Falsch. (Schöne Künste) Da wir hier das Falsche bloß in Absicht auf die schönen Künste betrachten, so können wir, ohne uns in tiefsinnige metaphysische Betrachtungen des Wahren und Falschen einzulassen, die Begriffe desselben festsetzen. Wir nennen nur dasjenige falsch, was uns als wirklich vorhanden vorgestellt wird, ob es gleich den Empfindungen oder Vorstellungen, die wir gewiss und ungezweifelt haben, widerspricht. Die Dinge, deren Wirklichkeit wir fühlen, sind entweder Vorstellungen oder Empfindungen, das ist, Begriffe von der Beschaffenheit der Sache, Urteile, die aus den Begriffen entstehen oder angenehme oder unangenehme Eindrücke und Zuneigung oder Abneigung, woraus unsere Entschliessungen folgen. Hieraus lässt sich jede Art des Falschen bestimmen.
Falsche Begriffe sind solche, die uns die Beschaffenheit einer Sache auf eine Art vorstellen, die den Begriffen, die wir wirklich haben, widerspricht. Man sagt von dem Maler, er habe falsch gezeichnet, wenn in der Größe oder in den Verhältnissen oder in der Form der gezeichneten Dingen etwas ist, das den in uns vorhandenen Begriffen widerspricht; man sagt in der Musik von einem Spieler, er habe falsch gegriffen, wenn die Töne, die er angibt, denen, die wir haben erwarten können, widersprechen. Man schreibt dem Redner und Dichter falschen Witz zu, wenn seine An spielungen, Vergleichungen und Bilder keine wirkliche Ähnlichkeit mit den Sachen haben, die er uns dadurch bezeichnen will; man sagt, er habe falsche Begriffe, wenn er uns Sachen als vorhanden oder als geschehen erzählt, die dem, was klar in unserer Vorstellung liegt, widersprechen. Ein falscher Gedanken ist ein Urteil, das als der Erfolg von solchen Begriffen angegeben wird, die in unserer Vorstellung einen ganz anderen Erfolg haben.
Wie nun das Wahre große ästhetische Kraft haben kann1, und also ein Gegenstand der schönen Künste ist, so muss das Falsche als etwas, das in den Künsten auf das sorgfältigste zu vermeiden ist, angesehen werden; denn der Widerspruch, den wir bei dem Falschen fühlen, beleidiget und macht, dass wir unsere Vorstellungskraft von dem falschen Gegenstand und dem, was damit verbunden ist, abziehen. Die Werke der Kunst stellen uns meistenteils Gegenstände, die des Künstlers Phantasie geschaffen hat als wirklich vorhanden dar; die Wirkung, die sein Werk auf uns haben soll, kommt großenteils von der Täuschung her, die uns den erdichteten Gegenstand als wirklich vorstellt: Bemerken wir hier und da etwas Falsches, so empfinden wir, dass der Gegenstand nicht wirklich ist. Der lyrische Dichter bildet uns Empfindungen vor, die gewisse Gegenstände in ihm rege gemacht haben und dadurch reizt er uns, dass wir uns in diesel ben Empfindungen setzen; so bald wir aber etwas Falsches entdecken, es sei in dem Gegenstand oder in seinen Empfindungen, so verschwindet die Täuschung und wir bleiben kalt.
Darum muss in den Werken der Kunst alles wahr, alles nach unseren Vorstellungen und Empfindungen möglich, und, wenn es die größte Kraft haben soll, natürlich oder gar notwendig sein.
Dieses erreicht nur der Künstler, dessen Genie stark genug und dessen Kenntnis und Erfahrung groß genug ist, seinen Vorstellungen und Empfindungen den Grad der Klarheit und der Ausdehnung zu geben, dass er alles, was zur Beschaffenheit der Dinge gehört, klar und bestimmt sieht oder empfindet.
Liegt das Falsche in dem Wesentlichen des Werks, so wird das ganze Werk schlecht und unbrauchbar; liegt es aber nur in Nebensachen, so bekommt es dadurch Flecken und Fehler, die seinen Wert und den Eindruck, den es machen soll, vermindern. Das Falsche kommt entweder aus einem Mangel des Genies oder der Aufmerksamkeit her. Wer nicht vermögend ist, seinen klaren Vorstellungen eine hinlängliche Ausdehnung zu geben, um das einzelne darin richtig zu sehen oder wer zu nachläßig ist, in besonderen Fällen dieses zu tun, der läuft allemal Gefahr, falsch zu fassen oder falsch zu empfinden.
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1 S. Kraft.