Verhältnis zu Marcus Herz


Herz war nach seiner Rückkehr in Berlin von den Gelehrten, denen ihn sein Lehrer empfohlen, gut aufgenommen worden. Namentlich Mendelssohn, obwohl philosophisch mehr dem Wolffianer Baumgarten zuneigend, würdigte ihn seines fast täglichen Umganges und schilderte ihn in einem Briefe an Kant vom 25. Dezember 1770 mit den Worten: "Er besitzet einen hellen Verstand, ein weiches Herz, eine gemäßigte Einbildungskraft und eine gewisse Subtiligkeit des Geistes, die der Nation natürlich zu sein scheint." Dass er auch noch später denselben sympathischen Eindruck hervorrief, bezeugt die aus dem Jahre 1798 stammende, bisher noch ungedruckte Charakteristik seitens des Theologen Abegg: "Ein Mann von mittlerer Größe, in sich bestimmt, ohne Umständlichkeit und Stolz, sollte man sagen, in der ruhigen Haltung des Mannes von Welt. Aber je länger man um ihn ist, desto lieber gewinnt man ihn wegen seines hellen Verstandes und seiner Freundlichkeit, alles Gute einem zu erweisen und für das Gute seine Teilnahme zu zeigen."*)

Herz fühlte sich mit seinen vorzugsweise gelehrten Interessen anfangs in dem Berliner "Weltton" nicht recht heimisch. In der preußischen Hauptstadt lebte damals der Mittelstand in geistiger Beziehung im allgemeinen ziemlich beschränkt und philisterhaft dahin, während die reichen Kaufleute sich nur in Luxus und glänzenden Festen groß zeigten. Die niederen und mittleren Beamten waren durch die Last der Geschäfte und das schmale Einkommen gedrückt. Die hohen Militärs und Zivilisten standen in Verbindung mit dem Hof, dieser aber entbehrte anregender und geistreicher Geselligkeit, da Friedrich der Große nur mit wenigen intimen Freunden, besonders Franzosen, verkehrte und sein Neffe und präsumtiver Nachfolger keine tieferen geistigen Interessen besaß. In der Literatur wurden von den meisten noch Haller, Hagedorn, Geliert, Ewald von Kleist und Gottsched bewundert. Am meisten öffneten noch die reichen jüdischen Häuser ihre Pforten der moderneren, französischen Bildung und zwar, im Unterschiede von den meisten christlichen Familien, auch ihren weiblichen Mitgliedern; anfangs nur zum Zweck der "Conversation" mit Offizieren und Hofkavalieren, später auch zu ernsterer Lektüre; auch Moses Mendelssohn machte ein, wenn auch einfaches "Haus". In eins der gebildetsten jüdischen Häuser, dasjenige des aus vornehmer portugiesischer Familie stammenden angesehenen Arztes de Lemos, kam nun auch Marcus Herz, der mittlerweile selbst ein beliebter und gesuchter Arzt geworden war, hinein und verlobte sich 1777 mit der noch nicht 13 jährigen, aber geistig und körperlich frühreifen Tochter, der schönen Henriette. Oder vielmehr sie wurde von ihren Eltern mit dem 16 Jahre älteren Mann verlobt.**) Sie schreibt selbst in ihren Lebenserinnerungen von seinem ersten Bräutigamsbesuch: "Er war 15 Jahre älter als ich, klein und häßlich, und ich glaube kaum, dass ich damals schon seine Häßlichkeit über dem geistreichen Ausdruck seines Gesichtes vergaß." Die Hochzeit fand über zwei Jahre später, am 1. Dezember 1779, statt. Hören wir sie selbst weiter berichten: "Bald nach seiner Verheiratung fing er auch an, in unserer Wohnung philosophische Kollegien zu lesen, zu welchen sich ein sehr gewähltes Publikum einfand. Diese hatten um so mehr eine förderliche Ausdehnung unserer Verbindungen zur Folge, als er die tüchtigeren und ihm interessanteren unter seinen Zuhörern bisweilen zum Abendessen einlud." So wurde das Herz'sche Haus bald eins der angenehmsten und gesuchtesten Berlins: Marcus zog als berühmter Arzt und geistreicher Kopf, Henriette, die übrigens auch Physik und mehrere Sprachen trieb, durch ihre hervorragende Schönheit an. Beide hatten freilich in literarischen Dingen einen sehr verschiedenen Geschmack: Henriette war begeistert für Götz und Werther, später für die Romantik, kurz alles, was die Phantasie ansprach, während Marcus Lessings durchsichtige Klarheit am höchsten stellte. Als einmal Freund David Friedländer, der ihn 1779 von Königsberg nach Berlin zurückbegleitet, um Erklärung einer dunklen Stelle in einem Goethe'schen Gedichte bat, wies er ihn an Henriette: "Gehen Sie zu meiner Frau, die versteht die Kunst, Unsinn zu erklären" [Ob wohl Immanuel Kant auch so gesprochen hätte? Möglich wäre es!].

 

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*) Er blieb mit seinem verehrten Königsberger Meister, dessen Bild über seinem Schreibtisch hing, in Verbindung und betätigte sich auch in philosophischer (später auch medizinischer) Schriftstellerei, die freilich den Sinn des Lehrers nicht immer richtig traf, wie dieser von Herz' Wiedergabe seiner Inaugural-Dissertation in dessen Betrachtungen aus der spekulativen Weltweisheit' (158 Seiten, 1771 bei Kanter erschienen) meinte (K. an Nicolai, 25. Oktober 1773; vgl. den Schluß von Kants Brief an M. Herz von Ende 1773, Briefw. i, 139).

**) Wahrscheinlich hat Herz seine Verlobung oder die Absicht zu derselben auch dem ehemaligen Lehrer mitgeteilt; denn Kant spricht ihm am Schluß eines Briefes vom 20. August 1777 seine Teilnahme nicht bloß am "Wachstum" seines "Beifalls" und seiner "Verdienste", sondern auch seiner "häuslichen Glückseligkeit" aus.


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