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Sprachen und Logiken

Die Linguisten haben schon gezeigt, dass unsere Grammatik nicht die aller Sprachen, daß sie vielmehr gar sehr nur die einer Minderheit ist. Es wäre eine schöne und fast unlösbare Aufgabe der Fachleute, die Logiken der anderen Sprachgruppen zu schreiben. So, wie das aber bisher versucht worden ist, scheint mir jeder Versuch ergebnislos zu sein. Jeder Versuch, die Logik der dravidischen, chinesischen usw. Sprache durch Vornahme einer Übersetzung in die Muttersprache zu gewinnen, wird zu einer ungewollten Fälschung. A. Stöhrs "Algebra der Grammatik" will die Grundzüge einer neuen Kunstsprache bieten, ohne Rücksicht auf die Grammatiken der Wirklichkeit, aber er ist zu gläubig für die Logik und ihre Algebra; solche Versuche sind oft nur Äußerungen unfruchtbaren Scharfsinns.

Sigwart läßt sich (I. 29) die Äußerung entschlüpfen, er könne nur innerhalb der entwickelteren Sprachen eine Logik aufstellen wollen. Dieses Geständnis ist wertvoll. Die ganze Logik des Aristoteles ist nichts als eine Betrachtung der griechischen Grammatik von einem interessanten Standpunkte aus. Hätte Aristoteles Chinesisch oder Dakotaisch gesprochen, er hätte zu einer ganz anderen Logik gelangen müssen, oder doch zu einer ganz anderen Kategorienlehre.

Wir Europäer nennen diejenigen Sprachen die entwickelteren, welche für die verschiedenen Kategorien der Logik besondere Redeteile besitzen, als Dingwörter, Eigenschaftswörter usw. Nun scheint es keine Frage zu sein, dass Aristoteles, der Meister aller Logiker, die Kategorien aus den Redeteilen geschöpft habe. Wenn das nicht der Schnitzer des Zirkels ist, dann gibt es keinen circulus vitiosus.

Und es ist wohl zu erwägen, ob unsere entwickelteren Sprachen, welche für den Körper der Frucht, für ihre Farbe und für ihr Duften besondere Kategorien geschaffen haben, welche zwischen der Erdbeere, ihrer Eigenschaft rot und ihrer Tätigkeit duften unterscheiden, ob diese entwickelteren Sprachen nicht das Eindringen in das Innerste der Natur erschwert haben. Köpfe wie Locke und Kant waren nötig, um unser Denken aus den Schubfächern dieser Sprache zu befreien. Was da zur Erdbeere schwillt, was da rot ist und was da duftet, ist ja doch nur eins.

Dazu kommt noch, dass die Naturwissenschaft auf ihrer gegenwärtigen Höhe mit den alten Kategorien der Sprache nichts mehr anzufangen weiß. Wie plump und veraltet ist eigentlich der Unterschied zwischen Eigenschaft und Tätigkeit. Für unsere gegenwärtige Wissenschaft lösen sich alle Eigenschaften in Bewegungen, also Tätigkeiten auf. Wärme ist Bewegung oder Tätigkeit. Der hohe Ton reizt unsere Gehörkörperchen nur häufiger als der tiefe. Die rote Farbe der Erdbeere ist — immer nach der heutigen Anschauung der Wissenschaft — eine Bewegung des imaginierten Äthers, die auf unsere Netzhaut wirkt, der musikalische Ton c ist eine Bewegung der so viel "materiellern" Luft; nur gerade das Duften, das doch durch ganz materielle Teilchen des Stoffes an unser Organ gelangt, ist von der materialistischen Physik noch nicht so genau "erklärt" wie die Vorgänge beim Sehen und beim Hören.

Wäre also unsere Sprache auf gleicher Höhe mit der Wissenschaft, so wäre alles Kategorienwerk schon längst durcheinander geworfen. Wir hätten dann freilich anstatt einer fertigen und so ererbten Gemeinsprache nur eine werdende Fachsprache, die nur ein Bruchteil der Menschen verstehen könnte. Die Sprache, deren sich auch die Wissenschaft bedient, ist aber ein Massenprodukt. Eine entwickeltere Sprache wäre die, welche seit R. Mayer, Helmholtz und Mach gelernt hätte, die alten Eigenschaftsbegriffe der Farben, des Lichts, der Wärme usw. durch Verba, und zwar durch transitive Verba auszudrücken. Solche Änderungen kann der Einzelne nicht machen. Und ich weiß ganz gut, dass es die Menschen "lächern" würde — der Ausdruck ist in der Schweiz üblich — und sie wundern, wenn ein Gelehrter sagen wollte: der Baum "grünt" mich, anstatt: der Baum ist grün.

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