Ich pfeife auf den Text
ich bin imstande, das Antlitz der heutigen Welt mir aus dem hintern Annoncenteil zusammenzustellen. Paßt auf! wie sie leben, wie sie lieben, hier steht es geschrieben. Hier sprechen sie alle aus dem Schlaf. Die Erde wimmelt von Idealisten und Seelenfreunden, sie träumen unter Chiffre »Elitemenage« und frisch gewagt, ist halb gewonnen. Zu Spassetln sind sie nicht aufgelegt, bei grünen Jalousien sind sie nicht auf gewachsen, und was sie bieten, ist ernstgemeint 575. Universell gebildet sind sie alle. Der eine ist ein junger, jüdischer, fescher 30jähriger Fabrikant und verlangt dafür 300 Mille unter »Gentleman Nr. 1«, der andere lebt in einer größeren Stadt Südungarns und wird unter »Beethoven« ein junges, isr., musikalisch gebildetes (Klavier) Mädchen finden. Der da legt Wert auf ein gemütl. Heim, jener ist disting. und stellt mehr weltmännische Ansprüche. Während eine todkranke Künstlerseele sich nach der Dame mit hohem Seelenschwung verzehrt, geht der energische Bankbeamte gradaus auf das Gediegene. Die Einheirat ist ein stiller Hafen, aber solang man jung ist, will man sich amüsieren, warum nicht, recht hat er. Reisebegleiterinnen tauchen auf. Einer ruft: Bussi! und sie versteht ihn. Mooschen Budweis welkt in Sehnsucht. Plötzlich wieder unterbricht das Getändel ein ernster Ton:
Suche keine Odaliske
sondern eine geistig und körperlich gesunde, ebenbürtige Ehekameradin aus nur intell., jüd., wohlhabend. Milieu, über 35 J., die Zeit u. Sinn für eine gediegene, bereits vorhandene Häuslichkeit hat. Bewerber herzensgut und keine Dutzendnatur, viel gereist. 15 J. in Budapest ansässig. Möglichst aufrichtige Zuschriften, die streng diskret —
Den möcht ich zu gern kennen lernen. Ob er wohl Schweißfüße hat? Vielleicht wäre hier das Gewünschte:
Le style c'est l'homme!
Ideale, die nicht im Dufte der Ferne zerrinnen und mit tief ethischem Sinne einen Ruheplatz für Seele und Gedanken suchen, wären sehr eleganter, reifer Frau erwünscht, die auf sozialer und materieller Höhe steht. Freiherrn derselben Sphäre und die Weltflucht lieben, werden geladen, zu schreiben unter —
Die Seele ist ein weites Land, schon bietet »Olla« 10.000 Stück gratis, und warnend erhebt jener Mann sein Haupt, der seiner Zeit das Bild totaler Nervenzerrüttung bietet. Solche Wege ins Freie lassen sich eben nicht allein machen, und der Ruf des Lebens ertönt, der den in großer Provinzstadt Lebenden, aus sehr feiner isr. Fam., von heiterem und sonnigem Temperament, mit Geist & Gemüt, zu Haasenstein & Vogler zieht. Nicht jeder Bewerber paßt mir so gut wie der:
Suchender des Lebens.
Optimist und Poet dazu, Romancier, sucht Lebensgefährtin zur Wanderung nach der Sonnenhöhe. Verlangt wird völlige, auch materielle Unabhängigkeit und ideale Lebensführung, geboten soziale Position und aussichtsreichste Zukunft. Antworten unter »Höhenwege« —
Das muß ein Schnitzler-Epigone mit Wiener Prima-Referenzen sein. Er braucht sich nur umzudrehen, schon liegt sie neben ihm, die ideal Veranlagte:
Rève de campagne!
Eine elegante Frau vornehmer Sehnsucht wünscht einen Partner für den Mythos des Gemüts und den warmen Stoff der Seele. Romantischer Optimismus u. blauer Duft der Wahrheit sollen den Edelwert der Harmonie begründen, die nur mit anerkanntem Edelmann gedacht ist, der Herbstesstrahlen liebt. Br. erb. unter »Seelenfeste« —
Er aber will nicht, denn sie scheint sich geradezu an Salus entzündet zu haben. Sie wird den finden, der, wenn draußen der Flieder blüht, sich mit 40 Mille begnügt. Der Geheimnisvolle, mit dunklem Bart. Offerten will er haben, mit voller Adresse nur von Verwandten, mit Phot. und Angabe der Mitgift, eines ohne dem andern zwecklos. Der eine ist vornehm denkend, der andere gibt zu, dass der Weg nicht mehr ungewöhnlich sei; der ist versiert, jener intelligent: einheiraten wollen sie alle; der Dr. Deutsch heilt schnell und gründlich, der Raubitschek hat sich verlobt, das Leben geht weiter und die jeune Parisienne von der Tuchlauben accompagne noch immer étrangers auf die promenades, toujours, toujours, toujours ...
August, 1912.