2. Die Monadenlehre


Der Kraftträger sind viele. Aber nur Einzelwesen (Individuen) können tätig sein. Diese nennt Leibniz seit 1697 mit einem, wahrscheinlich von Giordano Bruno entlehnten, aber von ihm selbst mit einem ganz neuen Sinn versehenen Ausdruck »Monaden«. Als Monade (monas, -ados) d. i. Einheit, wird von unserem Philosophen jede einfache, d. i. nicht mehr weiter teilbare Substanz bezeichnet, während er unter Substanz, wie wir schon wissen, ein »Wesen« versteht, welches die Fähigkeit zu handeln (wirken) besitzt. Diese durch die gesamte Welt verteilten lebendigen Kräfte sind die »wahrhaften Atome der Natur«, die »Elemente der Dinge« Es gibt nicht eine einzige Substanz, wie Spinoza mit »kläglichen oder unverständlichen« Beweisen zu begründen versucht hat, sondern unzählige: die Natur ist voll von Leben. Weil ohne Teile, können die Monaden auf natürliche Weise weder entstehen noch zerstört werden, sondern sie dauern so lange als das von Gott geschaffene All. Ohne Gestalt und Ausdehnung, unterscheiden sie sich voneinander nur durch ihre inneren Eigenschaften, nämlich ihre Vorstellungen, d. i. die im Einfachen enthaltenen »Darstellungen« des Zusammengesetzten, und ihr Begehren, von einer Vorstellung zur anderen überzugehen. Denn jede Monade verändert sich immerfort, und zwar kraft eines »inneren Prinzips« der Vorstellungen und des Begehrungstriebes, das sich aus mechanischen Gründen nicht erklären läßt. Jede Monade ist ferner der anderen gegenüber vollkommen selbständig, sie hat keine »Fenster«, durch die etwas in sie hinein oder von ihr ausgehen könnte. Es gibt nicht zwei völlig gleiche Substanzen in der Natur, z.B. keine zwei gänzlich gleiche Blätter oder Wassertropfen. Nur zwei völlig ununterscheidbare Dinge aber wären identisch (Principium identitatis indiscernibilium). Jede Monade ist ein lebendiger Spiegel des Universums, wohl geregelt wie dieses, zugleich aber auch selbst vorstellende Kraft. Ihr Unterschied besteht in dem verschiedenen Grade von »Klarheit und Deutlichkeit«, mit der sie das Universum widerspiegeln (représentent). So viel Monaden, so viele verschiedene Universa. Es existiert eine ungeheure Stufenreihe von Monaden, von der niedersten, »die mit dem bloßen Namen Monade zufrieden ist«, über die sinnbegabte Seele (anima) und den vernunftbegabten Geist (mens) hinauf bis zu der »primitiven«, der ultima ratio rerum, Gott. Die »einfachen« Monaden leben in einer Art Schlaf- oder Betäubungszustand, während die Seelenmonaden schon ein deutlicheres, mit Erinnerung verbundenes Vorstellen besitzen, wie es den Tieren zukommt. Dabei wird die Seelenmonade als eine Zentralmonade aufgefaßt, die von einer unendlichen Anzahl anderer Monaden, als ihrem Körper, umgeben ist, deren Erregungen gemäß sie »wie in einer Art von Mittelpunkt die Außendinge vorstellt«, ihren eigenen Körper am deutlichsten, das übrige Universum mit geringerer Deutlichkeit. Wird sie ihrer selbst bewußt, so erhebt sie sich zum Geiste oder zur vernünftigen Seele, die nur dem Menschen zukommt und durch die Wissenschaften (durch Wiegen, Messen, Zählen) in ihrem Bereiche und in ihrer kleinen Welt das nachahmt, was Gott in der großen schafft. Eine deutliche Kenntnis von allem, was da ist, hat nur Gott, die höchste Monade, denn er ist die Quelle von allem.

Die Monade ist - das wird der aufmerksame Leser bereits gemerkt haben - in heutiger Sprache nichts anderes als das Individuum, vom einfachsten Organismus bis hinauf zur Gottheit, das in seinen Vorstellungen und in seinem Streben die Welt je nach seiner spezifischen Art widerspiegelt. Von der »Seele« unterscheidet sich denn auch die »Monade« schlechtweg nur dadurch, dass jene Selbstbewußtsein besitzt, diese nicht (vgl. § 19 der Monadologie). Und da die Monade im Gegensatz zur Materie den rein geistig gedachten Vorstellungsträger bezeichnet, fallen für sie die räumlichen Beziehungen weg, die bloß für die Körperwelt Geltung haben. Auffallend ist allerdings, dass auch die Körper einmal als »Aggregate von Monaden« bezeichnet werden. Allein, wenn man dem sonst so verständigen Leibniz nicht ganz phantastische und widersinnige Spekulationen zutrauen will, so kann das doch nur bedeuten, dass die Materie im letzten Grunde ein unendlich differenziertes Ganze organisierter Körper ist, worin auch die kleinsten Stoffteile noch Träger eines selbständigen Eigenlebens sein können. Jedenfalls hat der Philosoph in seiner reifen Zeit, nach ausdrücklichem eigenen Bekenntnis, der Seele jede räumliche Ausdehnung in bestimmtester Weise abgesprochen. Einheit oder Mehrheit, auf den Begriff der Seele angewandt, ist nur in ihrer »ursprünglichen Kraft und Wirksamkeit« zu suchen. Ein Zusammenhang von Seeleneinheiten oder Monaden kann also nur bedeuten, dass die Erscheinungen der einen auch Vorstellungsinhalte der anderen sind.

Leibniz' Monadenlehre spielt denn auch stark in seine psychologischen Erörterungen hinein. Wenn er in den Nouveaux essais gegen Locke behauptet, dass die ewigen Wahrheiten unserem Geiste angeborene Vorstellungen seien, so soll das nach ihm nur besagen, dass sie nicht von außen in die vorstellende Seelenmonade hineindringen können. Sie entwickeln sich vielmehr aus den »verworrenen« Sinnesempfindungen, welche ihre spätere Entwicklung schon keimhaft in sich tragen. In den Wahrnehmungen schlummert bereits der Gedanke. Die petites perceptions oder unbewußten Vorstellungen der schlafenden Monade verwandeln sich in die bewußten und deutlichen apperceptions (ein Begriff, der dann bei Kant zu besonderer Bedeutung gelangt) des Selbstbewußtseins, das ihnen schon ursprünglich zugrunde lag. Auch die Tiere haben (gegen Descartes !) eine Seele, ja indem die Monadologie die vorstellende Kraft, also das Bewußtsein (wenn auch in verschiedenen Graden, als schlummerndes, träumendes, wachendes) sämtlichen Monaden zuerkennt, verliert dasselbe seinen spezifisch menschlichen oder auch nur tierischen Charakter. Im traumlosen Schlafe unterscheidet sich die Seele nicht von einer »einfachen Monade« Selbst der Tod ist nur eine (vorübergehende) Art solcher Betäubung. Auch für sie gilt das Gesetz der Stetigkeit: natura non facit saltum. Jede einzelne Monade befindet sich in fortwährender Entwicklung, alle Körper in einem beständigen Fließen, es treten fortwährend Teile hinzu und aus. Geburt und Tod sind im Grunde nur Namen; es gibt weder völlige Vernichtung noch Neuerzeugung, sondern nur Umwandlung. Die Gegenwart geht mit der Zukunft schwanger: »man könnte das Kommende im Vergangenen lesen, und das Entfernte ist im Nahen abgespiegelt.«

»Die Körper handeln nach den Gesetzen der bewirkenden Ursachen oder Bewegungen, die Seelen nach den Gesetzen der Zweckursachen durch Begehrungstriebe, Zwecke und Mittel.« Wie trotzdem beide übereinstimmen, lehrt das von Leibniz stets mit Stolz als seine Entdeckung angeführte System der Prästabilierten Harmonie.


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