Don Juan als klassisches Werk und vollendete Einheit der Form und der abstraktesten Idee


Die vollendete Einheit jener Idee und der ihr entsprechenden Form ist Mozarts Don Juan. Aber gerade, weil die Idee eine so maßlos abstrakte, das Medium gleichfalls ein so abstraktes ist, so spricht gar keine Wahrscheinlichkeit dafür, dass Mozart jemals einen Konkurrenten erhalten sollte. Die glückliche Fügung für Mozart ist, dass er einen Stoff gefunden hat, der an sich selbst absolut musikalisch ist; und sollte einmal ein anderer Komponist mit Mozart wetteifern, so wäre für ihn nichts anderes zu tun, als dass er den Don Juan wieder umkomponierte. Homer hat einen vollendet epischen Stoff überkommen; aber man kann sich eine ganze Anzahl epischer Gedichte denken, weil ja die Geschichte mehr und mehr epischen Stoffes darbeut. So ist es dagegen nicht mit Don Juan. Was ich eigentlich meine, wird man vielleicht am besten einsehen, wenn ich an einer verwandten Idee den Unterschied nachweise. Goethes Faust ist recht eigentlich ein klassisches Werk; aber er ist eine geschichtliche Idee, und daher wird jede bewegte und bedeutende Zeit ihren Faust haben. Der Faust hat zu seinem Medium die Sprache; und da dieses ein weit konkreteres Medium ist, so lassen sich aus diesem Grunde mehrere Werte derselben Tendenz denken. Don Juan dagegen ist und bleibt der einzige seiner Art, in demselben Sinne, wie die klassischen Werke der griechischen Skulptur. Da aber die Idee des Don Juan noch weit abstrakter ist, als die der Skulptur zu Grunde liegende, so ist leicht einzusehen, daß, während man in der Skulptur mehrere Werke hat, man in der Musik nur ein einziges bekommt. Freilich lassen sich in der Musik viele klassische Werke denken; aber es bleibt doch immer nur ein Werk, von welchem man sagen kann, dass die Idee derselben eine absolut musilkalische ist, also dass die Musik nicht als Akkompagnement hinzutritt. Sondern so, daß, während sie die Idee offenbart, sie zugleich ihr eigenstes innerstes Wesen offenbart. Daher steht Mozart mit seinem Don Juan unter jenen Unsterblichen obenan.

Jedoch ich stehe von dieser ganzen Untersuchung ab. Ist sie doch nur für Verliebte geschrieben. Und sowie schon weniges hinreicht, Kinder zu erfreuen, so sind es bekanntlich oft höchst unbedeutende Dinge, daran Verliebte sich freuen können. Sie gleicht einem lebhaften Liebesdisput über ein Nichts, und dennoch hat sie ihren Wert, das heißt für die Liebenden.

Während das vorhergehende auf jede mögliche Weise, sei's denkbare, sei's undenkbare, den Satz zur Anerkennung zu bringen gesucht hat, dass Mozarts Don Juan unter allen klassischen Werken den ersten Rang einnimmt, ist dagegen so gut wie gar kein Versuch gemacht, zu beweisen, dass diese Schöpfung wirklich eine klassische ist; denn die einzelnen, hier und dort durchschimmernden Winke zeigen ja eben als solche, dass die Absicht nicht war, zu beweisen, sondern nur gelegentlich zu beleuchten. Dieses Verfahren könnte mehr als Sonderbar erscheinen. Jedoch ist die Denkarbeit vorläufig damit beruhigt, dass es ein klassisches Werk und alle klassischen Hervorbringungen gleich vollkommen sind. Was man mehr erreichen will, ist fürs Denken vom Übel. Insoweit war eigentlich alles Vorhergehende im vollsten Widerspruch mit sich, der jedoch in der menschlichen Statur begründet ist. Der innere Drang der Bewunderung, die Sympathie, die Pietät, das Kind, das Weibliche in mir, forderte mehr, als was das bloße Denken gewähren konnte. Suchte ich es nun noch in Bewegung zu setzen, so führte diese doch zu nichts, ging beständig über sich selbst hinaus und fiel immer wieder in sich selbst zurück, ohne festen Grund und Boden zu finden, ohne weder Schwimmen noch waten zu können - was freilich ebensosehr zum Lachen als zum Weinen war. Und dennoch reize ich es noch einmal zu dem nämlichen Spiel, welches für mich selbst ein unerschöpflicher Stoff zur Freude ist. Jeder Leser, der das Spiel langweilig findet, ist natürlich nicht von meinesgleichen; für ihn hat es keine Bedeutung; und hier, wie überall, gilt es: »Gleiche Kinder spielen am besten miteinander.« Mag immerhin für ihn das vorhergehende überflüssig sein, so sage ich doch mit Horaz: Exilis domus est, ubi non et multa supersunt. Für ihn ist's immerhin eine Torheit, für mich Weisheit; für ihn Langeweile, für mich Lust und Freude.

So sehr nun auch ein solcher Leser auf die Beweisführung gespannt sein mag, so kann es mir doch niemals einfallen, einen eigentlichen Beweis zu führen, dass Don Juan ein klassisches Werk sei. Während ich eigentlich beständig dieses als ausgemacht voraussetze, wird das folgende manchmal und auf mancherlei Weise dazu dienen, Don Juan in dieser Hinsicht zu beleuchten, sowie schon das obige einzelne Winke enthielt.

 

* * *


 © textlog.de 2004 • 13.10.2024 06:19:26 •
Seite zuletzt aktualisiert: 22.01.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright