Was fällt Ihnen ein, wir werden doch nicht bitten!


Heroische Zeiten für die Journalisten waren es, als Bis-marck starb. Einer erzählt es ganz stolz. Sie konnten nichts erfahren, Herbert Bismarck ließ keinen hinein, natürlich haben sie doch alles erfahren. Im Schloß zerbrach man sich den Kopf, wieso. Wieso? So:

Und doch war es mit Händen zu greifen. Die Halberstädter Kürassiere, die die Totenwache am Sarge hielten, kamen immer nach ihrer Ablösung ins Wirtshaus. Ein Glas Bier und ein Taler lösten ihnen die Zungen.

Kolossal! Und was haben sie erfahren? Außer dass Bismarck tot sei, haben sie noch erfahren, von wem die Kränze waren. Also:

... Nach und nach kommt es dem Journalisten in philosophischen Feierstunden doch immer wieder zum Bewußtsein, dass die Weltgeschichte heutzutage nicht mehr mit Klios eisernem Griffel geschrieben wird, sondern mit Bleistift auf Telegrammblanketten.

In solchen philosophischen Zeiten bleibt Klio nichts übrig als Abortfrau zu werden.

In Friedrichsruh habe ich das Interessanteste erlebt. Dort ist selbst die Tür eines sonst nicht im besten Gerüche stehenden und gewöhnlich verschlossenen Gemaches vollgeschrieben mit Namen, Datum und irgendeinem verzückten Ausruf, wie »Heil Bismarck«. Das sind so kleine Kulissenscherze aus den bewegten Tagen.

Der sie erzählt, ist denn auch tatsächlich Mitdichter des »Walzertraum«. Ganz leise ziehts durch den Raum. Von da aber ist für einen, der sich an Bismarcks Tod erinnert, nur ein Schritt zur Bibel:

In den Ernst der Situation fiel ja stets ein heiteres Streiflicht. Wie komisch wirkte es doch, als man vernahm, dass der Pastor in seiner Trauerrede sich auf das Kap. 15 des ersten Korinther-Briefes, Vers 53, bezog. Ein Journalist fragte den andern, wie dieser Vers laute, aber keiner hatte eine Ahnung. Also suchte man nach einer Bibel, aber die Frommen scheinen in Friedridisruh nidit häufig oder sehr ungefällig. Ein Kollege wandte sich sogar an den Schloßportier, aber dieser verschwiegene Mensch glaubte wohl auch die Bibel als ein Geheimnis bewahren zu müssen und — fand sie nicht. Ein biederer Landbewohner half endlich aus der Verlegenheit. Er zitierte den Vers, ohne zu stocken. Wir stenographierten ihn nach, wir telegraphierten ihn ab, und zwei Stunden später erfuhren wir, dass der Vers — falsch sei. Für nächste große Ereignisse haben wir uns darum vorgenommen, immer die Bibel mitzuführen.

Welch ein erhabener Schloßportier, der Journalisten die Bibel verweigert! Selbst der biedere Landbewohner hat die grenzenlose Schmach empfunden, die in der Vorstellung liegt, dass das Neue Wiener Journal einen Original-Korintherbrief haben könnte, und ließ deshalb die Leute, die am Todestage Bismarcks der Klio den Griffel oder gar der Atropos die Schere wegnehmen wollten, hineinfallen. Es ist mit Händen zu greifen. Aber sie werden nächstens Bibelspesen aufrechnen. Die Bibel ist Information, der Tod eine Neuigkeit. Das Sterbezimmer ein Abtritt. Wie sie sich aufführten, ehe sie hineingelassen wurden, zeigt der stolz reproduzierte Dialog:

»Ich bin hier, um ›Stimmung‹ zu schreiben, Sie müssen bloß Tatsachen melden!«

»Nein«, war die Antwort, »ich bin hier, um die Stimmung festzuhalten, Sie haben bloß Tatsachen zu schreiben!«

Und Herr Gordon Benett hatte an seinen Korrespondenten, Herrn Sidney Whitman, »den bekannten Freund des Hauses Bismarck«, gekabelt:

»Spucken Sie Worte!« und Sidney Whitman ging hin und spuckte Worte.

Ich spreche Spucke; wiewohl mir's niemand geschafft hat. Woher nahmen sie die vielen Worte? Bismarck stirbt, aber die Presse ergibt sich nicht. Sie haben alles erfahren, die Detailhändler der Weltgeschichte. Herbert Bismarck »ärgerte sich«. Am Tage, da sein Vater starb, ärgerte er sich. Er mußte unterliegen, und ihr Triumph gestaltete sich so:

Als alles, alles vorüber war, als Bismarck eingesegnet war, als der Kaiser fort war, schien man im Schloß Gewissensbisse zu empfinden. Man ließ die Journalisten hinein, das heißt nidit alle. Ein wahnsinniges Gedränge entstand, und Schweninger meinte: »Aber nieine Herren, es geht ja nicht, dass mehr als zwanzig mitkommen!« Ein Kollege bat darauf, doch allen Herren diese Vergünstigung zu gewähren. Da rief ein bekannter Berliner Schriftsteller mit scharfer Pointierung: »Was fällt Ihnen ein? Wir werden doch nicht bitten!« Schweninger stutzte, wandte sich um und ging dann ärgerlich voraus.

Nein gebeten haben wir nicht, und man erfuhr doch alles, was man wissen wollte. Darüber haben die Herren im Schloß den meisten Ärger empfunden. So haben wir uns revanchiert, indem wir sie ärgerten.

Und heute abend wird's wieder ein Jahr, dass Bismarcks Herz zu schlagen aufgehört hat ...

Gewissensbisse, weil Läuse kamen! Klios Griffel dient seither zum Kopfkratzen. Zwischen Bismarck und Bibel haben sie Stimmung gemacht und heitere Streiflichter gesammelt. Vor Bismarcks Sterbezimmer haben sie kleine Kulissenscherze gesucht. Die Geschichtsforscher sitzen in den Redaktionen. Nur dem Kulturhistoriker bleibt noch eine Aufgabe: den Namen des Berliner Saumagens mit der scharfen Pointierung festzustellen, der, als die Horde in das Sterbezimmer drang, jene Worte gesprochen hat! »Was fällt Ihnen ein? Wir werden doch nicht bitten!« Sie beten nicht, sie bitten nicht. Es ist die Parole, die den großen Einbruch der Phylloxera in den Weinberg der Kultur begleitet.

 

 

August, 1912.


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 12:11:05 •
Seite zuletzt aktualisiert: 15.01.2007 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright Die Fackel: » Glossen » Gedichte » Aphorismen » Notizen