Maria Charlotta Jacobi


Schon ehe die 24 jährige Jungfer Fritz in den Ehehafen einlief, dem Magister Kant, in diesem Falle, wenn unsere Vermutung richtig ist, glücklich entgangen war, hatte eine cause celèbre, die mit einer anderen unserem Philosophen sehr gut bekannten Dame zusammenhing, die vornehmen Kreise Königsberg weit mehr aufgeregt. Sie betraf die Frau von Kants Freund, dem Geheimen Kommerzienrat Conrad Jacobi. Maria Charlotta Jacobi stammte aus der reichen und angesehenen Patrizierfamilie Schwinck und war am 7. Juli 1739 geboren. Schon am 6. Juni 1752, also noch nicht ganz 13 Jahre alt, heiratete sie den damaligen "Bankier und Negotianten" Johann Conrad Jacobi, der 22 Jahre älter als sie war. Vielleicht war es doch eine Folge dieser allzu frühen Heirat mit einem bedeutend älteren Manne, dass sie sich in dieser Ehe auf die Dauer nicht befriedigt fühlte, zumal da dieselbe, wie es scheint, nicht mit Kindern gesegnet war.*) Das Ehepaar bewohnte ein Haus in der Kneiphofschen Langgasse, das sie geerbt hatte, seit 1764 ein noch schöneres palastartiges Haus, das man dem Burggrafen zu Dohna abgekauft hatte, in der Junkerstraße. Der vielbeschäftigte Gemahl ließ der jungen und wohl etwas verwöhnten Frau, in die er verliebt war, vermutlich viele Freiheit. Sie war die Königin der Bälle und Festlichkeiten in Königsberg, die, um es mit Hippels Worten auszudrücken, allen "Komödien, Redouten, Konzerten und Privatbällen" der vornehmen Königsberger "Gesellschaft" den "eigentlichen Glanz" verlieh. So war es denn nicht eine beliebige Königsberger Dame, sondern die gefeiertste Schönheit der Stadt, die an einem schönen Sommertage des Jahres 1762 aus ihrem Garten an Magister Kant das erst durch die Akademie-Ausgabe bekannt gewordene originelle Briefchen schrieb, das der Adressat sich doch wohl zum Andenken aufgehoben haben muß. Wir setzen es trotz seiner übelen Orthographie (die den vornehmen Damen der damaligen Zeit eigentümlich gewesen zu sein scheint, die wir ihnen aber bei dem schlechten Schulunterricht ebensowenig anrechnen dürfen, wie etwa Friedrich dem Großen oder dem alten Blücher) nach seinem vollen Wortlaut hierher:

 

"Wehrter Freund

Wunderen Sie sich nicht dass ich mich unterfange an Ihnen als einen großen Philosophen zu schreiben? Ich glaubte sie gesteren in meinen garten zu finden, da aber meine Freundin mit mir alle alleen durchgeschlichen, und wir unseren Freund unter diesem Zirckel des Himmels nicht fanden, so beschäfftigte ich mich mit Verfertigung eines Degen [Segen?] Bandes, dieses ist ihnen gewidmet. Ich Mache anspräche auf Ihre gesälschafft Morgen Nachmittag, Ja Ja ich werde kommen, höre ich sie sagen, nun Gutt, wir erwarten sie, dan wird auch meine Uhr aufgezogen werden, verzeihen Sie mir diese erinnerung Meine Freundin und Ich überschicken Ihnen einenn Kuß, per Simpatie die Lufft wird doch woll im Kneiphoff dieselbe seyn, damit unser Kuß nicht die Simpatetische Krafft verliret, Leben Sie Vergnügt und Wohl

Jacobin

auß dem garten d. 12 Juny 1762."

 

Von der Freundin wissen wir leider nichts. Den Garten, der hinter den Jacobischen Getreidespeichern in der Nähe von Kants Geburtshaus lag, und aus dem sie ihm den "simpatetischen" Kuß nach der im Kneiphof gelegenen Magistergasse schickt, und seine Alleen scheint der galante Magister offenbar ganz gut gekannt zu haben; und der Herr Gemahl wird bei der ganzen Angelegenheit nicht erwähnt. Trotzdem enthält der Brief nichts, was auf mehr als gute Freundschaft hindeutete; Küsse hatten in der damaligen Zeit, wie man weiß, weniger zu bedeuten als heute. Die Anspielung mit dem Uhraufziehen bezieht sich darauf, dass Kant über die Damen in seinen Vorlesungen zu scherzen pflegte: "sie brauchen ihre Bücher ebenso wie ihre Uhr, nämlich sie zu tragen, damit gesehen werde, dass sie eine haben; ob sie zwar gemeiniglich stillsteht oder nicht nach der Sonne gestellt ist." Der ganze Ton des Briefchens ist neckisch und natürlich und sieht gar nicht nach der etwas stolzen und kalten Weltdame aus, als die sie auf einem uns erhaltenen Bilde erscheint. Freüich zählte sie damals erst 23 Jahre.

Erst 3½ Jahre später stoßen wir in Kants Briefwechsel wieder auf Frau Jacobi. Sie befand sich im Januar 1766 seit längerer Zeit zu einer, übrigens ungefährlichen, Augenkur in Berlin. Ihr Mann, der sie begleitet hatte, war durch unerwartete schlechte geschäftliche Nachrichten nach Hause gerufen worden, während sie allein zurückblieb. Kant hat ihr kurz vorher einen sehr liebenswürdigen Brief geschrieben: "einige reihen in Ihrem letzten Briffe sind zu schmeichelhaft für mich, als das ich Sie beantworten könnte." Vielleicht, um sie dafür zu trösten, dass er sie nicht, wie er ihr — doch wohl im Scherz — versprochen, von Berlin nach Königsberg zurückbegleiten konnte: "übrigens mein werter Freund haben Sie eine Ungerechtigkeit begangen und sind davor abbitte schuldig, das Sie mir die Hoffnung benehmen, in Ihrer gesellschafft nach Königsberg zu reisen." Die Handelsgeschäfte des Herrn Jacobi scheinen damals wirklich schlecht gegangen zu sein; denn sie schreibt in diesem Zusammenhang von einem "abgrund von wiederwärtigkeiten" und bedauert auch Kant gegenüber, dass sie nicht das Vermögen habe, "Ihre Verdienste (welche keine empfehlungen vermehren können) zu belohnen und Sie dadurch von allen mühsamen Verbindungen zu befreien". Doch ihre melancholische Stimmung ist ebenso rasch, wie sie gekommen, wieder verflogen. Ein "großer Lärm von Paucken und trompeten, und eine Menge Schlitten, deren führer Printzen und Grafen waren" (es war der 18. Januar, also Krönungsfest), ruft sie ans Fenster, und so — versäumt sie den Posttag! Sie tröstet ihn damit, dass sie ihm durch einen Herrn Kaulke demnächst Nachrichten über seinen geliebten Rousseau übermitteln werde: "man hoft den Herrn Roussau bald in den Jegenden von Berlin zu sehen, wie auch den Herrn Voltair."

Zwischen ihr und ihrem Gemahl stand nach diesem Briefe alles noch gut. "Meine Zufriedenheit hängt bloß von seiner ruhe ab," schreibt sie sogar im Anschluß an eine Mitteilung ihres Mannes, dass ihm die Abende, welche er "in Ihrer und des Herrn Mintzmeisters gesälschafft" zubrächte, die angenehmsten wären. Gerade dieser "Mintzmeister" indes sollte wenige Jahre später ihr Schicksal werden. Es war der Pfarrerssohn Johann Julius Göschen aus dem Braunschweigischen, ein Verwandter des berühmten Leipziger Buchhändlers, der, 1740 geboren, seit kurzer Zeit eine Anstellung an der Königsberger Münze gefunden hatte. Von hübschem Äußeren und gewandtem Wesen wie offenbar auch von geistigen Bedürfnissen, gewann er sich bald eine geachtete Stellung in den gebildeten Kreisen Königsbergs, vor allem auch die Freundschaft Kants. Trotz ihres bedeutenden Altersunterschiedes müssen sich beide Männer ziemlich eng aneinander geschlossen haben; Hippel nennt sie gelegentlich die "Mascopisten", d. h. Kameraden, die Unzertrennlichen und unternimmt mit beiden, dem "Münzmeister und dem Philosophen", im Herbst 1767 eine kleine Landreise, während eine im Herbst zuvor zu dem gemeinsamen Freund Scheffner in Gumbinnen geplante ins Wasser fiel, weil es dem Phüosophen zu kalt, dem Münzmeister zu weit war. Göschen (auch Gösche genannt) verkehrte nun so nah mit den Jacobis, dass er im Winter 1767/68 sogar mit ihnen gemeinsam eine Loge im Theater besaß, in die öfters auch Hippel und doch wohl zuweilen auch Kant gegangen ist. Maria Charlotta übertrug ihre Liebe auf den ihr gleichaltrigen Hausfreund, der auch seinerseits kein Weiberverächter gewesen zu sein scheint; "machen Sie ihn ja mit keinem artigen Kinde in Danzig bekannt, sonst bekommen wir ihn desto später zurück," schreibt Hippel über Göschen an einen gemeinsamen Bekannten nach Danzig am 1. September 1768. Inzwischen müssen starke Zwistig-keiten zwischen dem Ehepaar Jacobi vorgekommen sein. Denn schon im selben Monat kam es zum öffentlichen Bruch. Der weitere Verlauf der Sache geht aus Hippels Briefen an Scheffner hervor; wobei allerdings von vornherein zu bemerken ist, dass der erstere eine recht böse Zunge hatte.

17. September 1768: "Künftigen Montag wird Jacobi von seiner Frau geschieden. Die Ursache der Scheidung ist ein Ehebruch, den sie nicht allein zugesteht, sondern auch, ohne Zweifel in der Hoffnung, dass sie Göschen heiraten wird, aus der Ursache begangen zu haben vorgibt, weil sie geschieden werden und von einem so nichtswürdigen Kerl, wie sie sagt, loskommen wollte. Hat G. ihr Hoffnungen gemacht, so ist er strafbar, erfüllt er sie aber wirklich, so fehlt mir jeder Ausdruck. Sein Name leidet entsetzlich, und alle Welt sagt und die Jacobi am meisten, dass er sie heiraten werde. ... Er, Jacobi, hat nicht nur alles auf sich nehmen wollen, sondern bietet ihr noch fußfällig den Vertrag an. ... Die Prinzessin Jacobi ist gefallen. Alle Welt verachtet sie, und die, so durch sie umdunkelt worden, triumphieren. ..." In einem späteren Briefe heißt es: "Die J. ist auf dem Butterberge [Straße Königsbergs!] und wird auch ohnfehlbar ihre Wochen erhalten" [abhalten? K. V.], sie werde jetzt "mehr verachtet als besprochen". Der Mann verkaufe alle Mobilien und wolle auch gern das Haus losschlagen; sie nenne ihn jetzt "Vater und Freund". Einen großen Einfluß auf die Männerwelt überhaupt und speziell auf Göschen muß sie besessen haben, denn Hippel schreibt weiter: Göschen, der vorher nichts von der Scheidung gewußt habe, besuche sie, und — "sie besuchen, sie sprechen und sich von ihr einflechten lassen, ist beinahe einerlei".

Sie "flocht" ihn denn auch wirklich "ein". Ein Jahr später kam es zwischen den beiden zum Ehebunde. Selbst vor seinen besten Freunden hatte der Münzmeister die Sache geheim gehalten. "Die ganze Stadt spricht: Göschen werde die J. heiraten, nur Kant und ich sprechen nichts davon, weil er uns keine Silbe von dieser seiner Absicht anvertraut hat" (Hippel an Scheffner, 12. August 1769). Dass während der Scheidungssache gegen Kant (!) und Hippel "manches unverdiente Wort" von dem Publikum gerichtet wurde, hatte letzterer schon früher erwähnt. Frau Maria Charlotta trotzte also dem Urteil der öffentlichen Meinung, verkaufte ihr schönes Haus in der Junker- und bezog ein weit einfacheres in der Landhofmeisterstraße. Am 23. Oktober fand, nach nur einmaligem (statt des gewöhnlichen dreimaligen) Aufgebot in einer Vorstadtkirche, die Trauung im Hause, nicht in der Kirche, statt. Kant hatte sich entschieden auf die Seite des verlassenen Ehemanns gestellt und blieb der Hochzeit fern. "Herr M. Kant, der ein recht guter Junge (!) und mein recht sehr guter Freund ist und bleibt," schreibt Hippel, "hat soviel Wunderliches von der jetzigen Frau Münzmeisterin, weiland Frau Geheimde Rätin, zu ihrem Gemahl gesagt und sich wider diese Heirat so empört, dass er Bedenklichkeiten findet, sich bei ihr zu zeigen." Es muß doch noch allerlei dahinter gesteckt haben; denn vorher heißt es in demselben Briefe und in derselben Sache von Kant: "Sie wollen mich eben nach dem Herrn Magister Kant fragen? Das ist ein Lustspiel, bestehend in fünf Aufzügen, das ich heute unmöglich geben kann." Schade drum!

Lange hat, im Unterschied von Hippel u. a., Kant sich von dem einstigen guten Freunde Göschen infolge dieser Eheaffäre ferngehalten. Jachmann, um 1784/85 Kants Zuhörer, berichtet darüber: "M(ünz) D(irektor) G(öschen) .... machte (sc. nach seiner Heirat) ein angenehmes Haus in Königsberg, das von sehr vielen Fremden besucht wurde. Kant wurde sehr häufig und sehr dringend hier eingeladen, aber er betrat nie die Schwelle dieses Hauses, aus Achtung für den ersten Mann, mit welchem er fortwährend in einem freundschaftlichen Umgange lebte. Er hielt es für unerlaubt und für unschicklich, mit beiden Männern zugleich in einem freundschaftlichen Verhältnisse zu leben, glaubte den ersteren dadurch zu beleidigen und dem anderen den Glauben beizubringen, als wenn er sein tadelhaftes Benehmen gut hieße. Mir ist es bekannt, dass ihn jetzt, so wie er handelte, beide Männer schätzten und verehrten." Ob nach Jacobis Tod (August 1774) dieser Grund wegfiel? Jedenfalls erzählt Hamann am 21. November 1786 von einer Mittagsgesellschaft, an der Kant und Göschen teilnahmen. Von 1790 ab ist die Wiederherstellung der alten Freundschaft bezeugt. Denn am 1. April 1790 schickt de la Garde, der Verleger von Kants Kritik der Urteilskraft und zugleich ein guter Bekannter der Göschens, in einem Bücherpaket an Kant unter Einschluß auch ein "Päckchen" an den inzwischen Münzdirektor gewordenen Göschen mit. Am 8. Juni 1795 bestellt Kiesewetter durch Kant brieflich viele herzliche Empfehlungen an den Münzdirektor, dem er bessere Gesundheit wünscht, und Familie. Zudem erzählte einem Urenkel des Ehepaares Göschen, dem gegenwärtig in Merseburg lebenden Amtsgerichtsrat Herrn Reinhold G., ein bejahrter Oheim, Enkel des Münzdirektors, dass er als Knabe Kant oft im Hause des Großvaters, auch in Gesellschaften, gesehen habe. Am 19. September 1795 schrieb der Philosoph dem einzigen, damals 17 jährigen Sohne des Paares, späterem Professor der Rechte und erstem Doktor der neugegründeten Berliner Universität J. F. L. Goeschen, einen seiner Lieblingsverse ins Stammbuch: Ad poenitendum properat, cito qui iudicat. Der Münzdirektor selbst aber machte bis zum Tode seiner Frau nicht bloß eins der gastlichsten Häuser in Königsberg, sondern stand auch bei vornehm und gering, wie auch bei seinen vorgesetzten Behörden, in bestem Ruf und Ansehen. Mag man über die Scheidung von dem ersten Manne denken wie man will — nach unserer Meinung war der Fehler durch die Heirat der noch nicht 13 jährigen gemacht worden —, jedenfalls hat Frau Maria Charlotta durch ihre langjährige und nach allem, was wir wissen, glückliche und mit vier Kindern gesegnete zweite Ehe gesühnt, was sie etwa verbrochen hat. Sie starb am 4. Januar 1795, überlebt von ihrem seitdem kränkelnden Manne ( 7. Mai 1798) und von dem Freunde ihrer jungen Jahre, dem Magister Kant.

 

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*) Nach Jacobis Tode (1774) wurde sein Universalerbe sein Neffe Friedrich Conrad Jacobi.


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Seite zuletzt aktualisiert: 28.12.2006 
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