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Die Schönheitskönigin

Neulich habe ich neben der »Schönheitskönigin« eines Landes gesessen, dessen Sprache mir einigermaßen geläufig ist, und es war, wie nicht anders zu erwarten, sehr schön. Mit Ministern ist unsereiner schon zusammengekommen, wobei eine Kleinigkeit weniger herauskommt, als beide Teile glauben – mit Zirkusausstellern und Satirikern, der Fall ist äußerst selten; mit Bindfadenfabrikdirektoren und Privatdozenten – mit Schönheitsköniginnen noch nie. Wie sieht es mit Verlaub zu sagen im Kopf einer Schönheitskönigin aus?

Verwirrend.

Was ist denn vor sich gegangen?

Da haben sie – der Reklame halber, aus Langerweile an einer Zeit, die man als Biedermeier mit Radio bezeichnen darf, aus Geltungsdrang und Freude am Klamauk – eine Schönheitskonkurrenz ausgeschrieben. Wer? Irgendwer. In Deutschland wird auch dieses wissenschaftlich betrieben – in andern Ländern sind einfach ein paar Männerchen gekommen, haben einige Maler und Akademieprofessoren zusammengetrommelt, und diesen Haufen würdiger Männer nennt man »Jury«. Gut. Ungeheure Aufregung unter den Mädchen des Landes.

Hier liegt nun der erste Irrtum. Denn es ist ganz und gar ausgeschlossen, dass die europäische Durchschnittsbürgerin an solchen Konkurrenzen teilnimmt. So amerikanisch fühlen wir nicht. Das Verhältnis des Europäers zur Öffentlichkeit ist doch ein anderes als das des Amerikaners zum Publikum: so ganz und gar wohl ist dem Europäer im Ozean der Masse nicht, er ist ein geborener Privatmann. Der Amerikaner, scheints, ist das nicht – ein soeben geborenes amerikanisches Baby, in den Riesenrund eines Zirkus getragen, wird sicherlich stolz sein Sternenbannerfähnchen schwenken und mit heller Stimme eine kurze, aber patriotische Ansprache an das Volk piepsen, wobei es Papachens Geschäft zu erwähnen sicherlich Gelegenheit nehmen wird. In Europa ist da noch so eine leise Scheu …

Es stürzen sich also auf diese Konkurrenz viele Mädchen, die beruflich oder seelisch unerlöst sind, lechzend nach dem Abenteuer, im Kino erschaut … endlich etwas Abwechslung im grauen Leben! Bin ich schön? Hunderte von Spiegeln erblinden in diesen Tagen.

Tag der Jury. Waffenstillstand zwischen den Geschlechtern – es wird zwar von den Damen scharf geschossen (Schiffe sind im Englischen weiblich) – aber es geschieht zu Manöverzwecken, und alle wissen das. Die männlichen Generale sitzen da, haben eine weiße Binde um den Arm und begutachten die Attacken, die keine sind und doch welche sind … Wahl.

Man kann dergleichen auch auswürfeln.

Denn wonach geht das? Lisa sieht nur gut aus, wenn sie geliebt, aber nicht zuviel geliebt wird; Musch braucht Licht, viel Licht, das von rechts fallen muß; Lottchen kann süß aussehen, das hängt von mancherlei Dingen ab, und die frommen Ratschläge (»Nehm Sie Jrien, det hebt Ihnen – Rot macht dicke Beene!«) nutzen da nicht soviel. Eine hat gerade an diesen Tag einen kleinen Fieberpickel; die andere hat vor Aufregung schlecht geschlafen; die dritte ist sehr schön, aber wenn sie vor Fremden steht, zuckt sie manchmal mit der Nase – und weil in den urteilenden Männern die theoretisch erwogene Möglichkeit, mit den Damen zu schlafen, der sublimierte Trieb und die echte Freude am Schauen sich seltsam mischen, so wird irgendeine der Damen Schönheitskönigin – von der Qualifikation der Herren Kunstrichter ganz zu schweigen.

So – da ist sie nun.

Herausgerissen aus dem täglichen Trott; höchste Schmeichelei und scheinbar höchste Erwartung: die andern erwarten nun etwas von ihr, Karriere, Gunst und Fotografien; der Neid der Freundinnen erwartet das nahe Ende, und sie erwartet das Wunder. Was für ein Wunder?

»Wissen Sie«, sagte die oben angezogene Schönheitskönigin zu mir, »ich bin ja so gespannt, wie sich meine Zukunft gestalten wird!« Und da hätte ich sie auf den Schoß nehmen und streicheln können; ich habe es aber nicht getan, denn das ist ein weites Feld. Wie wird sich denn diese Zukunft gestalten?

Film. Sofortige Verfilmung für die Wochenschau; Warten in den Vorzimmern der Vorzimmer der Generalsekretäre der Generaldirektoren; schüchterne Probe und Kummer auf der ganzen Linie. Theater. Dasselbe. Revue … hier in Paris hat eine Schönheitskönigin einen dicken Prozeß mit einem noch dickeren Revuetheaterdirektor: das Mädchen will ihren Vertrag nicht halten, nach dem sie verpflichtet war, jeden Abend, fast nur mit ihrer Schönheit bekleidet, durchs Bild zu gehen. Nach dem vierten Male fiel ihr ihre Moral ein, vielleicht hatte ihr auch jemand gesagt, dass ihre dicken Beine sich nicht gar so heiter da oben ausnähmen – kurz: die Königin verkroch sich hinter die Königin-Mutter, sie spielte nicht mehr mit, und jetzt prozessieren sie. Ja, was für eine Zukunft also? Heirat? Die Heirat mit dem jungen Mann, der ein Lord ist, zugleich schön wie Douglas Keaton, zugleich reich wie Vanderbilt, zugleich kann er laufen wie Nurmi, fliegen wie … ach du lieber Gott. Kommt ja nie. Ist auch gar nicht so erstrebenswert. Die zur »Miß Europa« erwählte junge Ungarin hat aber hier in Paris erklärt, sie warte auf diesen jungen Mann. Und so warten sie denn alle.

Vorläufig haben sie den Eintagsruhm. Merkwürdig ist daran, dass der Urteilsspruch einer Gruppe, die kein Mensch kennt, und deren Legitimation sehr dahinsteht, von allen anerkannt wird, nur, weil er ein Urteilsspruch ist. Bei unserm kleinen Frühstück zum Beispiel warfen die anwesenden Frauen schnelle Blicke auf die Königin, ob sie wirklich so schön sei … und sie stellten mit Befriedigung fest, dass dem sicherlich nicht so sei – aber da mischte sich doch eine ganz leise Beängstigung mit ein und vor allem die klare Anerkennung des Urteils jener Parisse, die den Apfel verteilt hatten. Ich kann ja nicht klagen – denn Ich genoß hohes Ansehen an diesem Mittag, weil sie mich für den Prinzgemahl hielten.

Die schönste Frau Europas … Da ging also die schönste Frau Europas durch die Straßen von Paris, und es muß eine groteske Sache gewesen sein: sie wußte doch nun, dass sie die schönste Frau Europas war – aber, ätsch, die andern wußten es nicht, die dummen Passanten und die Schutzleute, sie gingen und standen da herum, als ob nicht der Stern des Kontinents durch die Straße glitzerte … Sie war inkognito schön. Ein seltsames Schauspiel.

Gewiß es ist ein harmloses Gesellschaftsspiel. Aber mir will es nicht recht scheinen, dass wir jeden amerikanischen Unfug nachahmen, ganz gleich, ob er herpaßt oder nicht, und ich kann mir denken, dass das auf einzelne der jungen Damen keine sehr heitere Wirkung ausübt – weniger vom Standpunkt der Tugend als vom Standpunkt der Intelligenz: dergleichen verdummt. Miß Europa … ? Lasset uns, ein französisches Wort variierend, an eine denken, die einen Herrn auf der Straße anhält und spricht:

»Wie du mich hier siehst, Kleener – ich bin Miß Friedrichstraße –!«

Peter Panter
Vossische Zeitung, 23.02.1929, Nr. 92.