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Höchstes Gut

Gut, höchstes. Glückseligkeit (s. d.) allein ist für unsere Vernunft „bei weitem nicht das vollständige Gut“. Ebenso ist Sittlichkeit (s. d.) allein und mit ihr die Würdigkeit, glücklich zu sein, „noch lange nicht das vollständige Gut“. „Um dieses zu vollenden, muß der, so sich als der Glückseligkeit nicht unwert verhalten hatte, hoffen können, ihrer teilhaftig zu werden. Selbst die von aller Privatabsicht freie Vernunft, wenn sie, ohne dabei ein eigenes Interesse in Betracht zu ziehen, sich an die Stelle eines Wesens setzte, das alle Glückseligkeit anderen auszuteilen hätte, kann nicht anders urteilen; denn in der praktischen Idee sind beide Stücke wesentlich verbunden...“ „Glückseligkeit also, in dem genauen Ebenmaße mit der Sittlichkeit der vernünftigen Wesen, dadurch sie derselben würdig sind, macht allein das höchste Gut einer Welt aus, darein wir uns nach den Vorschriften der reinen, aber praktischen Vernunft durchaus versetzen müssen, und welche freilich nur eine intelligible Welt ist, da die Sinnenwelt uns von der Natur der Dinge dergleichen systematische Einheit der Zwecke nicht verheißt, deren Realität auch auf nichts anderes gegründet werden kann als auf die Voraussetzung eines höchsten ursprünglichen Guts...“ Das „abgeleitete“ höchste Gut führt auf das Ideal eines solchen ursprünglichen höchsten Guts, auf die Idee Gottes (s. d.) als einer nach moralischen Gesetzen gebietenden und waltenden Intelligenz. Das „Ideal des höchsten Guts“ ist „die Idee einer solchen Intelligenz, in welcher der moralisch vollkommenste Wille, mit der höchsten Seligkeit verbunden, die Ursache aller Glückseligkeit in der Welt ist, sofern sie mit der Sittlichkeit (als der Würdigkeit glücklich zu sein) in genauem Verhältnisse steht“, KrV tr. Meth. 2. H. 2. Abs. (I 670 ff.—Rc 823 ff.).

Das höchste Gut ist der „ganze Gegenstand einer reinen praktischen Vernunft, d. i. eines reinen Willens“, aber nicht der „Bestimmungsgrund“ desselben, als welcher bloß das moralische Gesetz gelten kann, KpV 1. T. 2. B. 1. H. (II 141). „Der Begriff des Höchsten enthält schon eine Zweideutigkeit... Das Höchste kann das Oberste (supremum) oder auch das Vollendete (consummatum) bedeuten. Das erstere ist diejenige Bedingung, die selbst unbedingt, d. i. keiner anderen untergeordnet ist (originarium); das zweite, dasjenige Ganze, das kein Teil eines noch größeren Ganzen von derselben Art ist (perfectissimum). Daß Tugend (als die Würdigkeit glücklich zu sein) die oberste Bedingung alles dessen, was uns nur wünschenswert scheinen mag, mithin auch aller unserer Bewerbung um Glückseligkeit, mithin das oberste Gut sei, ist in der Analytik bewiesen worden. Darum ist sie aber noch nicht das ganze und vollendete Gut ...; denn um das zu sein, wird auch Glückseligkeit dazu erfordert.“ „Denn der Glückseligkeit bedürftig, ihrer auch würdig, dennoch aber derselben nicht teilhaftig zu sein, kann mit dem vollkommenen Wollen eines vernünftigen Wesens, welches zugleich alle Gewalt hätte, wenn wir uns auch nur ein solches zum Versuche denken, gar nicht zusammen bestehen.“ „Sofern nun Tugend und Glückseligkeit zusammen den Besitz des höchsten Guts in einer Person, hierbei aber auch Glückseligkeit, ganz genau in Proportion der Sittlichkeit (als Wert der Person und deren Würdigkeit, glücklich zu sein) ausgeteilt, das höchste Gut einer möglichen Welt ausmachen: so bedeutet dieses das Ganze, das vollendete Gute, worin doch Tugend immer als Bedingung das oberste Gut ist, weil es weiter keine Bedingung über Sich hat ...“ „Wie ist das höchste Gut möglich?“ „Es ist a priori (moralisch) notwendig, das höchste Gut durch Freiheit des Willens hervorzubringen; es muß also auch die Bedingung der Möglichkeit desselben lediglich auf Erkenntnisgründen a priori beruhen“, ibid. 2. H. (II 145). Im Begriffe des höchsten Gutes werden Tugend und Glückseligkeit als „notwendig verbunden“ gedacht, und zwar „synthetisch“, als Verknüpfung von Ursache und Wirkung. „Es muß also entweder die Begierde nach Glückseligkeit die Bewegursache zu Maximen der Tugend, oder die Maxime der Tugend muß die wirkende Ursache der Glückseligkeit sein. Das erste ist schlechterdings unmöglich; weil ... Maximen, die den Bestimmungsgrund des Willens in dem Verlangen nach seiner Glückseligkeit setzen, gar nicht moralisch sind und keine Tugend gründen können. Das zweite ist aber auch unmöglich, weil alle praktische Verknüpfung der Ursachen und der Wirkungen in der Welt, als Erfolg der Willensbestimmung, sich nicht nach moralischen Gesinnungen des Willens, sondern der Kenntnis der Naturgesetze und dem physischen Vermögen, sie zu seinen Absichten zu gebrauchen, richtet, folglich keine notwendige und zum höchsten Gut zureichende Verknüpfung der Glückseligkeit mit der Tugend in der Welt durch die pünktlichste Beobachtung der moralischen Gesetze erwartet werden kann“, ibid. 2. H. I. (II 145 f.). Diese „Antinomie der praktischen Vernunft“ ist (wie die der theoretischen) durch die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich (Noumenon) zu beheben. „Der erste von den zwei Sätzen ... ist schlechterdings falsch; der zweite aber, daß Tugendgesinnung notwendig Glückseligkeit hervorbringe, ist nicht schlechterdings, sondern nur, sofern sie als die Form der Kausalität in der Sinnenwelt betrachtet wird, und mithin, wenn ich das Dasein in derselben für die einzige Art der Existenz des vernünftigen Wesens annehme, also nur bedingterweise falsch.“ „Da ich aber nicht allein befugt bin, mein Dasein auch als Noumenon in einer Verstandeswelt zu denken, sondern sogar am moralischen Gesetze einen rein intellektuellen Bestimmungsgrund meiner Kausalität (in der Sinnenwelt) habe, so ist es nicht unmöglich, daß die Sittlichkeit der Gesinnung einen wo nicht unmittelbaren, so doch mittelbaren (vermittels eines intelligiblen Urhebers der Natur), und zwar notwendigen Zusammenhang als Ursache mit der Glückseligkeit als Wirkung in der Sinnenwelt habe ...“ Also ist das höchste Gut, der notwendige höchste Zweck eines moralisch bestimmten Willens, ein wahres Objekt der praktischen Vernunft, ibid. II (II 146 ff.). In diesem ist die völlige Angemessenheit der Gesinnungen zum moralischen Gesetze die oberste Bedingung des höchsten Gutes, d. h. Heiligkeit (s. d.). Diese kann von einem endlichen Wesen nur in einem ins Unendliche gehenden Progreß erreicht werden, und dies zwingt zur Annahme der Unsterblichkeit (s. d.). Ebenso erfordert die Harmonie zwischen Sittlichkeit und Glückseligkeit die Annahme Gottes (s. d.), kurz, der Begriff des höchsten Gutes führt zu „Postulaten“ (s. d.) der reinen praktischen Vernunft, ibid. IV—VI (II 156 ff.).

Der „Endzweck der reinen praktischen Vernunft“ ist „das höchste Gut, sofern es in der Welt möglich ist, welches aber nicht bloß in dem, was Natur verschaffen kann, nämlich der Glückseligkeit (die größeste Summe der Lust), sondern was das höchste Erfordernis, nämlich die Bedingung ist, unter der allein die Vernunft sie den vernünftigen Weltwesen zuerkennen kann, nämlich zugleich im sittlich-gesetzmäßigsten Verhalten derselben zu suchen ist“, Fortschr. d. Metaph. 2. Abt. 3. Stadium (V 3, 124). Die Möglichkeit des in der Welt zu befördernden höchsten Gutes wird ergänzt „durch die Ideen von Gott, Unsterblichkeit und das von der Sittlichkeit selbst diktierte Vertrauen zum Gelingen dieser Absicht“. So wird diesem Begriffe des höchsten Gutes „objektive, aber praktische Realität“ verschafft, ibid. Auflösung der Aufgabe I. (V 3, 131). Der Begriff der Pflicht hat keinen besonderen Zweck zur Grundlage, sondern setzt selbst dem Willen einen anderen Zweck, nämlich „auf das höchste in der Welt mögliche Gut (die im Weltganzen mit der reinsten Sittlichkeit auch verbundene allgemeine, jener gemäße Glückseligkeit) nach allem Vermögen hinzuwirken: welches, da es zwar von einer, aber nicht von beiden Seiten zusammengenommen, in unserer Gewalt ist, der Vernunft den Glauben an einen moralischen Weltherrscher und an ein künftiges Leben in praktischer Absicht abnötigt. Nicht als ob nur unter der Voraussetzung beider der allgemeine Pflichtbegriff allererst ’Halt und Festigkeit’, d. i. einen sicheren Grund und die erforderliche Stärke einer Triebfeder, sondern damit er nur an jenem Ideal der reinen Vernunft auch ein Objekt bekomme.“ — „Das Bedürfnis, ein höchstes, auch durch unsere Mitwirkung mögliches Gut in der Welt als den Endzweck aller Dinge anzunehmen, ist nicht ein Bedürfnis aus Mangel an moralischen Triebfedern, sondern an äußeren Verhältnissen, in denen allein diesen Triebfedern gemäß ein Objekt als Zweck an sich selbst (als moralischer Endzweck) hervorgebracht werden kann.“ „Beim Menschen ist daher die Triebfeder, welche in der Idee des höchsten durch seine Mitwirkung in der Welt möglichen Guts liegt, auch nicht die eigene dabei beabsichtigte Glückseligkeit, sondern nur diese Idee als Zweck an sich selbst, mithin ihre Verfolgung als Pflicht. Denn sie enthält nicht Aussicht in Glückseligkeit schlechthin, sondern nur einer Proportion zwischen ihr und der Würdigkeit des Subjekts, welches es auch sei. Eine Willensbestimmung aber, die sich selbst und ihre Absicht, zu einem solchen Ganzen zu gehören, auf diese Bedingung einschränkt, ist nicht eigennützig.“ „Bei der Frage vom Prinzip der Moral kann also die Lehre vom höchsten Gut... ganz übergangen und beiseite gesetzt werden“, Theor. Prax. I u. 3. Anm. (VI 74—76). Vgl. Unsterblichkeit, Gott, Postulate, Glückseligkeit, Endzweck.