Don Juan nach Molière, Komödie


Der musikalische Don Juan, als absolut siegreich, ist zugleich in so absolutem Besitze jedes Mittels, welches zu diesem Siege führen kann, dass es geradeso ist, als brauche er solche gar nicht anzuwenden. Erst wenn er zu einem reflektierenden Individuum wird, zeigt es sich, dass etwas da ist, was Mittel heißt. Diese, in ihrem Aufgebot gegen vorhandenen Widerstand, lassen Don Juan als abenteuernden, interessanten Kämpen erscheinen, von welchem mehrere Auffassungen denkbar sind. Gesetzt dass der Dichter ihm das siegreiche Mittel versagte, so würde der Verführer zur komischen Figur werden. Eine vollendete Auffassung desselben als interessanten Romanhelden habe ich nicht kennen gelernt; dagegen trifft es die meisten Darstellungen Don Juans, dass sie sich dem Komischen nähern. Dies wird daraus erklärlich, dass sie sich an Molière anlehnen, in dessen Auffassung das Komische überall schlummert: und es ist unsers Heibergs Verdienst, dass er sich dessen deutlich bewußt geworden ist, sind daher sein Stück nicht allein ein Marionettenspiel nennt, sondern auf so manche Weise die vis comica des Stoffes hervorbrechen läßt. Geht einer Leidenschaft das zur Befriedigung nötige Mittel ab, so kann dadurch allerdings auch eine tragische Wendung herbeigeführt werden. Jedoch ist dies nicht wohl möglich, wo die Idee sich als eine völlig unberechtigte zeigt und eben daher das Komische näher liegt. Schilderte ich z.B. an einem Individuum die Spiellust und gäbe ihm zum Verspielen zehn Mark, so müßte die schließliche Wirkung eine komische sein. Völlig so verhält es sich zwar nicht mit dem Molièreschen Don Juan, aber doch ähnlich. Lasse ich Don Juan in Geldverlegenheit stecken, von seinen Kreditoren gedrängt, so büßt er alsbald die Idealität ein, die er in der Oper hat, und die Wirkung wird komisch. Die berühmte komische Szene bei Molière, welche als komische Szene großen Wert hat und zugleich in seine Komödie sehr gut hineinpaßt, hätte natürlich eben darum niemals ein Bestandteil der Oper werden können, deren Harmonien gründlich durch sie gestört, ja entweiht wären.

Und nicht bloß die eine angeführte Szene strebt in der Molièreschen Bearbeitung auf das Komische hin, sondern die ganze Anlage trägt dieses Gepräge. Davon zeugen mehr als genug Sganarels erste und letzte Äußerungen, Anfang wie Ende des ganzen Stückes. Sowie er mit einer Lobrebe auf eine Prise Tabak anhebt, so schließt er - nachdem der steinerne Gast seinen Herrn geholt hat! - mit der Klage, dass er der einzige sei, welchem nicht sein Recht geschehen: denn in der Eile des Abzugs habe seiner ihm seinen wohlverdienten Lohn ausgezahlt. Auch Heiberg, dessen Bearbeitung sonst vor der Molièreschen den großen Vorzug hat, dass sie korrekter, mit sich selbst übereinstimmender ist, legt dem Sganarel öfter solche weise Lehren in den Mund, welche in ihm einen halbstudierten Bummler erkennen lassen, der nach mancherlei Experimenten im Leben zuletzt Don Juans Kammerdiener geworden ist. Der Held des Stückes ist nichts weniger als ein Held; er ist ein verunglücktes Subjekt, dessen Zeugnisse vermutlich nicht in Ordnung befunden worden und der so in eine andre Karriere geraten ist. Was er von seinem vornehmen Vater und dessen begeisterten Tugendpredigten erzählt, nimmt sich in seinem Munde wie eine von ihm selbst ersonnenen Lüge aus. Und wenn Molières Don Juan wirklich ein Ritter ist, so weiß der Dichter selbst aufs beste dies in Vergessenheit zu bringen und einen gewöhnlichen Raufbold und Taugenichts in ihm zu zeigen. Auch an recht platten Späßen fehlt es nicht.

Drängt sich uns hier die beachtenswerte Bemerkung nicht auf, dass Don Juan nur musikalisch in der Idealität aufgefaßt worden ist, welche in der traditionellen Vorstellung des Mittelalters ihm anhaftete, wo er auch schon in Verbindung mit der Geisterwelt gesetzt wurde? Ich muß aber zugleich auf den Umstand aufmerksam machen, dass Molière in seiner Auffassung nicht korrekt verfahren ist, indem er nämlich einiges von dem Idealen in Don Juan, wie es der volkstümlichen Vorstellung zu verdanken war, beibehalten hat. Indem ich hierauf hindeute, wird es sich wiederum zeigen, dass dieses sich wesentlich nur durch Musik ausdrücken läßt; und so komme ich wieder auf meine eigentliche Thesis.

Wenn Sganarel (Molière, Akt 1) eine sehr lange Replik vorträgt, um von der grenzenlosen Leidenschaft seines Herrn und der Menge seiner Abenteuer ein Bild zu entwerfen (ganz entsprechend der zweiten Diener-Arie in der Oper), so bringt diese Replik keine andre Wirkung hervor, als eine komische. Zwar macht Molière, unter der unklaren Vermengung von Ernst und Scherz, einen Versuch, uns Don Juans Macht ahnen zu lassen; allein die Wirkung bleibt aus. Nur die Musik kann beides vereinen; und wie? Dadurch, dass sie, während Don Juans Treiben geschildert wird, zu gleicher Zeit, unter dem Aufrollen der Liste, die Macht der Verführung uns in Klängen und Akkorden hören läßt, wie sie eben nur aus Mozarts Brust ertönen konnten.

Bei Molière erscheint im letzten Akte der steinerne Gast, um Don Juan zu holen. Zwar hat der Dichter eine Warnung vorhergehen lassen; dennoch bleibt dieser »Steinerne« immer ein dramatischer Stein des Anstoßes. Ist Don Juan ideal aufgefaßt, als sinnliche Kraft, als Leidenschaft, so muß der Himmel selbst sich in Bewegung setzen und dieses uns möglichst fühlbar werden. Ist das aber nicht der Fall, dann ist es immer bedenklich, so starke Mittel zu gebrauchen. Der Kommodore braucht sich alsdann wirklich nicht zu inkommodieren: liegt es doch weit näher, dass Don Juans Kreditor ihn in den Schuldturm stecken läßt. Dies wäre ganz im Geiste der modernen Komödie, welche nicht so großer Mächte bedarf, um den Übeltäter zu stürzen, weil eben die das Leben bewegenden Mächte nicht so grandiose sind. Es genügt, dass Don Juan die trivialen Schranken der Wirklichkeit kennen lerne. In der Oper ist es durchaus richtig, dass der Kommodore erscheint; aber sein Auftreten hat alsdann auch eine ideale Wahrheit. Die Musik macht schon bei dem ersten Nicken seines Kopfes, dem ersten Auftun seines Mundes, aus dem Kommodore etwas andres und mehr als ein einzelnes Individuum: seine Stimme dehnt und vertieft sich zu der Stimme eines Geistes. Wie Don Juan also in der Oper mit ästhetischem Ernste aufgefaßt ist, ebenso der Kommodore. Bei Molière kommt er mit ethischer Gravität und mit Gepolter, wodurch er fast lächerlich wird; in der Oper kommt er geisterhaft leichten, schwebenden Schrittes, in übernatürlicher Wirklichkeit. Keine der im Stücke auftretenden Mächte, keine Macht dieser Welt hat Don Juan bezwingen können: nur ein Geist, nur eine Erscheinung aus der andern Welt vermag es. Versteht man dies richtig, so wird dadurch ein neues Licht auf Don Juan geworfen. Ein erscheinender Geist, ein revenant, ist eine Reproduktion. Dieses ist das Geheimnis, welches in dem »Wiederkommen« liegt. Don Juan kann alles, kann allein und jedem widerstehen, außer der Reproduktion des Lebens, darum, weil er nur unmittelbar-sinnliches Leben darstellt, dessen Negation der Geist ist.

Wie Don Juan überhaupt eine Macht ist, so offenbart sich diese auch in seinem Verhältnis zu Leporello. Dieser fühlt sich zu ihm hingezogen, von ihm überwältigt, geht gleichsam in ihm unter und wird ein bloßes Organ für den Willen seines Herrn. Diese dunkle, rätselhafte Sympathie ist es, welche Leporello zu einer musikalischen Person macht; und man findet es ganz in der Ordnung, dass er sich von Don Juan, dessen Leben in mannigfacher Weise wörtlich sich in ihm reflektiert, nicht losreißen kann. Bei Molière sieht weder Leser noch Zuschauer einen vernünftigen Grund, warum Sganarel unauflöslich an ihn gekettet ist. Bei Molière ist Sganarel bald schlechter, bald besser, als Don Juan; aber unbegreiflich bleibt es hier, warum er ihn nicht verläßt, da er nicht einmal seinen Lohn empfängt, und es kommt einem diese Anhänglichkeit wie eine Art Schwachsinnigkeit vor. Auch an diesem Beispiel sieht man wiederum, wie das Musikalische mitreden muß, damit man Don Juan in seiner wahren Idealität auffassen könne. Der Fehler bei Molière liegt nicht darin, dass er ihn komisch aufgefaßt hat; sondern dass er hierbei nicht korrekt und konsequent verfahren ist. Und wie armselig, nur als ordinäre Theaterintriguen erscheinen hier Don Juans Verführungskünste bei Elvira, Mathurina, Charlotte, unter stets wiederholtem Eheversprechen! Man wird immer wieder darauf zurückgeführt, dass er sich als Verführer im großen Stil einmal nur darstellen läßt mit Hilfe der Musik.

Man hört öfter die Bemerkung, dass Molières Don Juan moralischer sei, als der Mozartsche. Richtig verstanden, ist dies nur eine Lobrede auf die Oper. In dieser werden nicht bloß viele Worte davon gemacht, dass Don Juan ein böser Verführer sei; sondern, wie sich nicht leugnen läßt, kann die Musik im einzelnen oft verführerisch genug wirken. So muß es aber sein; und auch hierin zeigt sich ihre Macht. Darum zu behaupten, dass die Oper unmoralisch sei, ist eine Torheit, welche auch nur von Leuten herrühren kann, die ein Ganzes aufzufassen unfähig sind, die sich von Einzelheiten einnehmen lassen. Die wirkliche, tiefere Tendenz der Oper ist in hohem Grade moralisch, und der Eindruck ein absolut wohltätiger, weil hier alles groß ist, alles von echtem, ungeschminktem Pathos, dem der Leidenschaft der Weltlust, sowie dem eines herzbewegenden und erschütternden Ernstes, der Leidenschaft des Sinnengenusses, wie des hereinbrechenden Zornes, getragen wird.


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