Papageno in Mozarts Zauberflöte


Dieses Stadium ist bezeichnet durch Papageno in der Zauberflöte. Auch hier gilt's natürlich, das Wesentliche vom Zufälligen zu scheiden, den mythischen Papageno heraufzubeschwören und die im Stücke vor unsern Augen wandelnde Person zu vergessen, und das namentlich hier, da im Stücke dieselbe mit allerlei bedenklichem Galimathias in Verbindung gebracht ist. In dieser Hinsicht wäre es nicht ohne Interesse, bei einem Überblicke der ganzen Oper nachzuweisen, dass das Sujet derselben als solches im tiefsten Grunde verfehlt ist. Dabei würde sich zugleich Gelegenheit bieten, das Erotische von einer neuen Seite zu beleuchten, indem man darauf acht gäbe, wie das Vorhaben, eine tiefere ethische Anschauung hineinzulegen, dergestalt, dass diese sich in allerhand bedeutungsvolleren Prüfungen versucht, ein Wagestück ist, das sich gänzlich über die Schranken der Musik hinausgewagt hat, so dass es selbst einem Mozart unmöglich war, ihm ein tieferes Interesse einzuflößen. Die definitive Tendenz dieser Oper ist eben doch ihr musikalischer Gehalt; und darum wird sie, trotz einzelner vollendeter Konzertnummern, einzelner tief bewegter, pathetischer Ergießungen, doch durchaus keine klassische Oper. Jedoch alles dieses kann uns bei gegenwärtiger kleiner Untersuchung nicht beschäftigen. Wir haben nur mit Papageno zu tun. Das ist für uns ein großer Vorteil, und wenn aus keinem andern Grunde, schon darum, weit wir dadurch jedes Versuches überhoben sind, Papagenos Verhältnis zu Tamino in seiner Bedeutung darzulegen - ein Verhältnis, das der Anlage nach so sinnig, so nachdrücklich aussieht, dass es vor lauter Sinnigkeit beinahe zu Unsinn wird.

Ein solches Urteil über die Zauberflöte könnte dem einen und andern Leser willkürlich scheinen, weil einerseits in Papageno zu viel gefunden werde, anderseits in der ganzen übrigen Oper zu wenig. Das würde darin seinen Grund haben, dass man mit uns nicht einig wäre über den Ausgangspunkt für jede Beurteilung der Mozartschen Musik. Dieser Ausgangspunkt ist, unsrer Ansicht nach, Don Juan; und zugleich sind wir überzeugt, daß, wenn man manche Schönheiten seiner andern Opern mit hierher rechnet, Mozart dadurch am meisten Pietät bewiesen wird, ohne deshalb leugnen zu wollen, dass es nicht ohne Bedeutung sei, jede einzelne Oper zum Gegenstande spezieller Betrachtung zu machen.

Das Verlangen erwacht; und wie's immer geht, dass man erst im Augenblick des Erwachens inne wird, dass man geträumt hat, so auch hier: der Traum ist vorüber. Dieses Erwachen, diese psychische Erschütterung ist es, wodurch dem Verlangen oder der Begierde ihr Gegenstand tatsächlich gegeben wird. Begierde und Gegenstand sind ein Zwillingspaar, von welchem der eine keinen Augenblick vor dem andern zur Welt kommt. Die Bedeutung dieser ihrer Genesis ist zunächst nicht, dass sie geeint, vielmehr dass sie eins vom andern gesondert werden. Aber sowie dieses, die Sinnlichkeit in Bewegung bringende, durchschauernde Prinzip einen Augenblick trennend wirkt, so offenbart es sich wiederum, indem es die Getrennten vereinen will.

Wie das Leben der Pflanze an den Boden gebunden ist, so ist das erste Stadium noch wie gefangen in einem sich selbst unklaren Verlangen. Die Begierde erwacht; der Gegenstand flieht wie in weiblicher Schüchternheit, zerteilt sich auch wohl in seinen Erscheinungen; die Sehnsucht reißt sich vom Boden los; die Blüte bekommt Flügel und flattert unstet und unermüdlich hier- und dorthin. Das Herz schlägt frisch und fröhlich; rasch verschwinden und kehren die Gegenstände wieder, zwischen beiden Momenten jedoch ein Augenblick der Berührung, kurz, aber selig, aufglühend in der Art eines Johanniswürmchens, flüchtig wie das Vorüberstreifen eines Schmetterlings und so unschädlich wie dieses; unzählige Küsse, aber so hurtig genossen, als nähme man sie nur dem einen Gegenstande, um sie dem nächsten zu überbringen. Nur momentan wird ein tieferes Verlangen geahnt; diese Ahnung aber ist rasch vergessen. In Papageno geht die Begierde auf Entdeckungen aus. Diese Entdeckungslust ist das, was in ihr pulsiert, ihre jugendliche Munterkeit. Sie findet den Gegenstand, auf den sie eigentlich ausgeht, nicht; sie entdeckt aber ein Mancherlei, indem sie dies eine sucht. - Man darf also sagen, dass die in allen drei Stadien gegenwärtige Begierde im ersten als die träumende, im zweiten als die suchende, im dritten als die bestimmt begehrende vorhanden ist. Die suchende Begierde ist nämlich noch nicht eigentlich begehrend: sie sucht erst, was sie einmal begehren könne. Daher wird das am besten sie bezeichnende Prädikat vielleicht sein: sie entdeckt. Stellen wir so Papageno neben Don Juan, so ist des letzteren Reise durch die Welt anderes und mehr als eine Entdeckungsreise. Er genießt nicht nur die hiermit verbundenen Abenteuer, sondern ist ein Ritter, welcher auszieht, um zu siegen (veni, vidi, vici), Entdeckung und Sieg ist hier dasselbe; ja in gewissem Sinne kann man sagen, dass er über dem Siege die Entdeckung vergißt, oder dass die Entdeckung hinter ihm liegt, weshalb er sie seinem Diener und Sekretär Leporello überläßt, welcher sein »Register« in ganz anderm Sinne führt, als wie ich mir vorstelle, dass Papageno Buch führen würde. Papageno guckt aus, Don Juan genießt, Leporello guckt hinterher.

Den eigentümlichen Typus dieses, wie jedes Stadiums, kann ich zwar für die Reflexion darstellen, jedoch immer nur in dem Augenblicke, wenn es aufgehört hat. Könnte ich aber seine Besonderheit noch so vollständig beschreiben, und ebenso auch den Grund derselben erklären: immer würde doch ein Etwas zurückbleiben, was ich nicht auszusprechen vermag und was man doch hören will. Es ist zu unmittelbar, um in Worten festgehalten zu werden. So hier mit Papageno. Es ist eine und dieselbe Weise, dieselbe Melodie; frisch fängt er von vorn an, wenn er fertig ist, und so durchweg. Man könnte einwenden, es sei überhaupt unmöglich, etwas Unmittelbares andern mitzuteilen. In gewissem Sinne ist dies ganz richtig; aber die Unmittelbarkeit des Geistes hat erstens ihren unmittelbaren Ausdruck in der Sprache; und ferner: sofern durch das Hinzutreten des Gedankens eine Veränderung damit vorgeht, bleibt es doch wesentlich dasselbe, eben weil es eine Bestimmung des Geistes ist. Hier dagegen ist es ein Unmittelbares der Sinnlichkeit, welche als solche ein ganz andres Medium hat, wo also das Mißverhältnis zwischen den Medien die Unmöglichkeit zu einer absoluten macht.


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