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»Ober – Herrr Ober –!«

Schweden ist ein liebes Land; der Gast hat fast nur freundliche Eindrücke. Es fällt leicht, den Schweden Komplimente zu machen: man braucht nur die Wahrheit zu sagen, und es sind welche. Aber eine Sache ist da …

Sind die Schweden die Franzosen des Nordens? Eine gewisse Ähnlichkeit haben diese beiden Völker; für den, der aus Frankreich kommt, macht es keine Schwierigkeiten, die kleinen Schnörkel im täglichen Umgang zu beschreiben, die chevaleresken Bogen, die die Höflichkeit hier schlägt, bevor es zu irgendeinem Geschäft, einem Meinungsaustausch, einer Auskunft kommt … die Schweden sind langsame und höfliche Leute, sozusagen Bauern auf dem Parkett. Gut. Aber eine Gattung Menschen gibt es im schönen Schweden, die stellen das Lustigste dar, was ich auf diesem Gebiet jemals gesehen habe. Diese Menschen sind die Kellner.

Bevor ein Schwede Kellner wird, tritt er einer geheimen Kellner-Gesellschaft bei; man darf das gar nicht laut sagen, sonst schreibt es sich Herr Ludendorff ins Büchlein, und wir haben dann neben den Radfahrern noch die Kellner, die an seinen Niederlagen schuld sind …

Der schwedische Kellnerlehrling wird also im Pikkolostadium in einen düstern Keller geführt, wo rote Fackeln lohen, während eine modrige Feuchtigkeit an den kalten Wänden herunterrieselt (Großaufnahme). Der zitternde Pikkolo wird in einen Kreis bejahrter Oberkellner geführt, mit verbundenen Augen, zwei gekreuzte Gabeln hangen über seinem Haupt, und hier muß er den großen Kellnereid ablegen, der für alle Welt gilt:

»Ich schwöre, sofort davonzulaufen, wenn ein Gast ›Zahlen!‹ ruft.«

Das wäre noch nichts Verwunderliches – denn das kennen wir ja alle. Aber die schwedischen Kellner müssen noch einen Zusatzeid leisten. In deutscher Übersetzung lautet er etwa:

»Immer mit die Ruhe.«

Die schwedischen Kellner sind die langsamsten Kellner der Welt.

Wenn du ein schwedisches Restaurant betrittst, ist es gut, wenn du dir den Brockhaus »Amalaswintha bis Badewanne« mitnimmst. Sieh dir erst alle Bilder an; sie sind sehr belehrend. Hast du sie dir alle angesehen, kann es geschehen, dass sich der Kellner oder die Kellnerin naht. Sage ihr, was du willst. Sie lauscht; du fühlst: sie hat kein Wort verstanden – auch dann nicht, wenn du es ihr auf schwedisch sagst. Nach etwa drei Minuten geht auf dem Mond des Kellnergesichts ein Lächeln auf: Aha! Bier und Smörgasbord, ja ja! und »Tack!« – denn die Schweden sind höflich, und ihre Kellner sagen: »Danke!« wenn man etwas bestellt. Gut. Und dann lies du nur: Badewanne bis Amalaswintha, und wenn du einen kleinen Zusatzband bei dir hast, so ist es gut – denn nun erfolgt etwa eine halbe Stunde oder eine ganze Stunde gar nichts.

Was die Kellner dann tun, weiß ich nicht. Ich bin einmal in eine schwedische Küche geschlichen und habe durch die angelehnte Tür gespäht, was sie da treiben. Ich traue mich gar nicht, es zu sagen. Sie aßen! Ein Kellner hat doch nicht zu essen! Was sind das für Sitten! Kellner mit Brille und essende Kellner – das sind perverse Erscheinungen. Sie aßen also – und ich hungerte im Lokal, und so gleicht sich alles im Leben aus. Schwedische Kellner kommen manchmal; aber sie bringen nichts.

Ein Mann hat es einmal durchexperimentiert. Man sagt hier, es sei Frank Heller gewesen, der famose Papa von Philippe Collin; aber ich will das nicht glauben: die Geschichte sieht viel mehr nach Hasse Zetterström aus. Dieser eine also hat seine Bestellungen mit der Stoppuhr in der Hand gemacht; und dem allerlangsamsten Kellner, den er in nordischen Landen gefunden hat, hat er eine Medaille verliehen. Es war dies der Hilfskellner Ole Pettersson in Kopenhagen, womit also die Medaille – Schmach und Schande! – den Schweden verlorengegangen ist! Aber sie werden es schon einholen. Kellner Pettersson benötigte zur Bringung eines gekochten Eies eine Stunde 45 Minuten (genau 1: 45: 3). Es war eine schöne Leistung, und das ganze Lokal applaudierte.

Ich schreibe dieses in einem stillen Lokal in Göteborg; die Schreibmaschine halte ich auf den Knien, manche Gäste sehen auf und wundern sich – aber niemand sagt etwas. Ich habe vor einer halben Stunde bestellt: kalte Platte; Pilsener aus Schwedisch-Pilsen und einen großen »Bellmann«. Bellmann?

Karl-Michael Bellmann (1740-1795) … kaufen Sie sich, wenn Sie ihn noch bekommen, die bezaubernde Ausgabe seiner Gedichte, die Alfons Woelfle illustriert hat; ein herrlicher und starker und zarter Saufdichter der Schweden. Und ich habe beschlossen, dass man sich nicht immer einen kleinen Schnaps bestellen solle, sondern eben einen »Bellmann«, was es bei Gott in der schwedischen Sprache nicht gibt. Nicht gegeben hat. Denn nun hat ein Schwede dieses von mir gehört, und nun bestellt er überall einen »Bellmann«, und schon nach der zweiten Bestellung lächeln die langsamen Kellner nicht mehr, und wenn das so weitergeht, werde ich wohl bald den Nobelpreis bekommen, weil es schon gleich ist.

Da kommt der Kellner. Ich werde aufhören, zu schreiben.

Er hat nur gesagt: Ob ich schon bestellt habe. Ich habe gesagt: Ja. Vor einer halben Stunde. Des wundert er sich. Und nun ist er fortgegangen, und ich sitze da und klappere traumverloren auf meiner Schreibmaschine eine Reihe von Aphorismen. Der erste lautet:

»Das Leben ist eine Wartehalle.«

Peter Panter
Vossische Zeitung, 01.09.1929, Nr. 412.