Abnehmende Schriftstellertätigkeit


Da der kluge Verleger dem berühmt gewordenen Magister freigebig alle gewünschten Bücher mit in seine Wohnung gab, zumal seit sie unter einem Dache hausten, so gab der Gelehrte ihm zum Entgelt seine Schriften in Verlag, zu deren Veröffentlichung er vielleicht mehr als einmal von dem geschäftigen Manne veranlaßt worden ist. Denn, während er seit der Kosmologie von 1755, abgesehen von den kleinen Gelegenheitsaufsätzen über das Erdbeben von Lissabon, nur offizielle Universitätsdissertationen und -programme in verschiedenen Verlagen herausgegeben hatte, erschienen jetzt in rascher Folge bei Kanter alle die im vorigen Kapitel genannten Schriften, abgesehen natürlich von der durch den Akademie-Verlag gedruckten Preisschrift. Auch für die von Kanter begründeten 'Königsbergschen Gelehrten und Politischen Zeitungen" die bei dem Überwiegen rein kaufmännischer Gesichtspunkte nicht das geworden sind, was sie vielleicht unter anderen Umständen hätten werden können, hat Kant gleich im ersten Monat ihres Bestehens (Februar 1764) den schon besprochenen 'Versuch über die Krankheiten des Kopfes' beigesteuert; im Monat darauf die erst vor wenigen Jahren von A. Warda ausgegrabene Anzeige einer Schrift des gelehrten Magdeburger Pastors Silberschlag über ein im Juli 1762 beobachtetes großes Meteor ("Feuerkugel"). Von dem Schreiben von Rezensionen, dieser von unseren heutigen jüngeren Gelehrten so häufig geübten Tätigkeit, war Kant kein Freund. Er hat nur vereinzelte, und diese meist anonym, geschrieben. Er fühlte sich, wie er einmal äußert, schon an sich nicht recht geeignet dazu, und hatte zudem Wichtigeres zu tun. Ebensowenig ließ er sich, obwohl an sich ein starker Leser, durch Bekannte zu dem Studium von Büchern, die außerhalb seiner Interessensphäre lagen, bestimmen. So beklagt sich einmal Scheffner gegen Herder über ihn: "Kant ist stets zu faul (!) gewesen, das Gold aus dem Spanier" — einem gewissen Huart, für den sich Scheffner gerade begeistert hatte — "abzusondern." Und ein andermal: "Kant ist zu faul (!), sonst macht' ich ein kritisches Picknick mit ihm" (an Herder, 7. Januar 1767). Die Sache lag tiefer, und der Grund war sicher nicht die vermeintliche "Faulheit" Kants; denn die von Scheffner beabsichtigte gemeinsame Rezension sollte — Herders Erstlingsschrift, die 'Fragmente' (s. oben S. 173) betreffen.

Sogar mit eigenen Schriften oder Aufsätzen hörte er, nach der ergiebigen Zeit von 1762—66, in seinen letzten Magisterjahren ganz auf, abgesehen von der in den 'Königsberger Frag- und Anzeigungsnachrichten' von 1768 veröffentlichten, nur wenige Seiten zählenden Abhandlung 'Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Räume', die schon einen Vorläufer der Inaugural-Dissertation von 1770 darstellt, darum inhaltlich besser im Zusammenhang mit dieser behandelt wird.

Woher dieser Umschwung? Wir können ihn verstehen, wenn wir uns in seine damalige Lage versetzen. Innere und äußere Gründe trafen zusammen. Innerlich das Suchen nach einem festen, endgültigen Standpunkt, den er zuweilen gefunden zu haben meint, um schließlich einzusehen, dass er sich getäuscht, dass er sich in immer neue Untersuchungen "einflechte", dazu die ermüdende akademische Arbeit: so dass ein Aufschub nach dem anderen nötig wird (Brief an Lambert vom 2. September 1770). Äußerlich der Gedanke, für den bereits in der Mitte der Vierziger stehenden, noch immer unbesoldeter Magister zu sein, Aussicht auf die ersehnte philosophische Professur nur durch den Tod des freilich bejahrten augenblicklichen Inhabers zu erhalten. Es ist wohl kaum ein Zufall, sondern ist den Empfindungen dieser langen, immer quälender werdenden Wartezeit entsprungen, wenn Kant sich öfters in dieser Zeit (vgl. Anthropologie § 64) mit den Gefühlen eines "Adjunkten" beschäftigt hat, der lange auf feste Anstellung warten muß und schließlich mit einem Gemisch von Traurigkeit und Freude dem "von ihm verehrten Vorgänger im Leichenbegängnisse folgt". Dazu kein Band der Ehe, keine näheren Familienbeziehungen. Kein Wunder, dass er jetzt auch zum ersten Male über körperliches Mißbehagen klagt, während er sich in seinen früheren Magisterjahren auch gesundheitlich besonders wohl gefühlt hatte. Was half es, dass sein Porträt unter den heimischen Berühmtheiten in Kanters Laden prangte, dass er mit seinem Kollegen Reusch allein von dem Berliner Ministerium im Mai 1767 eine lobende Anerkennung seines Fleißes und der guten Auswahl der Lehrbücher wegen erhielt, dass ihn im November 1769 ein K. R. Hausen in Halle in eine Sammlung von 'Biographien berühmter Philosophen und Geschichtsschreiber des 18. Jahrhunderts in und außer Deutschland' aufnehmen wollte? Auch zu dem Rufe nach Berlin, von dem Lambert in seinem Briefe vom 13. November 1765 andeutungsweise gesprochen, war es nicht gekommen.


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