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Apperzeption

Durch solche Gedanken muß man, wie mich dünkt, zu der Überzeugung gelangen, dass die zufälligen syntaktischen Kategorien unserer zwischen dem Mittelmeer und der Gegend von Island gerade in diesem Augenblicke gebrauchten Sprachen, dass unsere syntaktischen Regeln für die immer noch behauptete Aufgabe der Sprache, für die Welterkenntnis, nicht mehr Bedeutung haben als etwa die Figuren eines Kontretanzes für Gefühle, die ein Liebespaar zu dem Tanze zusammenführen mögen. Mag der Tanzmeister sich ärgern, wenn das Paar Brust an Brust gepreßt die Figur vergißt oder gar vergessen hat, dass der Walzer keine Polka ist, der Dreitakt kein Zweitakt. Die beiden Leute werden sich auch im Zweitakt verstehen. Und wenn nachher in der Kritik der Logik, der logischen Syntax, das Wesen der Apperzeption klar werden kann, so wird die pedantische Lächerlichkeit aller Syntax vielleicht plötzlich von ihrer psychologischen Seite her klar werden. Es ist ja wirklich nur ein ewiger Drei- oder Zweitakt, in welchem unaufhörlich bald langsamer, bald schneller unsere Erkenntnis von der Wirklichkeitswelt fortschreitet und in welchem sich auch die Sprache bewegen müßte, wenn sie jemals imstande wäre, dem psychologischen Vorgang zu folgen. Jedes Fortschreiten in der Erkenntnis, jede Bereicherung unserer Sprache (und kein Blick unseres Auges, kein Augenblick kann gedacht werden ohne eine solche minimale Bereicherung) ist ein Vorgang von Apperzeption, ein Vorgang, in welchem die Gesamtheit unseres bisherigen Wortschatzes, die Gesamtheit unserer bisherigen Weltanschauung eine neue Beobachtung in sich aufnimmt, sich durch ihre Assimilation erweitert, so wie irgend ein zu unterst stehender Tierorganismus ohne sichtbare Organe Nahrung in sich aufnimmt. Alle natürliche Syntax der Sprache sollte also nur darin bestehen, dass sie eine Kategorie hätte für die vorhandene Anschauung oder doch für den Teil derselben, der gerade die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, und für die Bereicherung oder nähere Bestimmung dieser Anschauung oder dieses ihres Teils; man mag die erste weite Vorstellung das Subjekt nennen, die zweite, neu bestimmend herantretende Vorstellung das Prädikat. Aber nicht einmal diese überaus vagen Bezeichnungen würden sich festhalten lassen. Denn selbst da kommt es noch darauf an, was unser Interesse erregt hat, was eigentlich für unsere Aufmerksamkeit das bestimmende und das bestimmte Glied ist. Man denke, dass Kolumbus nach allen Sorgen und Gefahren sein Ziel erreicht hat, ein Ziel, das er bekanntlich nicht ahnte und niemals erkennen lernen sollte, man stelle sich vor, dass in diesem Augenblicke die ungeheure Bereicherung der menschlichen Welterkenntnis, das, was man die neue Zeit nennt, sich zuerst und mit der ersten Ahnung in seinem Gehirn vollzieht und dass der sprachliche Ausdruck dieses ungeheuren Ereignisses sprachlich ebenso gut heißen konnte: "Das ist Land" als "Land ist dort". Ich weiß nicht, ob ein Grammatiker der Welt in diesem Augenblick blödsinnig genug gewesen wäre, darüber nachzudenken, ob "Land" richtiger und logischer als Subjekt oder als Prädikat ausgesprochen werde. Der Matrose im Mastkorb aber war kein Grammatiker. Er wußte nichts von Subjekt und Prädikat, wie die Wirklichkeit und die Natur nichts davon weiß. "Land!" rief er, und die neue Zeit brach an, trotzdem die Syntax dabei zu kurz kam.

Alle Syntax hat nur einen Zweck: für den Sprecher und für den Hörer möglichst bequem aneinander zu reihen, was in dem großen Zweitakt des Denkens in jedem Falle die bestimmende Vorstellung und was die bestimmte Vorstellung sei. Was in der Logik das Urteil ist, das ist in der Grammatik der Satz. Meine Satzlehre oder Syntax muß also in ihrem Ergebnis mit der Logik zusammentreffen, wenn ich nicht an jedem Werte dieser Untersuchungen verzweifeln soll. Diese Übereinstimmung aber ist jetzt zustande gekommen, ohne dass ich bei diesem Abschnitt an das später zu Lehrende gedacht hatte. Erst das Ergebnis der syntaktischen Untersuchung erinnert mich, allerdings zu meiner Freude, an das logische Ergebnis.