1. Unmittelbare Nachwirkungen


1. Die cartesianische Philosophie - das latinisierte Cartesius verdrängte in der Gelehrtensprache der damaligen Zeit bald die ursprüngliche Namensform - zog bei ihrer Vielseitigkeit viele in ihren Kreis: durch ihren methodischen Zweifel die freieren Geister, durch ihre mechanischen Prinzipien die Männer der Naturwissenschaft, durch ihre Gottes- und Seelenmetaphysik die Theologen. Die letztere Seite, die eine enge Verbindung mit dem Augustinismus (I 230) einging, überwog. Namentlich in Frankreich und den Niederlanden gewann sie zahlreiche Anhänger, deren Namen man bei Erdmann (Grundriß II, § 268) findet. Von Holland aus, wo u. a. der reformierte Prediger Balthasar Bekker (1634-98) in seiner Betoverde Weereld (1691) aus der Lehre von der Unmöglichkeit eines geistigen Einflusses auf den Körper die Unmöglichkeit alles Zauber-, Teufel- und Hexenwesens folgerte, und darüber natürlich der Absetzung verfiel, verbreitete sich die neue Lehre auch nach Deutschland. Nicht bloß in Herborn und Duisburg, wo der Solinger Johann Clauberg (1622-1665) seine Alte und neue Logik und eine Metaphysik vom Seienden schrieb, die schon dem Okkasionalismus (S. 20) nahe steht, daneben in mehreren sprachwissenschaftlichen Werken als begeisterter Vorkämpfer der deutschen Sprache auftrat, sondern auch in Marburg, Gießen, Berlin, Frankfurt a. O., Bremen, Halle, Altorf, Leipzig, Tübingen, Jena fand sie Eingang. Von Frankreich aus ward sie auch nach Italien, der Schweiz und England verpflanzt, hier jedoch bald durch den Lockeschen Empirismus verdrängt. Die berühmten Häupter der französischen Kirche, Fénelon und Bossuet, zeigten sich wohlwollend, noch mehr die Jansenisten und die Kongregation vom Oratoire (s. unten bei Malebranche). In dem jansenistischen Port-Royal unterrichtete man in der Logik nach dem auf cartesianischen Grundsätzen beruhenden, wenn auch in Anordnung und Beweisgang noch am Aristotelismus haftenden Lehrbuch Arnaulds L'Art de penser (1662). Auch in aristokratische Kreise, ja selbst in die Zirkel geistreicher Damen fand Descartes' Lehre Eingang und in Boileaus rationalisierender Ästhetik ihren Ausdruck. Freilich setzte sich anderseits auch der Widerstand der Jesuiten, die sie als calvinisch, und der holländischen Calvinisten, die sie als jesuitisch bekämpften, nach des Philosophen Tode fort; in Rom kam sie 1663 auf den Index, in Paris wurde sie 1671 verboten.

Bei den selbständigeren Denkern unter ihren Anhängern erfuhr die Philosophie Descartes' eine Fortbildung. Sie heftete sich gerade an die zwei in unserem Sinne schwachen Punkte des Systems: 1. das Verhältnis der absoluten zur endlichen Substanz, also Gottes zur Welt, und 2. das Verhältnis der beiden unvollkommenen Substanzen, Geist und Körper, zueinander. Bedeutsam wurde in dieser Hinsicht besonders die Stellungnahme des Niederländers Geulincx und des Franzosen Malebranche.


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