Die Katze im Sack


zu kaufen wird sich die Neue Freie Presse künftig vergehen lassen. Der Berliner Bürgermeister Reicke schien ihr als schlechter Schriftsteller und freigesinnter Mann hinlänglich einwandfrei, um bei ihm einen Pfingstartikel zu bestellen. Was tut er? Im Glauben, der Vertreterin wienerischer Interessen ein Kompliment machen zu müssen, spricht er von »Wiens unvergessenem Bürgermeister Lueger« und »seinem würdigen Nachfolger«. Und frozzelt dann noch Herrn Benedikt, indem er fragt: »Habe ich nicht mit einem Herrn aus der Wohllebengasse weit mehr gemein, als mit einem Landsmann aus Rathenow oder Gleiwitz?« Jedenfalls teilt mit ihm der Herr aus der Wohllebengasse nicht die Sympathie für Wiens neuere Bürgermeister, das muß man schon sagen. Aber er wird sogleich wieder kaptiviert:

Grillparzer ist uns längst kein Fremder mehr, Mozart und Schubert und — um nicht bloß Tote zu nennen — Schnitzler, Hofmannsthal, Rudolf Hans Bartsch, der jüngst aus Wien entflohene — sind es nie gewesen.

Ja, die Berliner wissen, worin wir stark sind. Wie oft habe ich mir, wenn ich mich auf der Berliner Elektrischen über die Wiener Elektrische ärgern mußte, gesagt: Aber einen Schnitzler und einen Hofmannsthal haben sie doch nicht! Wie oft habe ich, wenn ich durch den Wiener Straßendreck nicht hindurchkonnte, Bartsch den Vorzug vor Stilgebauer gegeben! Der Berliner Bürgermeister weiß aber, dass wir noch andere Schätze haben. So zum Beispiel könne man sich in Wien »beim Café Demel (sprich: Demml'!) an dem wundervollen Kuchen gütlich tun oder etwa beim Meißl dem delikaten Rindfleisch zuwenden«. Er hats erraten, bis zur Aussprache und zum Apostroph. Von hier ist aber nur ein Schritt zu der Hoffnung, dass »die junge Kaiserstadt an der Spree und die alte Kaiserstadt an der Donau« und die natürlichen Stammesbrüder überhaupt »wills Gott, für alle Zeiten die nicht minder natürlichen Waffengefährten« sein werden und was man halt so hofft. Ich habe immer gewußt, dass Herr Reicke ein Optimist ist und deshalb die Mitwirkung an einem Vortragszyklus, an dem er mitwirkte, abgelehnt. Aber natürlich auch wegen der Herren Bahr und Bie, die auch mitwirkten, und die ich mir, wenn ich ganz aufrichtig sein soll, als die eigentlichen Repräsentanten von Wien und Berlin und als die natürlichen Waffengefährten vorstelle, indem nämlich Wien vor Berlin den Bie voraus hat, den Berlin hat, während Berlin vor Wien unsern Bahr voraus hat. Das ist kompliziert, aber es ist so.

 

 

Juni, 1912.


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