3. Die Seele und ihr Verhältnis zum Körper.
Wenn es auch streng genommen nur ein Wesen gibt, das zu seiner Existenz keines anderen bedarf, nämlich Gott, so erhält der Ausdruck Substanz doch noch eine weitere Bedeutung. Unter allem Geschaffenen nämlich gibt es wiederum nur zwei Dinge, die zu ihrem Dasein nichts anderes als Gottes Beistand bedürfen: 1. den Geist (die Seele) oder die denkende und 2. den Körper oder die ausgedehnte Substanz. Beide sind nur zufällig im Menschen miteinander verbunden; an sich haben sie nichts miteinander gemein, bedürfen sie einander nicht. Modifikationen des ersteren sind: Fühlen, Wollen, Urteilen, Begehren; des zweiten: Lage, Gestalt, Bewegung. Der Geist ist immateriell, absolut einheitlich, unteilbar, der Körper materiell und nur »in gewisser Weise« unteilbar. So tritt ein ausgesprochener Dualismus zwischen Körper- und Geisteswelt hervor; Spiritualisten wie Materialisten haben sich daher auf Descartes berufen. Eine gewisse Vermittlerrolle spielen die »Lebensgeister« (esprits animaux), d.h. die feinsten und beweglichsten unter den Blutteilchen, die in das Gehirn eindringen und dann von dort aus Nerven und Muskeln des übrigen Körpers in Bewegung setzen. Ja, derselbe Philosoph, der in seiner Erkenntnistheorie das Selbstbewußtsein zum Maßstab und Quell aller Wahrheit gemacht hatte, verdinglicht dies Bewußtsein in seiner durch und durch physiologischen Psychologie (De l'âme) so weit, dass er einen Seelen»sitz«, und zwar »hauptsächlich« in der Zirbeldrüse annimmt, weil diese im Gegensatz zu den meisten anderen Gehirnteilen unpaarig ist. Zwar ist die Seele mit dem ganzen Körper verbunden, aber in der Zirbeldrüse übt sie, »wie mir scheint«, ihre Funktionen spezieller als in den anderen Teilen aus (art. 30-34). Die Lebensgeister stoßen die Zirbeldrüse an und reizen so die Seele zur Empfindung, die diesen Stoß ihrerseits erwidert! Nur der Mensch übrigens besitzt eine Seele. Die Tiere sind bloße Maschinen, ihre Empfindungen bloße Reflexbewegungen.
Von der empirischen Psychologie Descartes', die viele Einteilungen und manche anregende Gedanken bringt, sei nur das Wichtigste erwähnt. Mit der Theorie der Erkenntnis in Verbindung steht (und kommt deshalb schon in den »Meditationen« vor) die Einteilung der Vorstellungen (idées) in: 1. angeborene, wenn auch von uns erst zu entwickelnde, wie z.B. die des Denkens, der Wahrheit und - des Dinges; 2. von außen kommende: die sinnlichen Wahrnehmungen; 3. von uns selbst gemachte oder erfundene, wie die Phantasievorstellungen von einem Flügelrosse, den Sirenen u. a. Im reinen Denken ist die Seele allein tätig, die Imagination dagegen bedient sich sinnlicher, körperlicher Bilder. Neben den »Ideen« erzeugt die Seele Urteile, die aus den Empfindungen hervorgehen, Affekte und Willenserscheinungen. Die Möglichkeit des Irrtums wird daraus abgeleitet, dass der unbeschränkte Wille weiter strebt, als der beschränkte Verstand ihm zu folgen vermag. Da aus dem Geiste nur »klare und deutliche« Vorstellungen entspringen können, so werden die Leidenschaften, wie alle dunklen und verworrenen Vorstellungen, auf körperliche Einflüsse zurückgeführt. Ihnen entgegen entstehen die »geistigen Erregungen« nur aus der Seele; sie sind jedoch, solange als die Seele mit dem Körper verbunden ist, von sinnlichen Lust- und Unlustgefühlen begleitet. Alle Affekte lassen sich auf sechs Grundformen zurückführen: Erstaunen, Liebe und Haß, Begierde, Freude und Kummer.