letzten Jahren so viel geschrieben worden ist. "Es blitzt" scheint mir ein viel normalerer Satz zu sein als die Weitschweifigkeit "dieser Baum ist eine Eiche". Die natürliche Antwort auf einen fragenden Blick lautet "eine Eiche". Sagt man dafür "es ist eine Eiche", so ist das unpersönliche Fürwort doch nur ein symmetrisches Zierstück. Ebenso ein Zierat ist in denjenigen Sprachen, die diese zufällige Gewohnheit haben, das "es" in dem klassischen Satze "es blitzt".
Die Grammatiker haben ja eben die Analogiebildungen des Sprachgebrauchs in sogenannte Regeln gebracht und haben in ihrer Schulmeisterweisheit diejenigen Fälle, in welchen die Sprache andere Bildungen bevorzugt, die Ausnahmen von ihren Regeln genannt. Es liegt in diesem Begriff "Ausnahme" eine unerschöpfliche Fülle von Torheit und Hochmut.
Eine ähnliche Überschätzung der Grammatik hat zu der Aufstellung des Begriffs Ellipse geführt. Schon die landläufige Definition dieses Wortes hat für unseren kritischen Standpunkt etwas Lächerliches. "Die Ellipse entsteht durch die Weglassung von Satzteilen, die durch die Vollständigkeit des Satzes zwar bedingt sind, deren Hinzufügung aber gegen den Sprachgebrauch ist" (Leitfaden von Wetzel). Ich möchte wissen, wer oder was diese Satzteile bedingt, wenn der Sprachgebrauch sie für überflüssig erklärt hat. Hinter der schlichten Definition, die den armen Schulkindern eingetrichtert wird, steckt doch nur die Armut der Grammatiker, wie wir sie bei den Römern auf ihrem Gipfel finden, und die uns nur deshalb bei unseren eigenen Lehrern weniger verblüfft, weil wir die Grammatik unserer eigenen Zeit gewissermaßen wie die Kleidermode der eigenen Zeit gewohnt sind. Das Schlimmste an der Definition ist aber die Behauptung, dass eine Ellipse durch Weglassung "entstehe". Wäre etwas Wahres daran, so müßte die Ellipse die "Weglassung" selber sein. Aber selbst der Begriff "Weglassung" erschleicht schon eine ungehörige Forderung der Grammatik, die nämlich, dass eigentlich nur ein vollständiger Satz richtig sei. Es ist gar nicht auszudenken, wie langweilig eine vollständige Sprache nach dem Herzen der Grammatiker wäre. Man mache sich das einmal klar. Für den Grammatiker müßte es schon eine Ellipse heißen, wenn ich in der Kneipe auf mein Glas klopfe, anstatt zu sagen: "Ein Bier." Sage ich aber ausdrücklich "Ein Bier", so nennt das der Grammatiker wirklich eine Ellipse; sein Ordnungssinn wäre erst befriedigt, wenn ich hübsch ausführlich gerufen hätte: "Bringen Sie mir ein Glas Bier." Der Grammatiker vergißt jedoch, dass diese gewählte Ausdrucksweise immer noch unvollständig wäre, immer noch eine logische Ellipse, dass ich durch meinen Ruf mit dem Kellner oder vielmehr mit seinem Herrn einen Vertrag schließe und dass mein Gedanke erst dann vollständig war, wenn ich ihn ausführte: "Holen Sie mir in nicht zu langer Zeit in einem Glas vom Ausschank einen halben Liter des hier angezapften Faßbiers, stellen Sie es mir zu meinem Gebrauch bereit, und nehmen Sie zugleich meine Versicherung entgegen, dass ich mich verpflichte, nachher und heute noch den auf der Karte verzeichneten Preis Ihrem Herrn in Ihre Hand zu bezahlen." Auch diese Bestellungsform, deren Ende der Kellner wohl nicht abwarten würde, wäre aber immernoch eine Ellipse, weil zu der Vollständigkeit des Gedankens noch einige Umstände gehören würden: die Herstellungsart des Biers, seine Temperatur, die Schaumhöhe und das Versprechen eines Trinkgeldes wäre immer noch weggelassen.
Die Grammatiker treiben mit dem Begriff Ellipse heute keinen solchen Mißbrauch mehr wie in früheren Jahrhunderten; aber sinnlos ist die ganze Aufstellung dieses syntaktischen Gebildes immer noch genug. Ja, die Definition paßt eigentlich auf keinen einzigen Fall einer wirklichen Weglassung. Denn jedesmal, Wo nach unserem Sprachgefühl wirklich von einer Weglassung die Rede sein kann, Wo der Satz für unser Empfinden unvollständig geblieben ist ("ich werde euch ..."), da liegt nach der Klassifikation der Grammatik nicht eine Ellipse vor, sondern eine Verschweigung, eine Aposiopesis.
Man sollte nie vergessen, dass die Sprache nicht der Grammatik wegen da ist. Das scheinen aber die Grammatiker zu glauben, trotzdem nicht einmal die bescheidene Umkehrung berechtigt wäre. Sie haben aber säuberlich zwei Arten der Ellipse aufgestellt, die grammatische Ellipse, bei der nur ein einzelner Satzteil weggelassen wird, und die logische Ellipse, bei der gleich ein ganzer Gedanke, ein Satz hinzuzudenken wäre.