Grammatische Ellipse
Bei der grammatischen Ellipse handelt es sich immer darum, dass der Sprachgebrauch mit einem einzelnen Worte eine Vorstellung zu verbinden gelernt hat, zu welcher früher mehrere Worte nötig waren. Überall da nun, wo der Sprachgebrauch die größere Vollständigkeit gar nicht mehr zuließe, Würde selbst der eingefleischteste Grammatiker kaum von einer Ellipse reden; ist doch der ausführlichere Ausdruck oft nur noch den Gelehrten bekannt. "Strumpf" bedeutete z. B. ursprünglich nur den Strunk, das Ende eines Beinkleides und konnte gar nicht anders ausgedrückt Werden als durch "Hosenstrumpf". Das Wort ist völlig verloren gegangen; es gab aber gewiß eine Zeit, wo Strumpf eine Ellipse für Hosenstrumpf war. Auf dieser kürzeren Redeweise beruht eine Unzahl unserer Worte. Wer nun überall da, wo besondere Umstände oder Pedanterie die ausführlichere Redeweise neben der knappern noch gestatten, von einer notwendigen Ergänzung redet, der hat doch wohl keine Ahnung von der Psychologie der Sprache. Ich kann sagen "ich lerne französisch" oder auch "ich lerne die französische Sprache"; der kürzere Ausdruck erzeugt aber durchaus dieselbe Vorstellung, durchaus die gleiche Mitteilung, er hat eine Ergänzung nicht nötig. "Der Pfirsich" kann so nach den begleitenden Umständen die Frucht oder den Baum bedeuten; sage ich nun "der Pfirsich blüht", so wird das Wort eben in der Bedeutung des Baumes gebraucht, und es heißt unser Sprachgefühl auf den Kopf stellen, auf den Kopf der Grammatiker nämlich, wenn der Satz für unvollständig erklärt wird, für eine Ellipse anstatt "der Pfirsichbaum blüht".
Hätte die Ellipse in der Psychologie der Sprache überhaupt eine Berechtigung, so müßte man sie viel weiter ausdehnen; man könnte dann, wie gesagt, zeigen, dass wir niemals vollständig reden. Das Beispiel von einer annähernd vollständigen Bestellung in der Kneipe gibt nur einen schwachen Begriff von dem Blödsinn, der zu einer idealen Vollständigkeit zusammengetragen werden müßte. Ja sogar die Bildungsformen unserer Worte müßten elliptisch genannt werden, weil sie die Kasusverhältnisse des Nomens und die Zeitverhältnisse des Verbums nicht vollständig genug angeben.
Die von den Grammatikern geforderte Ergänzung findet allerdings beim Sprechen unaufhörlich statt; nicht aber Worte treten ergänzend hinzu, sondern unsere Vorstellungen, die entweder durch die umgebende Wirklichkeitswelt oder durch die in den ausgesprochenen Worten liegenden Erinnerungen erweckt werden. Lese ich ohne Zusammenhang, das heißt außerhalb der Sprache das Wort "Burgunder", so kann es — wie man zu sagen pflegt — verschiedenes bedeuten; in Wahrheit bedeutet es gar nichts, bevor nicht dadurch eine bestimmte Vorstellung geweckt wird. Wenn ich es in einem Zusammenhang lese, dass ich mir darunter einen Burgunder-Ritter denken muß, so werde ich nicht etwa sprachlich den Begriff "Ritter" hinzufügen, sondern mir nur einen gewaffneten Menschen vorstellen. Wenn ich aber die Worte höre "nicht wahr, Sie nehmen gern Burgunder", so werde ich doch nicht etwa erst das Wort "Wein" ergänzend hinzufügen müssen, um einzusehen, dass die Hausfrau keinen Burgunder Ritter gemeint habe. Die begleitenden Umstände werden dann die Vorstellung von Wein geben. Eine Weglassung, eine Ellipse liegt nicht vor. Wenn mir der Wirt ein Glas Wein bringt und dazu sagt "vom alten", so werde ich ihn richtig verstehen, ohne das Wort Wein hinzuzudenken; wenn mir die Frau einen Brief zeigt und dazu spricht "vom Alten", so werde ich sie wieder richtig verstehen, ohne ein Wort hinzuzudenken. Ja, diesmal wäre eine Ergänzung sprachlich gar nicht möglich, weil "der alte Mann" wieder eine ganz andere Vorstellung erwecken würde als "der Alte". Die Sache liegt gar nicht anders, als wenn ich das Wort "Strauß" gebrauche oder höre und erst aus dem Zusammenhang erfahre, ob der Vogel oder ein Blumenstrauß gemeint sei. Dass bei dem Worte "Strauß" verschiedene Etymologien zugrunde liegen, hat gar nichts zu sagen. Wer Pfirsich als eine Ellipse für Pfirsichbaum auffaßt, der müßte auch Strauß jedesmal für eine Ellipse erklären, bald für Vogel Strauß, bald für Blumenstrauß.
Wird erst etwas wie die Ellipse als in der Sprache wirksam angenommen, so könnte man wohl die ganze Entwickelung der Sprache auf Ellipsen zurückführen. Wir wissen, dass die Sprache sich durch Metaphern und Analogien allein bereichert. Nun ist es gar nicht anders möglich, als dass der Zeit, in welcher ein Wort seine neue Bedeutung schon selbständig gewonnen hat, eine Zwischenzeit vorausgegangen sei, in der die sprechenden Menschen noch das Bewußtsein der Metapher oder der Analogie hatten. Es hat eine Zeit gegeben, in welcher man zu dem Adjektiv "gelehrt" das Substantiv "Mann" hinzufügen mußte; als dann durch eine metaphorische Anwendung das Adjektiv zur Bedeutung eines Substantivs kam, als man "ein Gelehrter" zu sagen anfing, da wurde das neue Wort zu einer neuen Standesbezeichnung und die sogenannte Ergänzung wäre einfach ein Fehler. Wir sehen aus diesem einfachsten Falle, dass von einer Ellipse im Sinne der Grammatiker nicht die Rede sein kann. Solange ein Wort nicht selbständig geworden ist, so lange läßt man sein Ergänzungswort nicht fort; ist es aber erst selbständig geworden, so kann man doch von einer Weglassung nicht mehr reden. Ebenso steht es um Analogiebildungen, die sich übrigens alle unter irgend eine Art der Metapher bringen ließen. Wenn nach der Einführung der Eisenbahn der einem Wagen ähnliche Kasten (anfangs war die Ähnlichkeit noch größer als heute) "Eisenbahnwagen" genannt wurde, so lag eben noch eine für das Sprachgefühl unentbehrliche Beschreibung vor. Wir können an diesem Beispiel den psychologischen Gang verfolgen. In einem kleinen Provinzstädtchen, wo die Fahrt auf der Eisenbahn nicht zu den alltäglichen Dingen gehört, wird immer noch ausführlich und ohne Weglassung "Eisenbahnwagen" gesagt, weil das Wort "Wagen" immer noch vor allem die Vorstellung eines von Pferden gezogenen Wagens erweckt. Wo aber das Fahren auf der Eisenbahn alltäglich geworden ist, da mag zuerst die Bequemlichkeit das fünfsilbige Wort abgekürzt haben, bis "Wagen" ("Waggon" wird seltener) ebenso leicht den Kasten der Eisenbahn wie den alten von Pferden gezogenen Wagen in die Vorstellung brachte. Von einer Ellipse kann nicht die Rede sein, nicht von einer Ergänzung durch ein Wort. Wenn von einer Ergänzung gesprochen werden könnte, so wäre es nur von einer durch die begleitenden Umstände, durch die umgebende Wirklichkeitswelt. Wenn Freunde auf einem Bahnhof stehen, genau in der Mitte zwischen dem Zuge und dem Droschkenhalteplatz, und wenn nun der eine von ihnen fragt, "in welchen Wagen steigst du ein", so wird der andere aus den begleitenden Umständen (ob er nämlich abfährt oder ankommt) ohne den geringsten Zweifel und ohne die geringste Wortergänzung verstehen, ob ein Eisenbahnwagen oder eine Droschke gemeint sei.
Nimmt man die Ellipse als einen sinnreichen Begriff, so müßte eigentlich zu jedem einzelnen Worte seine ganze Geschichte und dazu sein Artikel aus dem Konversationslexikon aufgesagt werden, damit der Grammatiker sich nicht mehr über Weglassungen und Unvollständigkeiten zu beklagen hätte. Bei bildlichen Ausdrücken, deren Bildlichkeit noch empfunden wird, müßte jedesmal ausdrücklich wie bei Homer die ganze Vergleichung durchgeführt werden; es läge sonst eine Ellipse vor.
Die Sprache der Kinder, die uns überhaupt die Entstehung der Worte aus Metaphern und Analogien so anschaulich lehrt, wäre voll von kunstreichen Ellipsen, wenn die Grammatiker recht hätten. Das geht sowohl auf die Fälle eines angeblich falschen wie eines angeblich richtigen Sprachgebrauchs. Wenn das Kind meiner Nachbarin meine Hühner Wauwaus nennt, weil es bisher kein anderes Tier als einen Hund gesehen hatte, so übt es einfach sein Recht auf individuelle Sprache. Dachte es sich unter Wauwau etwas Lebendiges, sich Bewegendes und nennt nun mit diesem Worte auch ein Huhn, so liegt es einem Kindergehirn doch himmelfern, etwa Wauwau als ein Adjektiv zu empfinden und nun ein abstraktes Substantiv wie "Ding" oder "Wesen" und dergleichen zu ergänzen. Ebenso wenig ist es eine Ellipse, wenn das Kind sagt "Onkel Hut". Ohne jede Wortergänzung ergeben die begleitenden Umstände, ob der Onkel seinen Hut aufsetzen, ihn dem Kinde zum Spielen geben oder ihn in die Höhe werfen soll. Die grammatische Ellipse ist eine Spielerei der Grammatiker.