Die Arbeiter-Zeitung läßt sich hinreißen


»Dichter und Publikum. In Wels wurde Schönherrs Dichtung ›Glaube und Heimat‹ aufgeführt. Das Theater war von protestantischen Bauern aus der Umgebung dicht besetzt. Als der Vorhang zum letztenmal gefallen war, erhoben sich alle und sangen das alte Luthersche Kirchenlied: ›Eine feste Burg ...‹ Ein Dichter hat den Hall erweckt!«

Aber, aber, wer wird denn! Hat denn ein Wahlkompromiß zwischen Luther und Lassalle Aussichten? Und wenn die Kanzel keine Tribüne sein soll, darf die Bühne Kanzel und Tribüne sein? Und ist es Sache eines Dichters, einen Hall zu erwecken? Ist es nicht eher ein Beweis gegen den Dichter, wenn nachher gesungen wird? Und singen die Bauern nicht, was ein Agitator intoniert? Und schlüge Ganghofer nicht auch wie ein Blitz in die Gemüter? Und hat denn »Glaube und Heimat« in Wien versagt, weil die Kommerzialräte nicht »Eine feste Burg« gesungen haben? Ist es ein Beweis für Schiller, wenn die Bauern den Darsteller des Franz Moor nach der Vorstellung prügeln? Hat ein Dichter den Hall erweckt, wenn im Boulevardstück einer ruft: »Es ist die Pflicht der Großbanken, notleidenden Kaufleuten beizustehen!« und aus der Loge eine dicke Dame, im Umfang einer Konkursmasse, antwortet: »Braawo!«? Und überhaupt, was geht Gott die Sozialdemokraten an? Warum begeistert sich die ›Arbeiter-Zeitung‹, wenn ein Dichter einen ihr fremden Hall erweckt hat? Wann wird sie einmal zu melden haben, dass ihr eigener Hall einen Dichter erweckt habe?

 

 

Januar, 1912.


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