Um den König von Montenegro zu sehen


habe ich nicht einen Schritt aus dem Haus gemacht. Aber den König von Montenegro zu lesen, das lasse ich mir nicht entgehen. Er ist nämlich auch Dichter. Als er seine lieben Wiener zu Tausenden im Spalier sah, dachte er: Wie schade, dass es keine Hammeln sind! Auch ich bedauerte es, denn gerade mir könnten sie gestohlen werden. Statt dessen hat er uns sogar noch etwas zurückgelassen. Nämlich ein Gedicht. Das Neue Wiener Tagblatt ist so glücklich, die deutsche Übersetzung übermitteln zu können. »Eine Persönlichkeit aus dem Gefolge hatte die Güte, sie einem unserer Redakteure zu übergeben.« Welche Multiplikation von Ehrgefühlen, wenn einer, der schon die Ehre hat, dem Gefolge des Herrn Singer anzugehören, nunmehr auch Beziehungen zum Gefolge des Königs von Montenegro unterhält! Das ganze Gedicht ist noch nicht veröffentlicht worden; es hat 52 Strophen, die alle »so recht bezeichnend« sein sollen »für das ursprüngliche, glühende Temperament dieses richtigen Königs seines Volkes«. Es ist ein Hymnus an die Liebe.

Im ersten Teil des Gedichtes gibt der königliche Dichter der Stimmung des Alters Ausdruck: Wie ist die Zeit so flüchtig! Wie undurchdringlich die Rätsel des Lebens ... Dann aber nimmt der Dichter aus dieser schwermütigen Betrachtung einen mächtigen Aufschwung, um zu singen:

Von der Liebe Feuerflammen,

Von der Liebe heil'gem Glühen,

Von der Liebe Wunderleben,

Von der Liebe Herzensbeben.

Das ist in der Tat mächtig, und der deutsche Gesandte in Cettinje, der es übersetzt hat, muß auch ein Mordskerl sein.

Er wird wieder jung, wenn er an die vergangenen Zeiten der Liebe zurückdenkt, der Puls schlägt ihm rascher, das Auge leuchtet und er fragt:

Wogten, tobten dir im Herzen

Freude, Schmerzen nicht, und Wonnen?

Fühltest du, wie ihre Hand

Stürme, Meereswogen bannt?

Das ist ja Paul Wilhelm auf Montenegrinisch!

Mitten in der Schwerter Glanze,

Der Kanonen Donnertosen

Folgt mein Auge voll Entzücken,

Liebesgöttin, deinen Blicken.

Eine etwas übertriebene Schilderung der Wehrmacht Montenegros. Er gibt selbst zu, dass die Erotik stärker ist.

Schöner noch als Sonnenstrahlen,

Als des Morgens Dämmerröte

Ist die Lieb' — ein Schleierband,

Zart gewirkt von Engelshand.

 

Liebumwunden, ganz nur Liebe,

Zog ich sanft durch Feld und Fluren —

Dann erfaßt mich Kampfeslust,

Feindestrotz erfüllt die Brust.

In Montenegro reimt man in Liebesgedichten nur Lust auf Brust, den Reim auf Fluren scheint man dort nicht zu kennen. Das ist begreiflich, denn es handelt sich um ideale Sachen:

Und dann schildert die Dichtung das Kommen und Walten der Liebe, die ihre Schranken nur im Gebot der Ehre hat.

Selbstlos, ohne Feilschen, Markten,

Gibt sie uns aus vollen Händen,

Fragt nicht, wo die Reichen wohnen,

Achtet nicht der Zepter, Kronen.

Also nicht so wie in Serbien, wo die Rosa Benkö so viel verlangt hat.

Aber wo verglüht die Flamme,

Wo verblüht die Frühlingsblumen,

Weicht die Liebesseligkeit

Kalt erzwungener Höflichkeit.

Da ist nichts zu machen. Und vollends:

Wo einst helle Funken sprühten,

Purpurrot die Wangen glühten,

Brennt ein mattes trübes Licht,

Wärme spenden kann es nicht.

Das ist aber nicht etwa die Paul Wilhelm Buschische Umschreibung eines Zustandes, gegen den hinten im Neuen Wiener Tagblatt genügend Mittel empfohlen sind, sondern »ein rein menschliches Bekenntnis, das den König jedem seiner Leser herzlich näherbringt«. Die »innere Wahrheit, die dem Gedicht innewohnt«, meint das Tagblatt entschuldigend, »kommt in der Sprache des Originals gewiß noch unmittelbarer zum Ausdruck«. Aber man muß nicht unbescheiden sein. Was zum Ausdruck kommt, ist die Tragik jedes Hammels von Montenegro, und die kann ein sämtlichen Königen der Erde gleichzeitig hineinkriechendes Blatt sehr wohl nachempfinden. Ich werde aufpassen, ob Herr Singer den Orden bekommt.

 

 

Juni, 1912.


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