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Substantiv und Adjektiv

Was ist ein Adjektiv? Wäre die Sprachforschung nicht seit jeher auf dem logischen Abwege gewesen, sie hätte seit Locke langsam zu der Antwort kommen müssen, die hier fast ohne Vorbereitung paradox erscheinen wird: Wir bezeichnen mit einem substantivischen Wort die Gesamtheit aller Sinneseindrücke, die wir von einem und demselben Ding als seiner Ursache herleiten, z. B. wir bezeichnen mit "Apfel" das Ding, das uns so und so groß, so und so gefärbt, so und so duftig, so und so süß erscheint, wir bezeichnen mit "Sonne" das Ding, dessen Größe (resp. Entfernung), dessen Licht, dessen Wärme wir so und so empfinden; wir bezeichnen aber mit einem adjektivischen Worte einen einzelnen Sinneseindruck, den wir unter den von einem Ding hervorgerufenen Empfindungen aus irgend einem Interesse besonders bemerken wollen oder müssen, z. B. wir achten je nach Umständen darauf, dass der Apfel "rot", "duftig", "groß", "süß", dass die Sonne "weit", "hell", "warm" ist. (Wenn wir zufällig Röte, Duft, Süßigkeit, Helligkeit, Wärme sagen, hört darum der adjektivische Charakter nicht auf.)

Wenn man nun bedenkt, dass alle abstrakten Worte neuerer Mache sind, dass die ältere Sprache — selbstverständlich und nachweislich — mit konkreteren Worten auskam, dass aber, wie wir eben entdeckten, alle konkreten Adjektive (die Neubildung muß wohl gestattet sein) sich psychologisch von den konkreten Substantiven nur durch die Zahl der bezeichneten Sinneseindrücke unterscheiden, so fällt das Gerede von zwei Kategorien oder Formen, denen sie angehören, zusammen. Hier also schon, an der Schwelle, will die Sprache oder das Denken künstliche Kategorien in die lachende Wirklichkeit hineintragen.

Und man hüte sich wohl, zu glauben, jetzt sei also das Adjektiv als älter anzusprechen, weil es nur Einen Eindruck bezeichne, das Substantiv aber zwei bis sechs oder je nach Zahlung noch mehr. Denn erstens ist der Gesamteindruck natürlicherweise gewöhnlich früher da als die Einzelempfin-dung, "Apfel" früher als "rot". Zweitens aber ist ja eben — und darauf lege ich die Betonung — nur die Sinnesempfindung wirklich und das Zeichen für sie gleichgültig. Vor der Unterscheidung zwischen Substantiv und Adjektiv ist der Sinneseindruck da. Und wo nur eine Empfindung überhaupt vorhanden ist, da verschwindet der Unterschied zwischen Adjektiv und Substantiv. Wenn das Kind einen glänzenden Punkt am Himmel sieht und keine Nebenempfindung hat, so ist es gleich, ob es "Stern" sagt oder "hell"; ähnlich ist es oft gleich, ob wir sagen "Wasser" oder "naß", "Feuer" oder "heiß". Ganz gleich; in Wort und Gedanken gleich.

Und der Fall liegt nicht anders, wenn wir von der Nähe eines Dings überhaupt erst durch eine seiner Eigenschaften erfahren, ohne das Ding vorher durch Gesicht oder Getast wahrgenommen zu haben. Wenn wir z. B. eine heiße Ofenplatte berühren (wo dann nicht das Getast, sondern der Temperatursinn zuerst reagiert), wenn wir einen Bovist riechen, ohne ihn zu sehen. Auch dann hat uns ja nur einer unserer Sinne eine Eigenschaft vermittelt, zu der unser Verstand die Ursache sucht: das Ding.

Es ist also schon hier klar, dass der Unterschied, der etwa dem Unterschiede zwischen den Kategorien von Substantiv und Adjektiv entsprechen könnte, ein unvergleichlich anderer ist in der Wirklichkeitswelt und in der Sprachwelt. Will ich die Gesamtheit von Empfindungen (oder vielmehr ihre gemeinsame Ursache) mit einem Worte vage bezeichnen, so sage ich ein sogenanntes Substantiv; beachte ich einen Teil davon, eine einzelne Empfindung, so sage ich ein Adjektiv; beobachte ich diese Einzelempfindung so aufmerksam, dass ich an ihr wieder etwas zu unterscheiden imstande bin, so wird das Zeichen wieder ein Substantiv, ein Abstraktum (Apfel — rund — Rundung). So schwanken die scheinbar festen Kategorien wirr durcheinander, wie Traumbilder von jeder Stimmung des Augenblicks abhängig. Und noch mehr. Wenn es gewiß ist, dass der natürliche Mensch — heut wie in einer Urzeit — früher das Ding wahrnahm als seine Eigenschaft, so ist es ebenso gewiß, dass er das Ding doch nur nach einer Sinnesempfindung merken, bezeichnen, benennen konnte, dass er das Substantiv aus adjektivischen Worten metaphorisch bildete. Beispiele lassen sich nur aus der jüngsten Schicht der Sprache beibringen; aber es muß immer so gewesen sein.