Frauenschönheit und Königsberger Damenwelt


Doch nun vom Allgemeinen zum mehr Persönlichen. Magister Kant kann unmöglich ganz ohne Gefühl für Frauenschönheit gewesen sein, wenn er in seinen 'Beobachtungen' redet vom Unterschied von blauen und schwarzen Augen, von Blondinen und Brünetten, von schmachtenden Augen und bezaubernden Mienen, von lachenden und schalkhaften Blicken, von denen ein einziger die "Mannspersonen" in stärkere Verwirrung zu setzen vermag als die schwerste Schulfrage! Oder wenn er von dem hübschen Gesicht, das nicht zum Herzen redet, das schöne unterscheidet, in dessen Zügen sich "ein zärtlich Gefühl und wohlwollendes Herz abmalt". Im allgemeinen scheint er sich später anscheinend mehr für zarte Gestalten ausgesprochen zu haben, wie er denn überhaupt erst durch Winckelmann dazu bewogen wurde, die vollkommenere Schönheit doch dem männlichen Geschlechte zuzusprechen.*) In den 'Beobachtungen' zeigt er für beide Arten weiblicher Schönheit Verständnis: "die reizende" sowohl wie "die rührende". Die erstere fessele durch "Munterkeit und Witz in lachenden Augen, feinen Mutwillen, das Schäkerhafte der Scherze und schalkhafte Sprödigkeit". Ein Mädchen darf sogar eine "kleine Närrin" sein, wenn sie nur alberne Aufgeblasenheit vermeidet. Ja selbst Koketterie verurteilt er nicht ganz. Als "Geflissenheit, einzunehmen und zu reizen" an einer "sonst artigen" Person ist sie "vielleicht tadelhaft, aber doch schön und wird gemeiniglich — dem ehrbaren, ernsthaften Anstande vorgezogen". Die rührende Schönheit dagegen flößt eine Empfindung ein, die "zärtlich, mit Achtung verbunden und beständig" ist; weshalb auch viele Damen selbst eine blassere Farbe, die "gemeiniglich eine Gemütsart von mehr innerem Gefühle und zärtlicher Empfindung begleitet", der roten und blühenden vorziehen. Auch findet man, dass hübsche Gesichter, die auf den ersten Augenblick gefallen, nachher uns gleichgültig werden, während andere bei näherer Bekanntschaft immer mehr für sich einnehmen und, indem sie durch immer neue moralische Reize fesseln, sich beständig zu verschönern scheinen (S. 70). Übrigens bricht Kant, als fürchte er, zu viel von seinen eigenen Gefühlen zu verraten, seine Ausführungen über diese Unterschiede mit den bezeichnenden Worten ab: "Ich mag mich nicht in gar zu ausführliche Zergliederungen von dieser Art einlassen; denn in solchen Fällen scheint der Verfasser jederzeit seine eigene Neigung zu malen" (Original-Ausgabe S. 66 f.). Und doch scheint er uns einige Seiten später noch einmal ungewollt sich selbst zu verraten. Er hat vorher von dem Geschlechtstrieb gesprochen, über dessen Natürlichkeit er übrigens stets durchaus gesunde Ansichten gehegt hat, ohne seine Ausartung in "Ausschweifung und Lüderlichkeit" zu billigen. Und nun stellt er in Gegensatz zu dem "einfältigen und groben", aber den großen Zweck der Natur erfüllenden Geschlechtsgefühl denjenigen Menschen, dessen "sehr verfeinerter" Geschmack "einer ungestümen Neigung die Wildheit benommen". Personen von so "delikater" Empfindung würden "sehr selten" glücklich. Sie schafften sich ein Ideal ihrer Neigung und zierten es mit allen edlen und schönen Eigenschaften, "welche die Natur selten in einem Menschen vereinigt und noch seltener demjenigen zuführt, der sie schätzen kann". Es klingt fast wie auf sein eigenes Schicksal gemünzt, wenn er dann fortfährt: "Daher entspringt der Aufschub und endlich die völlige Entsagung auf eheliche Verbindung" (S. 72).

In der Königsberger Damenwelt, mit der er sicher bei seinem regen geselligen Verkehr bekannt geworden ist, wird Magister Kant Beispiele genug von beiden Typen, dem schalkhaft-heiteren wie dem "zärtlich"-ernsten, angetroffen haben. Vermutlich mehr von der ersteren Art. Denn nach der Schilderung von Zeitgenossen hatten — wir deuteten es schon an — in den Jahren der russischen Okkupation (1758—1762) die russischen Offiziere, ähnlich wie später 1807 die Franzosen, manche Verheerungen in den Herzen und Sinnen der Königsberger Schönen angerichtet. Selbst die Professoren der Albertina waren von der modischen Lockerung der Sitten nicht unangesteckt geblieben. Der Jurist Funk z. B., mit dem Kant verkehrte und dem er nach seinem Tode (April 1764) das Leichen"gepränge" ausrichten sollte (S. 143), nahm es mit der ehelichen Treue nicht zu genau. Zwar hatte der spätere Professor der Eloquenz Flottwell schon 1741 zur Pflege geistiger Interessen nicht bloß die heute noch bestehende "Deutsche Gesellschaft" ins Leben gerufen, sondern auch im Hause des Rechtslehrers von Sahme eine "Frauenzimmer-Akademie" zustande gebracht, welche die Pflege von Literatur und Musik auf ihr Programm setzte. Allein diese muß im Laufe der Zeit wohl mehr dem Vergnügen bzw. dem Ehefang als der Wissenschaft und edlen Kunst gedient haben. Als Scheffner um das Jahr 1769 seinem Freunde, dem damals 28 jährigen Hippel, zum Heiraten zuredete, entgegnete dieser: "Wenn nur eine vernünftige Frau da wäre! Das ist aber in Königsberg ein sehr seltener Fall. Das Sahmsche Concert ist Sodom, und die Redoute ist Gomorrha, und es hat kein anderes Ansehen, als wenn unsere Mädchen nur dahin gingen wie auf Auktionen, um sich plus licitanti [d. i. dem Mehrbietenden] zuschlagen zu lassen. Oft rufen die Mütter aus, oft die Tanten."

Mag Hippels Bericht nach seiner ganzen Art auch stark satirisch gefärbt sein: an Gelegenheit zum Heiraten fehlte es in Königsberg für Magister Kant sicherlich nicht, auch wenn er an dem Sahmschen Konzert oder an der "Gomorrha" der Redouten nicht aktiv teilgenommen haben sollte. Als Tänzer allerdings können wir uns den "kleinen Magister" nicht recht vorstellen, aber beigewohnt haben wird er dem Tanzen wohl mehr als einmal, über das er gerade um das Ende der 60er Jahre Reflexionen niedergeschrieben hat wie die folgenden: "Der Reiz bei dem Tanze ist entweder körperlich und beruhet auf der allen Gliedmaßen geziemenden Bewegung" oder "idealisch" und beruht dann auf der "Beziehung, welche die veränderlichen Gestalten auf die Affekte haben". "Der Tanz ist dem Auge das, was die Musik für das Gehör ist." "Der Tanz verliert den Reiz, wenn man nicht mehr dem anderen Geschlecht gefallen will. Darum dauert die Neigung zum Tanz bei geheirateten Männern nicht lange; bei Weibern, bis sie alt sind, weil sie beständig gefallen wollen."

Anscheinend hat sich auch unser Magister von den Reizen eines Königsberger Mädchens von etwas leichterer Art eine Zeitlang bestechen lassen. Wer es war, ist freilich unsicher. Wir haben schon in 'Kants Leben' erzählt, dass eine gewisse Luise Rebekka Fritz, die 1826 als Frau Obereinnehmer Ballath hochbetagt in der ostpreußischen Hauptstadt starb, in ihren späteren Jahren "oft und viel und immer mit stolzem Ruhme" davon zu erzählen pflegte, dass "Kant sie einst geliebt habe". Nun ist aber aktenmäßig festgestellt, dass in der Tat eine 1744 geborene Luise Rebekka Fritz am 18. Oktober 1768 einen Herrn Ballath heiratete, der später zusammen mit Hamann am Lizentamt angestellt war. Und von eben diesem Fräulein Fritz schreibt Hippel November 1768 ziemlich ironisch als von der "weiland Ehr- und Tugendbelobten Jungfer Fritz, deren Ehr' und Tugend schon im russischen Kriege gelitten haben soll", und die nun einen Herrn B. geheiratet habe, der allerdings zunächst besser das Waldhorn zu blasen als eine Frau zu ernähren verstehe. Wir wollen gewiß nicht der Ehre der nachher als verheiratete Dame vielleicht sehr solide gewordenen "Jungfer Fritz" nach anderthalb Jahrhunderten zunahe treten, aber dieser etwas zweifelhafte Ruf der Dame, der freilich für uns nur auf dem on dit des sarkastischen Hippel beruht, stimmt doch ganz wohl zu dem, was Kants Schüler und späterer Kollege Kraus von einer "Königsbergerin" berichtet, die Kant "zu heiraten gewünscht" habe. Der Philosoph selbst habe "darüber einmal" das Wort "fallen lassen", dass "bei näherer Ansicht das Gleißende sehr geschwunden sei, d. h. dass er eine seiner würdige weibliche Seele da nicht gefunden habe". Vielleicht also stammen Kants spätere häufige, übrigens meist verhältnismäßig milde, Urteile über weibliche Koketterie (vgl. z. B. Anthropologie, S. 251, 255, 259) aus eigener Erfahrung.

 

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*) Vgl. dazu die interessanten Vorlesungs-Notizen bei O. Schlapp, Kants Lehre vom Genie 1901, besonders S. 36, 80A., 82 t.


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Seite zuletzt aktualisiert: 28.12.2006 
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