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Die Rolle des Intellektuellen in der Partei

In der Nr. 7 dieser Zeitschrift ist von einem Aufsatz meines Freundes Kurt Hiller die Rede; die Arbeit hat in der ›Weltbühne‹ gestanden und ist hier einer scharfen Kritik unterzogen worden. Ich erbitte das Gastrecht dieses Blattes, um etwas Grundsätzliches dazu zu sagen.

»Es ist anzunehmen«, schreibt Hans Conrad, »dass sich die Herausgeber der ›Weltbühne‹ mit dem Hillerschen Programm solidarisieren.« Das tun sie nicht. Die ›Weltbühne‹ ist eine Tribüne, in der die gesamte deutsche Linke in des Wortes weitester Bedeutung zu Worte kommt; wir verlangen von unseren Mitarbeitern Klarheit, persönliche Sauberkeit und guten Stil. Ob dieser Grundsatz richtig ist oder nicht, ist eine andere Frage; so habe ich das Blatt von meinem verstorbenen Lehrmeister Siegfried Jacobsohn übernommen und so habe ich es an Carl von Ossietzky weitergegeben, der keinen Finger breit von dieser Richtung abgewichen ist. Die ›Weltbühne‹ verzichtet bewußt auf ein starres Dogma; bei uns wird diskutiert.

Was wird nun diskutiert?

Als ich im Jahre 1913 in die ›Weltbühne‹ eintrat, begann ihr Herausgeber sich mit Politik zu befassen; ich bestärkte diese Neigung, wo ich nur konnte, und das Blatt stand damals ungefähr links von den Sozialisten. Weil es kein festes Programm hatte, konnte es in der Revolution nicht führend sein. Ich lege aber den größten Nachdruck auf diesen Satz:

Wir haben niemals beansprucht, die Führer der Arbeiterklasse zu sein.

Dies vorangeschickt, wollen wir folgende Sätze betrachten, die hier zu lesen gewesen sind:

»Die Tragödie Deutschlands ist nicht zuletzt die jämmerliche Halbheit seiner ›linken‹ Intellektuellen, die da über den Parteien thronten, weil es ›einem in den Reihen nicht leicht gemacht wird‹ (um mit Kurt Tucholsky zu sprechen). Diese Leute haben 1918 glänzend versagt, sie versagen noch heute. Ihre Führerrolle war und ist kläglich, einfach jämmerlich, denn die lieben Leutchen glaubten und glauben, dass sie bloß auf das Podium zu steigen brauchen, um den Beifall des Volkes entgegenzunehmen. Aber das ›Volk‹ hat diese Neulinge gar nicht verstanden, und jetzt klagen unsere überklugen Musensöhne dafür die Dummheit der Proleten an und beginnen – soweit sie nicht längst in die Gefilde der Ullstein- und anderer Konzerne zurückgekehrt sind – zu wehklagen oder ihre billigen Weisheiten und Rezepte à la Hiller an den Mann zu bringen.«

Wir sprechen aneinander vorbei.

In einem Aufsatz ›Gebrauchslyrik‹ (eine in der ›Weltbühne‹ erschienene Besprechung der Gedichte Oskar Kanehls, die den Lesern dieses Blattes kostenlos zur Verfügung steht) habe ich versucht, die unglückliche Rolle des deutschen linken Intellektuellen in den Arbeiterparteien zu skizzieren. Ich formuliere hier noch einmal, schärfer.

Der Intellektuelle schreibe sich hinter die Ohren: Er ist nur unter zwei Bedingungen überhaupt befugt, in die Führung einer Arbeiterpartei einzutreten: wenn er soziologische Kenntnisse besitzt und wenn er für die Arbeitersache persönliche Opfer bringt und gebracht hat. Lenin hat beides vereint. Erfüllt der Intellektuelle diese Bedingungen nicht, so darf er allenfalls als bescheidener Helfer in den Reihen des Proletariats mitkämpfen; er erwarte nichts Besonderes von der Partei; er strebe nicht nach Posten und Pöstchen; er wage es nicht, vor eine Versammlung von Streikenden zu treten und sie mit schönen Worten zum Durchhalten zu ermahnen. Geht es in den Straßenkampf, dann schieße er mit – oder schweige. Er ist ein Sympathisierender – mehr nicht.

Die Partei schreibe sich hinter die Ohren:

Fast jeder Intellektuelle, der zu ihr kommt, ist ein entlaufener Bürger. Ein gewisses Mißtrauen ist am Platze. Dieses Mißtrauen darf aber nicht jedes Maß übersteigen.

Es ist ungemein bezeichnend, dass der Vorwurf: »Der Kerl lebt zu gut«, nie, niemals von einem Arbeiter zu hören ist, sondern immer nur von jenen Viertelund Halb-Intellektuellen, die in der Partei arbeiten. Es gibt heute einen Snobismus der schwieligen Faust, der unerträglich geworden ist. Wer ist Hans Conrad? Wer spricht? Ein Mann, der acht Stunden am Schraubstock steht? Das ist nicht anzunehmen; er könnte sonst diese Zeitschrift nicht machen. Er wird mir seinen Stammbaum entgegenhalten – der ist kein Beweis. Die versteckte oder offene Feindseligkeit, der unsereiner in den Arbeiterparteien begegnet, ist ebenso groß wie die Freundlichkeit, die wir bei den klassenbewußten Arbeitern finden; die fühlen mit dem todsichern Instinkt ihrer Klasse, wer da zu ihnen kommt: einer, der aus kleinbürgerlichen Kreisen herkommt; einer, der bürgerlich lebt – und einer, der nicht lügen will. Denn es wäre eine verdammte Lüge, sich den Kragen abzubinden und den Proleten zu ›markieren‹. Hier wird nicht markiert. Wir sitzen zwischen zwei Stühlen und haben erkannt:

Der Kampf der Arbeiterklasse führt zum Siege; er ist gerecht. Wir haben es sehr schwer, uns von der Grundlage unserer Erziehung, unserer Ausbildung, unserer Arbeit loszulösen. Man schilt uns von der Bürgerseite her: Bolschewisten. Man mißtraut uns von der Funktionärseite der Arbeiterparteien her – niemals haben uns die Arbeiter mißtraut, sofern wir uns zurückhaltend und sympathisierend angeschlossen haben. Wer mitarbeitet und den Mund nicht aufreißt, ist bei den Arbeitern immer willkommen gewesen.

Nein, man macht es uns nicht leicht, weil man unsere Aufgabe verkennt.

Die Forderungen Conrads sind richtig, aber sie sind falsch begründet. Zunächst wollen wir uns diese militärische Formulierung von dem ›Versagen‹ abgewöhnen; das sind Kriegsformeln, die bei verständigen Leuten keine Geltung mehr haben. Eine Revolution ist kein Parademarsch, über den man nachher die Kritik abnimmt und Noten austeilt. Jeder marxistisch gebildete Arbeiter weiß, dass die Saal-Revolution im Jahre 1918 nichts gewesen ist; jedes Fundament hat gefehlt (das sieht Conrad richtig), die Intellektuellen haben kaum einen Anteil an den Geschehnissen (das sieht Conrad nicht richtig). Die Partei aber macht einen ungeheuren Fehler.

Wenn Kurt Hiller sein Heil in den Zwischengruppen zwischen SPD und KPD sucht, wenn er sich an überparteiliche Organisationen klammert, so tut er das bestimmt nicht zu seinem Vergnügen. Er wird seine Erfahrungen gemacht haben. Man könnte einwenden; Das liegt an ihm. Dann laßt mich sagen, dass er nicht allein dasteht.

Das übertriebene Mißtrauen der kleineren Funktionäre dem Intellektuellen gegenüber ist auf Konkurrenzangst zurückzuführen. Diese Furcht ist meist begründet. Der wirkliche Vorwurf der mangelnden Stetigkeit, die vielen von uns innewohnt, das (in Deutschland besonders große) Mißtrauen gegen den ›Unordentlichen‹ haben dazu geführt, dass in der SPD solche Mittelmäßigkeiten wie Ebert, Wels, Noske überhaupt zur Macht kommen konnten. Hier habt ihr das mahnende, schlechte Beispiel vor Augen. Vergegenwärtigt euch doch einmal, wie so ein Mensch wie Fritz Ebert überhaupt so hoch steigen konnte. Das ist leicht erklärt:

Ebert ist der Bonze, der immer zur Stelle gewesen ist. Er war dieser euch allen bekannte Typus, der keine Sitzung versäumt; der auf jedem Zahlabend seinen Mann steht; der seine Listen in Ordnung hat … Ihr werdet sagen: Na, ist das vielleicht ein Vorwurf? – und ich fahre fort: er ist einer gewesen, der nichts als das getan hat. Er hatte keinen Funken Kampfgeist. Man sagt, er habe schon in den ersten Tagen des November, als alles drunter und drüber ging, brav seine Akten aufgearbeitet wie ein Regierungsrat – darin ist er der ganze Mann. Ein Papiermensch.

Tritt nun ein flammender, feuriger, starker Kerl in die Organisation, dann werden die Listenmenschen unruhig. »Was will der hier?« Nichts. »Einen Posten für sich?« Nein. »Dann soll er uns auf alle Fälle hier nicht unsern Laden durcheinander bringen … keine neuen Sachen … wie sieht überhaupt sein Mitgliedsbuch aus … ?« Und wenn der Intellektuelle dann nicht sehr viel Begeisterung, nicht sehr viel Liebe zur Arbeitersache besitzt, dann zuckt er die Achseln und geht. Verloren haben beide Teile.

Es wird uns auch geistig nicht leicht gemacht.

Ich habe niemals irgendeinen ›Krach‹ mit Parteiinstanzen gehabt; aber es gehört eine unbändige Geschicklichkeit dazu, nicht anzuecken. Guter Stil? Mißtrauen. Scharfe Formulierung, die ›sitzt‹? Der Bursche geistreichelt. Bewußte demagogische Wirkung auf die Frauen – eine Sache, die die Arbeiterparteien fast immer vernachlässigt haben? Bürgerliche Zeitungsmanieren. Nein, so geht es nicht. Wer meine Arbeit kennt, weiß, dass ich nicht den Künstler in der Samtjacke darstelle, der sich einbildet, seine Gedichtlein seien das wichtigste auf der Welt. Disziplin muß sein. Aber tatsächlich ist es heute so, dass die Freiheit, die der Intellektuelle genießt, bei den bürgerlichen Blättern – innerhalb des Rahmens dieser Blätter – größer ist als in der Arbeiterpresse. (Die Gegner, die mich zitieren, werden die Worte »innerhalb des Rahmens dieser Blätter« fortlassen.) Der sozialdemokratische Redakteur hat viel mehr Angst vor seinen Lesern als Ullstein und Mosse zusammen; die Prüderie, die Angst, die Sucht, am Herkömmlichen zu kleben, ist bei den Arbeiterblättern bedeutend größer als dort: denn sie werden von Leuten geleitet, deren Gesinnung man sehr genau und deren Fähigkeit man sehr ungenau geprüft hat. Niemals dürfte ein Arbeiterblatt so gesetzt und gedruckt werden, wie es redigiert wird. Die Partei schlüge mit Recht einen schönen Lärm. Daß aber diese Redakteure, die es gewiß nicht leicht haben, einfach ihr Handwerk nicht verstehen, das ist eine Sache, die schmerzt. Sie schmerzt; denn sie wäre besser zu machen. Sie ist unter diesen Umständen sehr schwer besser zu machen: Ihr laßt uns nicht heran. Ihr wißt es alles besser.

Dies ist keine Kandidatenrede. Wir sind weit voneinander. Wir sollten zueinander.

Ich danke für die Möglichkeit, hier haben sprechen zu können. Ich will nicht ›recht‹ behalten – diese Sätze sind für die Diskussion da. Hans Conrad wird nicht das billige Mittel wählen, mich ›abzuführen‹ – in seinem eigenen Blatte hat jeder recht. Darauf kommt es auch gar nicht an. Es kommt nur auf eins an: zu arbeiten für die gemeinsame Sache.

Kurt Tucholsky
Die Front, 1929, Nr. 9, S. 250.