Fein. (Schöne Künste) Man nennt im eigentlichen Verstand dasjenige fein, was in seiner Art zwar bestimmte und klare, aber nicht starke Eindrücke auf die Sinnen macht, so dass schon scharfe Sinne zu bestimmter Empfindung desselben erfordert werden, wie ein feiner Ton, ein feiner Geruch, ein feiner Faden. Im figürlichen Sinn nennt man also dasjenige Fein, was eine etwas scharfe Vorstellungskraft erfordert, um den gehörigen Eindruck zu machen; was denen, die nicht genau aufmerken, leicht unbemerkt bleibt. So ist ein feiner Gedanken der, dessen Richtigkeit nur durch einen merklichen Grad der Scharfsinnigkeit entdeckt wird. Das Feine ist dem Groben entgegen gesetzt, das sich stark fühlen lässt und auch gröbern Sinne nicht entgeht.
Es liegt in der Natur der Vorstellungskräfte, dass diejenigen, die eine große Fertigkeit in jeder Art der Vorstellungen erlangt haben, von dem Feinen angenehmer gerührt werden als von dem zu merklichen. So wohl für die äußern als für die inneren Sinnen, werden rohe Menschen von solchen Dingen angenehm gerührt, die geübtern schon zu gemein und nicht fein genug sind. Der Künstler also, der für geübte und scharfe Kenner schreibt, muss das Feinere seiner Kunst besitzen und überhaupt einen feinen Geschmack haben, so wie der, der einem scharfsinnigen Mann schmeicheln will, ihn nicht grob, sondern auf eine verdeckte Art loben muss.
Also ist das Feine eine ästhetische Eigenschaft, wodurch einige Gedanken oder Vorstellungen ihre rechte Annehmlichkeit erhalten. Das Feine liegt aber entweder in der Vorstellung selbst oder in der Art, wie sie vorgetragen wird, nämlich in der Wendung und in dem Ausdruck. Ein Gedanken ist Fein, wenn seine Kraft von Begriffen herkommt, die nur scharfsinnige fassen. Zum Beispiel kann das Lob dienen, welches Euripides aus dem Munde des Adrastus dem Eteokles beilegt: Er liebte das Vaterland – die Bösen hasste er, nicht den Staat; denn er machte einen Unterschied zwischen der Republick und denen, die sie durch eine üble Verwaltung der Sachen verhasst machen.1 Zum Beispiel einer sehr feinen Wendung des Lobes kann das Kompliment dienen, das Horaz dem Dichter Alcäus macht. Mitten im Schrecken, den der römische Dichter aus augenscheinlicher Lebensgefahr gehabt und da er schon einen gewissen Tod erwartet, sich auch schon das dunkle Reich der Schatten lebhaft vorstellt, sieht er dort nur vorzüglich den Alcäus und bemerkt vornehmlich die Wunder seiner Lieder2. Durch den Ausdruck kann ein gemeiner Gedanke Fein werden, wenn ihm etwas, das auf eine feine Art reizt, beigemischt wird. Davon kann folgendes, aus dem eben angeführten Trauerspiel des Euripides, zum Bei spiel dienen3. Die argivischen Matronen bitten die Äthra ihren Sohn zu bewegen, ihnen die Leichnahme ihrer erschlagenen Söhne auszuliefern. Auch du, sagen sie, hast ehedem aus den lieblichen Umarmungen deines Gemahls einen Sohn geboren. Wie viel feiner ist dieses als das gemeine, auch du bist Mutter . Der angeführte Dichter ist vorzüglich reich an Gedanken, die durch den Ausdruck Fein werden. Wie Fein ist nicht folgendes, ebenfalls durch Einmischung angenehmer und an sich feiner Nebenbegriffe. Er vergönnte seiner Tochter aus den Freiern den zu wählen, auf den die lieblichen Eingebungen der Venus ihre Neigung lenken würden.4 Dadurch gibt der Dichter auf eine angenehme Weise zu verstehen, dass die Wahl eines Gatten durch ein gewisses nicht zu bestimmendes Gefühl, das aus Wollust entspringt, geleitet werde.
Zum feinen Ausdruck gehören überhaupt die Worte, die entweder die Hauptbegriffe selbst oder einige Nebenbegriffe, durch scharfsinnige Bilder oder durch andre nur geübten Kennern recht fühlbare Umwege mehr merken lassen als geradezu anzeigen. Was durch fast unmerkliche Anspielungen, durch ganz leichte flüchtige Zeichen, aber doch sehr richtig und bestimmt angezeigt wird, gehört hierzu. Es gibt gemeinen Vorstellungen ein reizendes Wesen und eine Neuheit, wodurch sie sehr angenehm werden und ist deswegen da zu brauchen, wo die Sachen selbst wenig reizendes haben. Personen von feinem Witz können auch die gemeinsten Sachen dadurch interessant machen. Daher ist der eigentliche Sitz des Feinen in den Werken des Geschmacks in den Materien und auf den Stellen, wo die Vorstellungskraft, wegen des geringen Gewichts der Sachen selbst, sinken könnte; besonders in dramatischen Stücken da, wo die Handlung etwas ruhig fortgeht.
Wo aber die Sachen selbst sehr wichtig, pathetisch oder sehr ernsthaft sind, da ist das Feine weniger nötig und würde auch unnatürlich sein, weil eine ernsthafte oder empfindungsvolle Gemütsfaßung ihm entgegen ist. Das Große, das Pathetische, das Erhabene, kann selten mit dem Feinen verbunden sein. Wer dabei fein sein wollte, der würde verraten, dass er das Starke und Große nicht mit voller Kraft fühlt.
Überhaupt gehört das Feine unter die Würze der Gedanken, wovon man leicht einen schädlichen Aufwand machen kann. Personen, die für jeden Gedanken eine feine Wendung und einen feinen Ausdruck suchen, fallen in das Gezierte und eine zu große Begierde sich immer fein auszudrücken, verleitet auch auf das Spitzfindige, welches eigentlich das falsche Feine ist.
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1 Euripid. in dem Trauersp. i‘.et.de..
2 Hor. Lib. II. od. 13.
3 vs. 55. 56.
4 Iphig. in Aul. vs. 68. 69.