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Schriftsprache

Wir sind allerdings so sehr daran gewöhnt, uns namentlich bei ruhiger Darstellung komplizierter Gedankengänge von den geläufigen Formen der Syntax leiten zu lassen, dass wir die Ordnung der Gedanken der Syntax zu verdanken glauben, während wir in Wirklichkeit beim Sprechen nach einer unbewußten Ordnungsliebe erst die syntaktischen Ausdrucksmittel wählen und beim Hören nach den unbewußt erzeugten Vorstellungsgruppen erst nachher einen Sinn in die syntaktischen Formen hineinlegen. Es fällt uns schwer, uns eine ebenso logische Sprache wie die unsere außerhalb unserer Syntax vorzustellen. Aber wir selbst reden in zweierlei Syntaxen, je nachdem wir die Schriftsprache reden oder die Umgangssprache. Die natürliche Sprache kennt die Periode gar nicht. Man braucht einem Menschen auf der Bühne nur eine längere Periode in den Mund zu legen, und wäre es die bestgebaute Periode, und man kann Heiterkeit damit erregen, — es wäre denn in einem "klassischen" Stücke, dem wir die Schriftsprache zugute halten.

Ich möchte dabei einschalten, dass das Wort Schriftsprache, Wenn wir es genau untersuchen, zwei ganz verschiedene Bedeutungen haben kann. Ich habe es soeben nach dem eingeführten Sprachgebrauch in dem Sinne genommen, der die Schriftsprache als eine dem idealen Muster, der idealen Grammatik sich möglichst nähernde, im Grunde künstliche Sprache der Weit mehr individual gefärbten Umgangsprache entgegenstellt. Mit dieser Vorstellung reden wir dann von einer reinen Sprache oder einer Schriftsprache unserer Dichter, Professoren und Redner. Wohl gemerkt, auch von einer Schriftsprache der Redner. Denn in diesem Sinne wird die Schriftsprache immer noch von den Sprachwerkzeugen geschaffen und von den Gehörwerkzeugen aufgenommen. Sie heißt Schriftsprache nur insofern, als sie sich in ihrer vermeintlichen Schönheit hauptsächlich in den Literaturprodukten finden soll. Geübt wird sie begreiflicherweise nur von den gebildeten Ständen eines Volkes. Ich habe (II. 542 f.) schon darauf hingewiesen, dass sie sich gegenüber den Mundarten als eine ideale Gemeinsprache erst ausbilden konnte, als die Einführung der Buchstaben eine Uniformierung in den Sprachen weiterer Landschaften möglich und notwendig gemacht hatte. Auch darum kommt dieser angeblichen Idealsprache die Bezeichnung Schriftsprache mit Recht zu. Für mein Sprachgefühl liegt schon in dieser Bezeichnung eine Verurteilung.