Schriften:
Gegen die Schullogik und -metaphysik


Gleich die erste derselben, die nach drei Jahren literarischer Pause zu Anfang des Winters 1762 erschienene, vielleicht eine Begleitschrift zu seinem Colleg über Logik bildende kurze Abhandlung über 'Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren" von ihrem Verfasser als die "Arbeit weniger Stunden" charakterisiert, läßt eine schärfere Oppositionsstellung des Autors, als er sie bis dahin eingenommen, erkennen. Sie richtet sich mit bewußter Schärfe gegen den ganzen logischen Schulbetrieb seiner Zeit. Da er in seinen Vorlesungen "nicht alles seiner Einsicht gemäß einrichten" könne, sondern "manches dem herrschenden Geschmack zu gefallen tun" müsse, so wolle er wenigstens in dieser Schrift begründen, weshalb er die Spitzfindigkeiten der Syllogistik (Lehre von den vier "Figuren" der logischen Schlüsse) nur kurz behandeln werde, um die dadurch gewonnene Zeit zur "wirklichen Erweiterung nützlicher Einsichten" zu verwenden. Dabei "häufen sich die wissenswürdigen Dinge zu unseren Zeiten", es "bieten sich Reichtümer im Überflusse dar", so dass wir am besten tun, allen jenen "unnützen Plunder" wegzuwerfen, mit dem wir uns lieber nie hätten belästigen sollen. Freilich schmeichle er sich nicht, mit seiner kleinen Abhandlung diesen tönernen Koloß umzustürzen. Übrigens sei, auch abgesehen von den Spitzfindigkeiten der Schullogik, die menschliche Erkenntnis "voll unerweislicher Urteile".

Deshalb unternimmt die nächste, im folgenden Sommer verfaßte, aber erst Ostern 1764 veröffentlichte Abhandlung, der 'Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen' einen Vorstoß gegen die zeitgenössische Schulmetaphysik. Das Prunken mit der mathematischen Methode sei zwar von den Metaphysikern allmählich wieder aufgegeben worden, aber wahren Nutzen aus der evidentesten aller Wissenschaften zu ziehen, hätten sie bisher in törichter Selbstüberhebung versäumt. Einen kleinen Anfang wolle er mit der philosophischen Erörterung der von Kästner vortrefflich mathematisch behandelten "negativen Größen" machen. Von besonderem philosophischem Interesse ist die "Schlußanmerkung", weil ihre Unterscheidung von "logischem" und "Real"-Grund schon die spätere, in den Prolegomenen als "klassisch" bezeichnete zwischen analytischen und synthetischen Urteilen in sich birgt, und weil die damit zusammenhängende Grundfrage: Wie soll ich es verstehen, dass, weil etwas ist, etwas anderes sei? die Vorstufe zu der kritischen Kernfrage darstellt: Wie sind synthetische Sätze a priori möglich? Gerade zu diesen Unterscheidungen und Fragestellungen aber ist Kant offenbar durch Humes Bezweifelung des Kausalitätsgesetzes angeregt worden, wenn er auch seinen Namen hier nicht nennt.*) Ganz in dem skeptischironischen Ton des Schotten spricht er von den "gründlichen" Philosophen, denen nichts verborgen bleibt, von der "hohen Weisheit" dieser "großen Geister", während er selbst aus der Schwäche seiner Einsicht kein Geheimnis mache, "nach welcher ich gemeiniglich dasjenige am wenigsten begreife, was alle Menschen leicht zu verstehen glauben". Wie etwas aus etwas anderem — von der logischen Identität abgesehen — folge, das möchte er sich gern erklären lassen; indes mit bloßen Worten wie Ursache und Wirkung, Kraft und Handlung lasse er sich nicht abspeisen. So bleibt er hier noch bei dem Zweifel Humes stehen. "Dereinst" werde er das Ergebnis seines Nachdenkens über "die Natur unserer Erkenntnis in Ansehung unserer Urteile von Gründen und Folgen" ausführlich darlegen. Dieses "dereinst" erfüllte sich erst 18 Jahre später — in der Kritik der reinen Vernunft.

Von dem umfangreichsten Werk dieser Jahre, dem 'Einzig möglichen Beweisgrund' ist schon im ersten Kapitel dieses Buches die Rede gewesen.

 

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*) Dass er ihn gleichwohl im Auge hat, zeigt ein Vergleich mit der Vorrede der Prolegomena (S. 4 meiner Ausgabe, Philos. Bibl. Bd. 40).


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