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Erfolgreiche Leute

Der Neid geht gern auf Kostümfeste und zeigt sich selten in Zivil. Wenn ihm gelb zumut ist, gibt er sich manchmal national, manchmal hochmütig – erfolgreiche Leute haben es nicht leicht. Wir Schriftsteller wissen davon zu singen: ab hundert Auflagen ist man ein Schwein.

Von der faden Schmeichelei abgesehen, die jedem erfolgreichen Geschäftsmann, Theatermann, Techniker und Tänzer entgegengebracht wird, ließe sich mit dem Kandidaten Jobs sagen:

Wenn die Leute auf die Erfolgshöhe kraxeln,

erhebt sich ein allgemeines Zucken der Achseln.

Neulich … was ich noch sagen wollte: es gibt natürlich keinen Dauererfolg ohne Verdienst. Du kannst nämlich deine tote Tante beerben, wenn es mit rechten Dingen zugeht, einmal – und dann kannst du noch einmal das Große Los gewinnen –, aber was dann kommt, ist kein Glück oder Unglück mehr, sondern das Zusammenstoßen deiner Eigenschaften mit der Welt, also Schicksal. Neulich bin ich bei einem so erfolgreichen Mann gewesen.

Eine Wohnung zum Längelanghinschlagen, im schönsten Viertel von Paris; eine Inneneinrichtung, die Stück für Stück geliebt gewesen sein muß, bevor sie gekauft worden war; eine Spur mehr, als der Mensch zum Leben nötig hat, aber diese Spur schön und gediegen und mit einem bei Franzosen seltenen Gefühl für die Echtheit des Materials … dieses Mal ging mein kleiner Neid nur mit einer dürftigen Badehose bekleidet umher. Da kam er.

Wir hatten immer unsere Witze über den Mann gerissen, meine Freunde und ich; wir hatten im Chor die fein gebildeten Achseln gehoben und gesenkt und ein still zuckendes Todesurteil gefällt, wenn von ihm die Rede gewesen war: »Gott, der –!« und rolls-royce-los waren wir Wilden doch bessere Menschen, denn einen Trost muß der Mensch doch haben. Das war er also! Guten Tag.

Eine ganz leise, kaum wahrnehmbare Kühle – man muß hier in Paris nicht sagen, dass man für die Zeitungen schreibt, das deklassiert, und man kann es den Franzosen leider nicht verdenken … aber dann sagte ich noch einiges andere, und da verschwand das kalte Lüftchen, der Mann taute zwar noch nicht ganz auf, aber es war so etwas wie Eis mit heißer Vanillensauce, und dann ging es auf einmal sehr gut. Und da merkte ich:

Es war falsch gewesen, was wir über ihn gedacht haben. Besser: unvollkommen. Sein geistiges Bild hatten wir vielleicht richtig eingeschätzt, aber wir hatten vergessen, dass sein Erfolg erarbeitet war, dass er mit den anderen auf der Sorbonne herumgekrochen war wie jeder kleine Student; studiert, durchgefallen, noch einmal versucht; ein bißchen Geld, lange Jahre des Dunkels, Zähigkeit und sehr viel Kopf … erarbeitet. Es wird einem nichts geschenkt – man muß bezahlen. Das alles hatten wir vergessen.

Wir hatten vergessen, dass er hundert- und tausendmal etwas richtig hatte machen müssen, um da zu sein, wo er jetzt war; wir hatten vergessen, dass gewiß nicht alle, aber viele genau dieselben Chancen gehabt hatten wie er – Zufall? Es gibt keinen Zufall, oder er sieht doch ganz, ganz anders aus, als man gemeinhin denkt … Dieses »Mit einem Schlage ist berühmt geworden« ist sehr selten; gewöhnlich ist es eine Kette von ganz winzigen Siegen, die einen hochbringen; Mut nach den Niederlagen; Kraft, die um ein Gran größer ist als die des Konkurrenten; eine Frage vom letzten Nervenendchen; er war doch immer wieder morgens aufgestanden, hatte sich mit dieser lächerlichen Attitüde, die Männern eigen ist, in die Hosen gestopft und war dann auf den Kriegspfad gegangen: er hatte das Lasso des Talents geschwungen, den Tomahawk der Lüge, die Schleuder der Fixigkeit – und schließlich hatte er einen winzigen Vorteil beim Wickel gehabt, den er ausnutzte, nun stand er einen viertel Meter höher als die anderen, schlug zu … und höher und höher – und da saß er nun. Er war oben.

Wir hatten das vergessen. Wir hatten ihn immer so genommen, wie er da heute war – aber wir hatten nicht gesehen oder nicht sehen wollen, dass auch er geworden war. Und wie schwer so etwas ist. Und wie es etwas gibt, das noch schwerer ist: es nämlich zu bewahren. Nach oben zu kommen, ist schon nicht leicht – aber oben zu bleiben! Da gibt es dann vielleicht keine Steigerungen mehr; die Leute gewöhnen sich an das hohe Niveau des Geldes, der Kraft, der Tüchtigkeit – nun wollen sie noch mehr, und wenn sich so einer nicht selbst überholt, dann sagen sie: »Es ist nicht mehr sehr doll mit ihm!« und dann kann es geschehen, dass er abrutscht … Er saß da und ließ sich und mich nichts merken.

Ich aber hatte gemerkt und bat ihm vieles innerlich ab.

Und wenn ich wieder meine Witze über den alten Knaben mache, dann will ich auf einer anderen Flöte pfeifen. Verspotten darf man ihn, aber anders. Mit jenem merkwürdigen Gefühl für den Erfolg nämlich, das Frauen so eigen ist, die gern das Anhängsel lieben, das am Ruhm hängt: den Vater dieses Ruhmes. Es soll vorkommen, dass der Papa kleiner ist als das Kind. Die Frauen aber sind für den Sieger, und wenn sie einmal für den Besiegten sind, dann hat der das Rennen um das Mitleid gemacht.

Man soll sich vor dem Erfolgreichen nicht beugen. Aber verstehen … verstehen darf man ihn schon.

Peter Panter
Vossische Zeitung, 19.02.1929, Nr. 84.