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Zörgiebel in Paris

Der berliner Polizeipräsident hat seinen pariser Kollegen, den geschäftigen Herrn Chiappe, besucht, und bei dieser Gelegenheit hat er auch die pariser Verkehrseinrichtungen besichtigt. Man sieht ihn in den illustrierten Blättern neben einem pariser Schutzmann stehen, der links ist der Präsident, und im großen ganzen hat es dem Herrn Zörgiebel hier ganz gut gefallen. Was wird er nach Hause bringen –?

Anregungen. Vorschläge. Die »panneaux«, die überall aufstellbaren Tafeln für die Wahlplakate. Neue Möglichkeiten der Verkehrsregelungen … Nur eines wahrscheinlich nicht, und es ist auch nicht gewiß, ob er das in den paar Tagen gesehen hat und hat sehen können. Das ist die weiche Nachgiebigkeit im pariser Straßenverkehr.

Die Pariser sind keine Engel. Hier kommen Autoroheiten vor, wie in aller Welt – erst neulich haben sie wieder einen Mann in der Provinz verknackt, weil der in der Besoffenheit erst einen Passanten umgefahren hat und dann ausgekniffen ist – dergleichen Urteile sind in Frankreich von höchst erzieherischer Härte. Es gibt auch in Paris junge Chauffeure, die nicht gut fahren, es gibt Amateure und ungeschickte Fußgänger und Polizisten, die den Kopf verlieren … das gibt es alles auch. Aber –

Aber die pariser Chauffeure fahren, ohne dass es ihnen einer gesagt hätte, von allein mit geschmeidigen Bogen um Hindernisse herum. Sie weichen aus. Sie bremsen außerordentlich knapp vor dem Ziel. Das liegt nicht nur daran, dass die Taxis hier kleiner sind, daher für die Fahrgäste zwar unbequemer, aber dafür wendiger, leichter zu regieren, bedeutend praktischer als die berliner, deren jeder für zwei Mark und fünfzig einen Luxus entfaltet, der fehl am Ort ist.

Die pariser Chauffeure nehmen aufeinander und auf den Fußgänger Rücksicht, und wenn es einmal gar nicht weitergeht, so lassen sie wohl, mit den Füßen auf der Bremse, das Steuerrad los und heben die Arme über so viel Unverstand, der sich da vor ihnen auftut, zum Himmel – eine lustige Geste. Was aber tut der berliner Chauffeur?

Der berliner Chauffeur hat recht. »Wenn ick fahre, denn fahre ick, und denn ham die ehmt aussuweichen! det wär ja jelacht!« Unvergeßlich jener Chauffeur, der mir einmal sagte: »Ham Sie det jesehn, wie der mit seinen Ferdefuhrwerk is da aus die Querstraße rausgekomm? Wo ick doch det Vorfahrrecht habe – ?« Das kann ich nicht ins Französische übersetzen, denn so etwas gibt es hier nicht. In Deutschland wollen sie ja jetzt den kleinen Kindern auf der Schule, neben den zum Kriege hetzenden Geschichtsfälschungen, auch »Verkehrsunterricht« geben, es ist schon ein Verein dafür da, und bald wird auch eine Reichsstelle dafür dasein. Die Pariser, die in den engen Straßen der pariser Innenstadt viel Kummer mit ihrem Verkehr haben, der mitunter abends gegen halb sieben einfach die Straße verstopft (embouteillage), die Pariser wissen noch in allen ihren Nöten: man kann eben nicht alles kodifizieren. Die Seele vons Buttergeschäft ist der gute Wille, die gegenseitige Rücksichtnahme, jene Höflichkeit, die praktischer ist als das forsche Draufgängertum der mit Offensivgeist getränkten deutschen Fahrer. »Dem wem wir das mal besorgen! Häng doch den Jungen einfach ab!« Hier fließt alles; drüben hackt alles. Verkehr ist ein Spiegel.

Dies wird Herr Zörgiebel nicht nach Deutschland bringen, weil ers vielleicht nicht gesehen hat; und hätte ers gesehen, könnte er es nicht kodifizieren; und könnte er es kodifizieren, so verständen es die Leute nicht; und verständen sie es, so könnten sie es doch nicht nachmachen. Kampf, so weiß es der weise Franzose, lohnt nicht unterhalb fünfzig Centimes. Der Verkehr ist eben keine Schule der Prinzipien, wie solche in Deutschland gedeihen, jeder Einzelfall ist eben nicht der Präzedenzfall, den man ausnützen könnte bis zum Widersinn (Deutschester Einwand: »Da könnte ja dann – –«), und der Asphaltdamm ist nicht dazu da, verhinderten Gesetzgebern und richtenden Möchtegerns Gelegenheit zur Auslegung von »Bestimmungen« zu geben. Aber so ist das im menschlichen Leben: der eine fährt glatt und schnell dahin, und der andere sitzt zeit seines Lebens auf dem Codex.

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 03.04.1928, Nr. 14, S. 534.