Zum Hauptinhalt springen

Genie

Genie. „Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt. Da das Talent, als angeborenes produktives Vermögen des Künstlers, selbst zur Natur gehört, so könnte man sich auch so ausdrücken: Genie ist die angeborene Gemütsanlage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt.“ „Man sieht daraus, daß Genie 1. ein Talent sei, dasjenige, wozu sich keine bestimmte Regel geben läßt, hervorzubringen: nicht Geschicklichkeitsanlage zu dem, was nach irgendeiner Regel gelernt werden kann; folglich, daß Originalität seine erste Eigenschaft sein müsse; 2. daß, da es auch originalen Unsinn geben kann, seine Produkte zugleich Muster, d. i. exemplarisch sein müssen; mithin, selbst nicht durch Nachahmung entsprungen, anderen doch dazu. d. i. zum Richtmaße oder Regel der Beurteilung dienen müssen; 3. daß es, wie es sein Produkt zustande bringe, selbst nicht beschreiben oder wissenschaftlich anzeigen könne, sondern daß es als Natur die Regel gebe ...; 4. daß die Natur durch das Genie nicht der Wissenschaft, sondern der Kunst die Regel vorschreibe“, KU § 46 (II 160 f.). Der große Mann der Wissenschaft ist vom Genie spezifisch verschieden, denn ihre Leistungen lassen sich erlernen, ibid. § 47 (II 161 f.). Das Genie ist spezifisch ein „Talent zur schönen Kunst“, ibid. § 48 (II 164); vgl. Schönheit. „Kunstwerke“ zeigen zuweilen Genie ohne Geschmack oder aber Geschmack ohne Genie, ibid. (II 167). Das Genie besteht in dem „glücklichen Verhältnisse“, „zu einem gegebenen Begriffe Ideen aufzufinden, und anderseits zu diesen den Ausdruck zu treffen, durch den die dadurch bewirkte subjektive Gemütsstimmung, als Begleitung eines Begriffs, anderen mitgeteilt werden kann“ (vgl. Geist) Genie ist „die musterhafte Originalität der Naturgabe eines Subjekts im freien Gebrauche seiner Erkenntnisvermögen“. Das Produkt eines Genies ist ein Beispiel nicht der Nachahmung, sondern der „Nachfolge für ein anderes Genie, welches dadurch zum Gefühl seiner eigenen Originalität aufgeweckt wird“. Das Genie bringt durch sein Beispiel für andere gute Köpfe eine „Schule“ hervor, d. h. „eine methodische Unterweisung nach Regeln, soweit man sie aus jenen Geistesprodukten und ihrer Eigentümlichkeit hat ziehen können“, ibid. § 49 (II 172 f.). Der Geschmack ist die Disziplin oder Zucht des Genies. ibid. § 50 (II 174). Das Genie ist „das Vermögen ästhetischer Ideen“, ibid. § 57 Anmerk. I (II 202).

„Die Originalität (nicht nachgeahmte Produktion) der Einbildungskraft, wenn sie zu Begriffen zusammenstimmt, heißt Genie“, Anthr. 1. T. § 30 (IV 73). Genie ist die „Originalität im Denken“, ibid. § 54 (IV 140), die „Originalität des Erkenntnisvermögens“, ibid. § 57 (IV 145); das „Talent zum Erfinden“, die „musterhafte Originalität“ des Talents eines Menschen, des seine Werke „ursprünglich“ hervorbringenden Künstlers. „Das eigentliche Feld für das Genie ist das der Einbildungskraft: weil diese schöpferisch ist und weniger als andere Vermögen unter dem Zwange der Regeln steht, dadurch aber der Originalität desto fähiger ist.“ Genie ist „eigentümlicher Geist“. „Genie“ (genius) weist auf die Unsichtbarkeit des Prinzips hin, dessen Eingebung gleichsam man folgt. „Die Gemütskräfte aber müssen hierbei vermittelst der Einbildungskraft harmonisch bewegt werden, weil sie sonst nicht beleben, sondern sich einander stören würden, und das muß durch die Natur des Subjekts geschehen: weshalb man Genie auch das Talent nennen kann, ‚durch welches die Natur der Kunst die Regel gibt‘“, ibid. (IV 146 f.). Genie ist „die Originalität in Erzeugung der Produkte des Erkenntnisvermögens; das Vermögen, unabhängig von einem anderen Muster und selbst doch musterhaft zu denken und zu handeln“, Anthr. Ergänz, aus der Handschrift (IV 302). „Ein begeistertes Genie ist jederzeit undankbar, hochmütig, unbändig und hohnsprechend. Aber so wie das Gackern einer Henne ertragen werden muß, weil sie doch mit Wehen uns ein Ei legt, wie darum trächtige Hausfrauen gemeiniglich den Ohren viel Plage machen, weil sie sich die Beschwerlichkeit machen müssen, ein Kind zu gebären, so ist das von der plastischen Natur geschwängerte Genie auch gebieterisch, hochmütig und trotzig, weil es unter beschwerlichen Verzückungen der Einbildungskraft, unter großer Gefahr der gesunden Vernunft uns ein Kind gebäret, was lieblich anzuschauen, aber, weil es ätherischen Ursprungs ist, sich augenblicklich in Äther auflöset, nachdem man ihm die Hülle der mystischen Sprache abgezogen hat“, N 936. „Das Genie ist ein Gestörter, den ein anderer erstlich auslegen muß“, N 940. Vgl. Idee, Kunst, Geist, Dichtkunst.