2. Die Lehre vom Menschen
(De Homine)


Auch der Mensch ist für Hobbes nur ein Beispiel für die Wahrheit seines Grundgesetzes von den notwendigen Ursachen und Wirkungen. Er lehrt die ausnahmslose Notwendigkeit menschlicher Handlungen, also die Unfreiheit des Willens wie Spinoza, mit dem er daher schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts oft genug als »Atheist« zusammengestellt und verflucht worden ist. Er verfocht sie besonders in einer lebhaften und umfangreichen Polemik mit einem Bischof der englischen Hochkirche (vgl. Tönnies 2. Aufl. S. 129-142). Seine Hauptsätze lauten: Niemand hat seinen zukünftigen Willen in seiner Gewalt. Nur das letzte Begehren, dem unmittelbar die Handlung folgt, liegt der Beurteilung der anderen offen, nicht alle seine früheren Vorbedingungen. Nichts, auch nicht das, was man gewöhnlich als »Zufall« bezeichnet, geschieht ohne Ursache, deren letzte - das Wirken Gottes ist. Dagegen will er nicht leugnen, dass man, was man einmal »wolle«, auch tun könne, und ebensowenig, dass wir uns, zumal in der Erinnerung und Phantasie, frei d. i. ungehemmt fühlen.

In der praktischen Psychologie, der Lehre von den Affekten, zeigt Hobbes sich als Meister in Urteil, Menschenkenntnis und Darstellung. Den anziehenden Affekten: Lust, Liebe, Begehren, stehen die abstoßenden: Schmerz, Abneigung und Furcht, gegenüber. Aus diesen allgemeinen gehen die besonderen hervor, an deren Spitze Macht und Ehre stehen. Jeder empfindet mit Lust, was er vor anderen voraus hat, mit Ärger, was ihm fehlt: ein Egoismus, der nur hinter Heuchelei verborgen wird. Die Lehren der Mathematik von Linien und Figuren werden nicht bestritten, wohl aber, mit Feder und Schwert, die Lehre von Recht und Unrecht, weil es sich hierbei um Eigentumsrechte handelt. »Wenn der Satz, dass 3 Winkel eines Dreiecks = 2 R, dem Interesse der Besitzenden zuwider wäre, so wäre diese Lehre durch Verbrennung aller Geometriebücher unterdrückt worden, soweit die Beteiligten es durchzusetzen vermocht hätten.« Der beständige Wettbewerb, das berechtigte Mißtrauen gegen die anderen und die liebe Eitelkeit sind es, die fortwährend Streit und Gewalthandlungen hervorrufen. In diesem Sinne sind die »Passionen« zugleich Aktionen. Die wesentlichen Begierden und Abwägungen, wie z.B. der Trieb nach Erhaltung und Fortpflanzung, sind uns angeboren.

Noch viele interessante Ideen äußert Hobbes in seinem Traktat De Homine: so über die Entstehung der Erde, des Lebens, der Sprache, die er im Geiste rationalistischer Aufklärung zu sehr als künstlich und willkürlich gemacht ansieht, über das Sehen und die Vervollkommnungsfähigkeit der Mikroskope und Fernrohre; doch würde es zu weit führen, dieselben im einzelnen zu verfolgen. Er nimmt eine fortschreitende Entwicklung der Menschheit in Wissenschaft und Praxis als möglich und wirklich an. Die falschen Meinungen haben ihre alleinige Wurzel im Aberglauben oder der Religion (die »wahre« natürlich ausgenommen!), d. i. in der Furcht vor übernatürlichen Gewalten, die aus der Unkenntnis der natürlichen Ursachen entsteht. Zur Erhöhung der Kultur hat von den Wissenschaften zumeist die Geometrie und die auf ihr beruhende Physik beigetragen; für die Zukunft erhofft Hobbes das gleiche besonders von derjenigen Wissenschaft, von der er selbst eine neue Begründung geben will: dem Naturrecht, auf dem Ethik und Politik sich aufbauen. Während er sich auf naturwissenschaftlichem Gebiete auf die Forschungen seiner Vorgänger Kepler, Gassendi und Mersenne beruft, nimmt er für seine eigene Person in Anspruch die Begründung der »philosophica civilis« oder der Lehre vom Staate (De cive - Leviathan).


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