Musik als Medium der erotisch-sinnlichen Genialität


Fordert nun diese sinnliche, erotische Genialität in aller ihrer Unmittelbarkeit einen leibhaften Ausdruck, so fragt sich, welches Medium sich dafür eigne, wohlgemerkt so, dass jene eben in ihrer Unmittelbarkeit zum Ausdruck und zur Darstellung komme. In ihrer Mittelbarkeit nämlich und, wenn in einem andern reflektiert, fällt sie dem Dominium der Sprache anheim und unterliegt von nun an ethischen Bestimmungen. In ihrer Unmittelbarkeit kann sie nur mittels der Musik ausgedrückt werden. (Der Leser erinnere sich an etwas in der »nichtssagenden Einleitung« Gesagtes.) Hierbei zeigt sich die Bedeutung der Musik in ihrem vollen Werte; und diese tritt in strengerem Sinne als christliche Kunst auf, oder richtiger als die Kunst, welche das Christentum zwar einsetzt, aber wiefern? Sofern es dieselbe als Medium dessen, was das Christentum nur zur Sprache bringt, um es zu negieren, geradezu von sich ausschließt und verwirft. Mit andern Worten, die Musik ist das Dämonische.

In der erotisch-sinnlichen Genialität hat die Musik ihren absoluten Gegenstand. Hiermit soll nun natürlich keineswegs gesagt werden, dass die Musik nicht auch andres ausdrücken könne; aber ihren ihr eigentümlichen Gegenstand findet sie doch nur hierin. So mag die Bildhauerkunst viel andres darstellen können, außer der menschlichen Schönheit; und dennoch bleibt diese ihr vollkommen entsprechender Gegenstand. In dieser Hinsicht gilt es, die eigentliche Bestimmung jeder Kunst ins Auge zu fassen, und sich nicht irre machen zu lassen, was sie etwa sonst kann. Das Wesen des Menschen ist Geist; und dass er übrigens auch ein Zweifüßer ist, darf dich nicht weiter aufhalten. Der eigentliche Begriff der Sprache ist der Gedanke; und man lasse sich dadurch doch nicht stören, dass einige empfindsame Leute dafür halten: die höchste Bedeutung der Sprache sei, unartikulierte Laute, wie Ach! und Oh! auszustoßen.

Hier erlaube ich mir wieder ein kleines nichtssagendes Zwischenspiel. Caeterum censeo, dass Mozart unter den klassischen Tondichtern der größte ist, und dass sein Don Juan unter allen klassischen Schöpfungen den höchsten Rang einnimmt.

Was nun die Musik als Medium angeht, so bleibt dieses freilich immer eine sehr interessante Frage. Eine andre Frage ist, ob denn ich im stande sei, etwas Befriedigendes hierüber zu sagen. Ich weiß recht wohl, dass ich mich auf Musik nicht verstehe; ich räume willig ein, nur Laie, keiner der auserwählten Musikkenner zu sein, höchstens einer der »Proselyten des Tores«, welchen ein besonderer, unwiderstehlicher Trieb von weither bis zur »Pforte« des Tempels, aber auch nicht weiter geführt hat. Desungeachtet wäre es doch möglich, dass das wenige, was ich zu sagen habe, mit Wohlwollen und Nachsicht aufgenommen, als eine Wahrheit erkannt würde, wiewohl verborgen unter ärmlichem Kittel. Ich stehe außerhalb der Musik, und von diesem Standpunkte aus betrachte ich sie. Auch so hoffe ich die eine oder andre Erklärung geben zu können, wenn auch die Glücklichen, die ins Heiligtum eingedrungen sind, die Eingeweihten, sie weit besser geben, ja sogar, was ich sage, gewissermaßen viel besser verstehen mögen, als ich selbst. Dächte ich mir zwei Reiche, die aneinander grenzen, mit deren einem ich ziemlich bekannt wäre, während das andre mir völlig unbekannt, ja der Zugang zu jenem unbekannten Reiche mir verwehrt blieb, so wäre ich dennoch im stande, mir eine Vorstellung von demselben zu machen. Ich würde an die Grenze des mir bekannten Reiches wandern, ihr beständig nachgehen; und indem ich dies täte, würde ich, durch meine Wanderung selbst, die Umrisse jenes Landes beschreiben und so eine allgemeine Vorstellung von ihm gewinnen, obwohl ich niemals meinen Fuß hineingesetzt hätte. Da könnte ich es wohl auch, bei fortgesetzter aufmerksamer Beobachtung, zuweilen erleben, daß, während ich wehmütig in den Grenzen meines Reiches stehe und sehnsuchtsvoll in jenes Land, so nahe und doch so ferne, hinüberschaue, eine einzelne, kleine Offenbarung mir zu teil wird. Und bin ich mir gleich bewußt, dass Musik eine Kunst ist, die in hohem Grade Studium und Erfahrung erfordert, damit man ein wirkliches Urteil über sie haben könne: doch tröste ich mich damit, dass Diana, welche selbst niemals Mutter geworden, den Gebärenden zu Hilfe kam, ja dass dies ihr eine angeborne Gabe war, also dass sie, in den ersten Augenblicken ihres Daseins, der eignen Mutter, Latona, unter ihren Geburtsschmerzen hilfreich war.


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