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Postulate der praktischen Vernunft

Postulate der praktischen Vernunft. „Wenn ... entweder, daß etwas sei, oder geschehen solle, ungezweifelt gewiß, aber doch nur bedingt ist, so kann doch entweder eine gewisse bestimmte Bedingung dazu schlechthin notwendig sein, oder sie kann nur als beliebig und zufällig vorausgesetzt werden. Im ersteren Falle wird die Bedingung postuliert (per thesin), im zweiten supponiert (per hypothesin).“ „Da es praktische Gesetze gibt, die schlechthin notwendig sind (die moralischen), so muß, wenn diese irgendein Dasein als die Bedingung der Möglichkeit ihrer verbindenden Kraft notwendig voraussetzen, dieses Dasein postuliert werden, darum, weil das Bedingte, von welchem der Schluß auf diese bestimmte Bedingung geht, selbst a priori als schlechterdings notwendig erkannt wird.“ So postulieren die moralischen Gesetze das Dasein eines höchsten Wesens, „aber freilich nur praktisch“, KrV tr. Dial. 2. B. 3. H. 7. Abs. (I 541 f.—Rc 683).

Ein Postulat der reinen praktischen Vernunft nennen wir „einen theoretischen, als solchen aber nicht erweislichen Satz ..., sofern er einem a priori unbedingt geltenden praktischen Gesetze unzertrennlich anhängt“, KpV 1. T. 2. B. 2. H. IV (II 156). Diese Postulate gehen alle vom Grundsatz (Gesetz) der Moralität aus, durch welchen Vernunft unmittelbar den Willen bestimmt, welcher reine Wille diese „notwendigen Bedingungen der Befolgung seiner Vorschrift fordert“. „Diese Postulate sind nicht theoretische Dogmata, sondern Voraussetzungen in notwendig praktischer Rücksicht, erweitern also zwar nicht die spekulative Erkenntnis, geben aber den Ideen der spekulativen Vernunft im allgemeinen (vermittelst ihrer Beziehung auf das Praktische) objektive Realität und berechtigen sie zu Begriffen, deren Möglichkeit auch nur zu behaupten sie sich sonst nicht anmaßen könnte.“ „Diese Postulate sind die der Unsterblichkeit, der Freiheit, positiv betrachtet (als der Kausalität eines Wesens, sofern es zur intelligiblen Welt gehört), und des Daseins Gottes. Das erste fließt aus der praktisch notwendigen Bedingung der Angemessenheit der Dauer zur Vollständigkeit der Erfüllung des moralischen Gesetzes; das zweite aus der notwendigen Voraussetzung der Unabhängigkeit von der Sinnenwelt und des Vermögens der Bestimmung seines Willens nach dem Gesetze einer intelligiblen Welt, d. i. der Freiheit; das dritte aus der Notwendigkeit der Bedingung zu einer solchen intelligiblen Welt, um das höchste Gut zu sein, durch die Voraussetzung des höchsten selbständigen Guts, d. i. des Daseins Gottes.“ „Die durch die Achtung fürs moralische Gesetz notwendige Absicht auf das höchste Gut und daraus fließende Voraussetzung der objektiven Realität desselben führt also durch Postulate der praktischen Vernunft zu Begriffen, welche die spekulative Vernunft zwar als Aufgaben vortragen, sie aber nicht auflösen konnte.“ Also führt sie zur endgültigen Erledigung der Paralogismen (s. d.), Antinomien (s. d.) und des Ideals (s. d.) der reinen Vernunft. Unsere Erkenntnis wird hier „immanent“, aber „nur in praktischer Absicht“ „Denn wir erkennen zwar dadurch weder unserer Seele Natur noch die intelligible Welt noch das höchste Wesen nach dem, was sie an sich selbst sind, sondern haben nur die Begriffe von ihnen im praktischen Begriffe des höchsten Guts vereinigt.“ Die „Möglichkeit“ aller dieser Ideen (s. d.) kann man nicht ergründen, aber, daß sie nicht „wahre Begriffe“ sind, kann niemand bestreiten, ibid. VI (II 168 ff.). Durchs praktische Gesetz, welches die Existenz des höchsten Guts in der Welt gebietet, wird die Möglichkeit der Objekte der Ideen postuliert, „wodurch denn die theoretische Erkenntnis der reinen Vernunft allerdings einen Zuwachs bekommt, der aber bloß darin besteht, daß jene für sie sonst problematischen (bloß denkbaren) Begriffe jetzt assertorisch für solche erklärt werden, denen wirklich Objekte zukommen, weil praktische Vernunft die Existenz derselben zur Möglichkeit ihres, und zwar praktisch schlechthin notwendigen Objekts des höchsten Guts unvermeidlich bedarf, und die theoretische dadurch berechtigt wird, sie vorauszusetzen“. Aber ein „synthetischer Satz“ wird durch diese so gesicherte Realität der Ideen nicht möglich, nur die Existenz, nicht die Beschaffenheit des Übersinnlichen (s. d.) wird dadurch erkannt. Die Ideen werden hier „immanent und konstitutiv, indem sie Gründe der Möglichkeit sind, das notwendige Objekt der reinen praktischen Vernunft (das höchste Gut) wirklich zu machen, da sie ohne dies transzendent und bloß regulative Prinzipien der spekulativen Vernunft sind, die ihr nicht ein neues Objekt über die Erfahrung hinaus anzunehmen, sondern nur ihren Gebrauch in der Erfahrung der Vollständigkeit zu nähern auferlegen“, ibid. VII (II 171 ff.). Das Postulat ist ein Bedürfnis nicht der theoretischen, sondern der praktischen Vernunft, ibid. VIII (II 180 f.).

Postulat ist ein a priori gegebener, keiner Erklärung seiner Möglichkeit (mithin auch keines Beweises) fähiger, praktischer Imperativ. Man postuliert also nicht Sachen oder überhaupt das Dasein irgendeines Gegenstandes, sondern nur eine Maxime (Regel) der Handlung eines Subjekts. — Wenn es nun Pflicht ist, zu einem gewissen Zweck (dem höchsten Gut) hinzuwirken, so muß ich auch berechtigt sein anzunehmen: daß die Bedingungen da sind, unter denen allein diese Leistung der Pflicht möglich ist, obzwar dieselben übersinnlich sind und wir (in theoretischer Rücksicht) keine Erkenntnis derselben zu erlangen vermögend sind“, Fried, i. d. Phil. 1. Abs. B Anm. (V 4, 35). Den Ideen: Gott, Freiheit, Unsterblichkeit kann Realität (s. d.) „nur in praktischer Rücksicht“, als „Postulaten der moralisch-praktischen Vernunft“, zugestanden werden. „Unter diesen Ideen führt also die mittlere, nämlich die der Freiheit, weil die Existenz derselben in dem kategorischen Imperativ enthalten ist, der keinem Zweifel Raum läßt, die zwei übrigen in ihrem Gefolge bei sich; indem er, das oberste Prinzip der Weisheit, folglich auch den Endzweck des vollkommensten Willens (die höchste mit der Moralität zusammenstimmende Glückseligkeit) voraussetzend, bloß die Bedingungen enthält, unter welchen allein diesem Genüge geschehen kann. Denn das Wesen, welches diese proportionierte Austeilung allein zu vollziehen vermag, ist Gott; und der Zustand, in welchem diese Vollziehung an vernünftigen Weltwesen allein jenem Endzweck völlig angemessen verrichtet werden kann, die Annahme einer schon in ihrer Natur begründeten Fortdauer des Lebens, d. i. die Unsterblichkeit. Denn wäre die Fortdauer des Lebens darin nicht begründet, so würde sie nur Hoffnung eines künftigen, nicht aber ein durch Vernunft (im Gefolge des moralischen Imperativs) notwendig vorauszusetzendes künftiges Leben bedeuten“, ibid. V. d. übersinnlichen Gegenständen (V 4, 35 f.). „Postulatum theoreticum... ist eine notwendige Hypothesis der Zusammenstimmung der theoretischen und praktischen Erkenntnis“, N 4953. Vgl. Gott, Unsterblichkeit, Glaube, Primat, Gut (höchstes).