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Woran liegt das –?

Auf der Tagung des Vereins deutscher Eisenhüttenleute in Düsseldorf hat jüngst der Herr Springorum ein Referat gehalten, in dem auch von der Unfallverhütung die Rede gewesen ist. »Er klagte«, steht im Bericht, »über die mangelnde Mitarbeit und die Gleichgültigkeit der Arbeiterschaft, die bisher nicht zu überwinden gewesen sei.« (Hier hat der Bericht einen tiefen grammatischen Fehler gemacht.) »Er glaubt eine Ursache hierfür in der Überspannung der sozialen Unterstützung durch Krankengeld usw. zu sehen. Hier sei noch viel zu bessern. Die Bekämpfung der Unfallverhütung in Wort und Schrift, wie sie bisher üblich gewesen, sei in der letzten Zeit einem direkten Widerwillen bei der Arbeiterschaft begegnet.« Ja, woran liegt das?

Es ist ungemein bezeichnend für die Gesinnung, die in deutschen Arbeitgeberkreisen herrschend ist, dass Herr Springorum, der nicht ohne seinen Generaldirektortitel ausgeht, zunächst einmal die doch so kümmerliche soziale Hilfe tadelt, die der Staat den Arbeitern gewährt. Abzuschaffen ist allemal das Krankengeld »und so weiter« – denn, sagt sich der Herr Generaldirektor, wozu wird der Arbeiter noch künftighin aufpassen, wenn er seinen abgesägten Arm doch reichlich bezahlt bekommt? Er bekommt ihn mit Gold aufgewogen. Und wer muß dieses Gold bezahlen? Die Eisenhütten, die von ihrem Reinverdienst bekanntlich zehn Prozent abliefern, wie ihre Angestellten auch …

Wir wollen dem Herrn Springorum etwas auf die Sprünge helfen.

Der »direkte Widerwille« gegen die Bilder, die man in die Betriebe pappt, ist äußerlich wohl vor allem auf die kindisch-schulmeisterhafte Art zurückzuführen, mit der das gemacht wird. Der innere Grund ist ein andrer.

Kann sich der Generaldirektor nicht denken, dass die Arbeiter müde, müde, müde sind? Daß sie es satt haben, alles miteinander? Daß es das Gefühl der tiefen Hoffnungslosigkeit ist, das den Arbeiter stumpf macht? das tödliche System der »Rationalisierung«? die unterdrückende Wirtschaftspolitik der Arbeitgeber? Herr Springorum kann es sich nicht denken – denn er hat nie an der Kreissäge gestanden. Er hat nicht einmal versucht, sich in die Lage derer hineinzudenken, die dort stehen.

Der deutsche Arbeiter bekommt einen Durchschnittslohn, von dem er grade leben kann, Rücklagen für die Zeiten der Not sind so gut wie ausgeschlossen. Die Bildungsmöglichkeiten sind ihm und seinen Kindern fast ganz verschlossen, der klägliche Ersatz, der hier und da geboten wird, reicht niemals aus, die Kinder in die Höhe zu bringen. Was auf dem deutschen Arbeiter lastet, ist die graue Hoffnungslosigkeit, die Stumpfheit, das Gefühl: »Es kann mit mir nie, nie anders werden – mit meinen Kindern auch nicht; immer wird es so sein, dass ich das ganze Leben, bis ich umfalle, schuften muß, in diesen nassen und muffigen Häusern leben muß, immer.« Daß diese Leute noch die Kraft haben, im Klassenkampf zu stehen, zwingt uns die größte Bewunderung ab.

In dieser Tiefe der Lebenshaltung, die den Konsum fast völlig zerstört, rechnet der Arbeiter so: »Und wenn mir etwas zustößt? Dann bekomme ich Krankengeld; viel schlimmer als hier im Werk kann es mir nicht gehen – eher besser.« Und so hält er gewiß seinen Arm nicht in die Maschine; aber weil er abgestumpft ist durch den Krieg, durch die Inflation, durch das, was jene die Rationalisierung nennen, gibt er viel weniger acht als einer, der so viel erdient, dass er Lust und Liebe zu seiner Arbeit hat. Wo sollen die Chemieproleten, die Kumpels, die Eisenproleten, diese Lust und Liebe hernehmen?

Die hat der Herr Springorum, Generaldirektor und Wirtschaftsführer. Und mit ihm alle jene Hunderte und Tausende, die mehr verdienen, als sie verdienen.

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 03.09.1929, Nr. 36, S. 373.